| # taz.de -- Kolumne Anderes Temperament: Der Gruß am Morgen | |
| > Seit zwei Jahren wird unsere Autorin beim Weg durch den Görlitzer Park in | |
| > Berlin-Kreuzberg von Dealern empfangen: Mal freundlich, mal offensiv, mal | |
| > dezent. | |
| Bild: Eine nette Anrede ist ein guter Anfang: Bei Polizisten hilft das allerdin… | |
| Auf dem Weg zur Arbeit werde ich so wie alle, die morgens durch den | |
| Görlitzer Park laufen oder radeln, immer äußerst charmant begrüßt. Nicht | |
| von denen, die dort für einen Euro die Stunde Müll aufsammeln, und nicht | |
| von denen, die alle zwei Tage den offenbar verpfuscht gebauten Wasserlauf | |
| von Schlick und Schlamm befreien. Grüßen tun jene, die dort seit etwa zwei | |
| Jahren rund um die Uhr rumhängen, Musik hören, plaudern und Kiffwaren | |
| verkaufen wollen. Sogar die Polizisten, die manchmal vor und in dem Park | |
| rumstehen, um diesen Leuten das Geschäft zu verhageln, werden mit einem | |
| freundlichen „Guten Morgen“ gegrüßt. | |
| Die Polizisten sowieso nicht, aber auch ich gehöre gar nicht zur Zielgruppe | |
| der Verkäufer. Ich kaufe nie und werde es wahrscheinlich nie tun. | |
| Mittlerweile müssten die Jungs das auch wissen; einige von ihnen grüße ich | |
| seit fast zwei Jahren jeden Morgen. Aber der Durchlauf zwischen | |
| Falckensteinstraße und Glogauer Straße ist sehr groß, ich nehme es ihnen | |
| nicht übel. Im Gegenteil. Es ist sehr amüsant zu beobachten, wie sich die | |
| Grußformeln in den vergangenen zwei Jahren geändert haben. | |
| ## Eine fast intime Anrede | |
| Es begann mit einem „Hallo, wie geht’s?“. Auf diese Frage kann man am | |
| frühen Morgen kaum und sowieso eigentlich gar nicht richtig antworten, denn | |
| der Frager erwartet in der Regel gar keine Antwort. Keine gute Idee also | |
| für den Beginn eines Verkaufsgesprächs. Das haben auch die Arbeiter dort | |
| schnell begriffen. Und wurden persönlicher. | |
| „Hallo, schöne Frau“ und „Hello, sexy mama“. Nicht gerade innovativ, m… | |
| es am frühen Morgen trotzdem eine Weile Spaß, das zu hören. Auch weil die | |
| Arbeiter die Anrede immer so intonierten, dass die feine Ironie rauszuhören | |
| war. Nach einer Weile schienen sie begriffen zu haben, dass | |
| Sowiesonichtkäufer wie ich zwar darüber schmunzeln, aber auch nicht | |
| wirklich stehen bleiben, um tatsächlich ins Gespräch zu kommen. | |
| „Na du?“, sagte plötzlich eines Morgens jemand, der mit einem Rad an mir | |
| vorbeifuhr. Ich hielt an, drehte mich um, weil ich dachte, es sei jemand, | |
| der mich kennt. Denn dieses „Na du!“ ist ja eine fast intime Anrede unter | |
| Vertrauten. Eine schöne auch. Der Mann auf dem Fahrrad war aber einfach | |
| weitergefahren. Er drehte sich nochmal kurz um und grinste. Ich musste | |
| lachen, weil ich erkannte, dass ich diesmal auf den Trick reingefallen war. | |
| „Na du?“ war wirklich gut. Einmal verstanden, konnte man darauf aber auch | |
| wunderbar entwaffnend „Na!“ antworten. Und schmunzelnd weitergehen. | |
| Irgendwann während der WM begann ein neues Kapitel der Ansprache: „Hey, | |
| Australian Girl. How are you today?“ Australian Girl? Erstmals blieb ich | |
