# taz.de -- Kolumne Anderes Temperament: Bärgiwa statt Bärgida | |
> Besorgte Anwohner sorgten dafür, dass die Dealer aus dem Görlitzer Park | |
> in Berlin vertrieben wurden. Jetzt sorgen sie sich um das Wohl der | |
> Waschbären. | |
Bild: Sein Schicksal bewegt die Herzen der Kiezbewohner mehr als das der Dealer. | |
Mauersegler auf dem Fensterbrett, Füchse zwischen den Autos, Biber an | |
Hundeleinen – okay. Aber Waschbären? Vor der eigenen Haustüre mitten in | |
Kreuzberg? Es reicht. Irgendwo muss auch mal Schluss sein. Muss ich erst | |
eine Bewegung gründen, damit man meine Sorgen ernst nimmt? KPD/WW – | |
Kreuzberger Patriotische Demokraten gegen die Waschbärisierung des | |
Wrangelkiezes? Oder Bärgiwa – Bärliner gegen die Invasion der Waschbären? | |
Ich hatte bisher keinen Kontakt zu Waschbären. Nie einen gesehen. Seit mir | |
Dienstagnacht ein Waschbär den Weg in mein Wohnhaus versperrte, begegnen | |
mir aber ausschließlich Waschbärversteher. Ein Buchverlag machte mich | |
darauf aufmerksam, dass demnächst eine furiose Neuerscheinung anstehe: „Die | |
Invasion der Waschbären“. Eine Google-Suche „Waschbär in Berlin“ führte | |
nach zwei Klicks zu einem Eintrag auf einer Datingseite: „Du hast was gegen | |
Waschbären? Du bist so unten durch bei mir.“ | |
Frage ich Kollegen und Freunde, warum man diese dicken Dinger, die von | |
Experten auch schon mal als „Plage“ klassifiziert werden und so aussehen, | |
als verschlängen sie täglich zwölf Hauskatzen und drei Hundewelpen, nicht | |
einsammelt und kastriert, werde ich förmlich angebellt. Da könne ich ja | |
gleich vorschlagen, sie erschlagen oder erschießen zu lassen. | |
Aber es werden doch auch Katzen und Hunde, die auf der Straße rumhängen, | |
eingesammelt und kastriert. Warum kann man das nicht mit Waschbären tun? | |
Zum ersten Mal setze ich die Kinderkeule ein: Und was, wenn so ein Waschbär | |
in einen Kinderwagen springt? Du hast ja keine Ahnung, schlägt es mir | |
entgegen, die springen nur in Mülltonnen und würden niemalsnie jemandem was | |
tun. | |
## Ich stehe unter Verdacht | |
Scheint so, als hätten meine Mitbürger allesamt Intensivkurse in | |
mammologischer Waschbärforschung belegt und könnten jede Sorge mit Fakten | |
parieren. Was ist nur aus den katastrophenalarmanfälligen Anwohnern | |
geworden? In den letzten Jahren riefen sie: Hilfe, die Touris kommen! | |
Hilfe, die Dealer spritzen unsere Kinder tot! Ich konnte nie folgen. | |
Nun bin ich zum ersten Mal besorgter Anwohner, rufe „Hilfe, die Waschbären | |
sind los“, und werde ausgelacht. Schlimmer: Ich stehe unter Verdacht. Kein | |
Herz zu haben für diese fetten Teile mit den befingerten und bezehten | |
Schwellkörpern, die als niedlich, possierlich, harmlos, intelligent und | |
hübschfüßig bezeichnet werden, die ich aber nicht so finde. | |
Nachdem die Dealer Ende letzten Jahres durch exzessive Razzien und radikale | |
Gebüschabholzung aus dem Wrangelkiez vertrieben wurden, ist der Anteil | |
leichenblasser Mitbierflaschedurchdenkiezschlurfer wieder deutlich | |
gestiegen. Der Görli liegt brach. Von „Park“ kann keine Rede sein. Eher | |
verströmt er den Charme, den man vom Parkplatz eines Möbeldiscounters | |
kennt. Und jetzt haben offenbar auch die Waschbären genug, ziehen aus dem | |
Park ab und in meinen Hinterhof ein. | |
Mit einem Waschbären kann man nicht reden. Man kann ihn weder fragen, wo er | |
herkommt, was er von seiner neuen Umgebung hält und warum er ausgerechnet | |
hier seine Geschäfte abwickeln muss. Dreist hockt er nun vor den Türen und | |
mahnt daran, dass Vertreibung keine Lösung ist. Und ich würde mich nicht | |
wundern, wenn es demnächst eine Diskussionsveranstaltung, eine | |
Unterschriftenliste, eine Petition an die Bürgermeisterin und einen | |
Freiwilligeneinsatz geben würde, die sich allesamt um das Wohl des | |
Wrankelkiez-Waschbären sorgen. | |
Ich mag es selbst nicht recht glauben. Aber so viel emphatisches | |
Verständnis wie dieser Überlebenskampf von Waschbären im Wrangelkiez ist | |
mir bei all der Diskussion gegen die Dealer im Görlitzer Park nicht | |
begegnet. Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich habe nichts gegen | |
Waschbären. Aber … | |
1 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
## TAGS | |
Görlitzer Park | |
Waschbären | |
Wrangelkiez | |
Kreuzberg | |
Dealer | |
Waschbären | |
Waschbären | |
Waschbären | |
taz.gazete | |
taz.gazete | |
taz.gazete | |
taz.gazete | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Invasive Arten: Ausweitung der Kampfzone | |
Eingewanderte Waschbären verbreiten sich in Deutschland rasant. Weil sie | |
bedrohte Tierarten gefährden, müssen sie weg. | |
Kolumne Kreaturen: Wissenswertes über Waschbären | |
Sie haben einen tollen Tastsinn, leben in Rüdenkoalitionen und wohnen oft | |
in Kassel. Von Harmonielehre verstehen sie hingegen fast gar nichts. | |
Kolumne Kreaturen: Wissenswertes über Waschbären | |
Sie haben einen tollen Tastsinn, leben in Rüdenkoalitionen und wohnen oft | |
in Kassel. Von Harmonielehre verstehen sie hingegen fast gar nichts. | |
Kolumne Anderes Temperament: Wäre Olympia so schlecht gewesen? | |
Überlässt man Berlin sich selbst, kommen eine Führerachse und eine | |
Stalinallee, ein Bierpinsel und ein Alexa raus. | |
Kolumne Anderes Temperament: Kreuzberger Kakophonie | |
Als Berliner guckt man in der Regel nicht auf Strand, sondern irgendwelchen | |
Leuten direkt ins Private. Auch nicht schlecht! | |
Kolumne Anderes Temperament: Große Vögel, krasse Vögel | |
Berlin ist nicht das Rom Pasolinis. Aber die Stadt bräuchte einen wie