| tatsächlich stehen und fragte, wie sie darauf kämen? „Oh sorry“, war die | |
| Antwort. „Are you from Jamaica?“ | |
| Das Gespräch verlief dann sehr kenntnisreich über costaricanische | |
| Fußballspieler, die aus Jamaika stammten, und darüber, was die Australier | |
| bei dieser WM falsch gemacht hatten. Gekauft habe ich trotzdem nichts. | |
| Perfide, würden die einen sagen. Charmant würde ich es nennen. Mir bereitet | |
| diese ständige Weiterentwicklung des Marketingtricks, so zu tun, als sei | |
| man längst per Du, großen Spaß. Einige von ihnen würden sicher eine | |
| Karriere als Werber machen können, hätten sie eine Aufenthalts- und | |
| Arbeitsgenehmigung in diesem Land. Und das in Berlin, wo man in der Regel | |
| einen Laden betritt, in dem man als Kunde identifzierbar und willig ist, | |
| auch was zu kaufen. Für ein freundliches „Hallo, was darf’s sein?“ brauc… | |
| der Berliner in der Regel aber weiterhin sehr lang und zieht ein | |
| Kopfzunicken und ein genervtes „Sie?“ vor. | |
| ## Und die Kinder? | |
| „Skandal“, rufen jetzt natürlich alle mit Kindern beziehungsweise jene, die | |
| das Kinderargument vorschieben, um Ordnungshüter zu spielen. Skandal rufen | |
| sie, weil die Kinder dieses nette Grüßen nicht als Trick erkennen könnten | |
| und zu Käufern und schließlich zu Drogenabhängigen werden würden. Was also | |
| mal der kinderschändende Schokoladenonkel war, ist jetzt der schwarze | |
| Drogenverkäufer. | |
| Gegen die Kinderkeule lässt sich wie immer nicht wirklich argumentieren. | |
| Ich wollte sie nur auch mal erwähnt haben. Einfach so. Und damit die | |
| Kommentatoren dieser Kolumne sich darüber schon mal nicht aufregen können, | |
| dass ich die Kinder missachte. | |
| 20 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
| ## TAGS | |
| taz.gazete | |
| Fahrrad | |
| Berlin | |
| Görlitzer Park | |
| Görlitzer Park | |
| taz.gazete | |
| taz.gazete | |
| taz.gazete | |
| taz.gazete | |
| taz.gazete | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Anderes Temperament: Bärgiwa statt Bärgida | |
| Besorgte Anwohner sorgten dafür, dass die Dealer aus dem Görlitzer Park in | |
| Berlin vertrieben wurden. Jetzt sorgen sie sich um das Wohl der Waschbären. | |
| Kolumne Anderes Temperament: Hier zündet nichts mehr | |
| Wie lebt es sich in der raucherfreundlichsten Stadt der Republik? Für die | |
| Freunde des Nikotins wird es härter. | |
| Kolumne Anderes Temperament: Große Vögel, krasse Vögel | |
| Berlin ist nicht das Rom Pasolinis. Aber die Stadt bräuchte einen wie ihn. | |
| Und zwar dringend. | |
| Kolumne Anderes Temperament: Bezaubernd, hinreißend, wunderbar | |
| Trendwörter verfolgen einen unbarmherzig. Noch dazu sind einige von | |
| ausgesprochener Hässlichkeit. Beispiele gefällig? Lesen Sie selbst. | |
| Kolumne Anderes Temperament: Da blickt einfach keiner mehr durch | |
| "Da ist ja mächtig was los!" Mein Apotheker blickt mir in die Augen und ich | |
| blicke nicht mehr durch. | |
| Kolumne Anderes Temperament: Technohöhle statt Höhensonne | |
| Der unschlagbare Vorteil des Dunklen: Nirgendwo sonst können sich müde | |
| Augen vor den Blicken der anderen so gut verstecken wie im Technotempel | |
| oder im Kinokeller. |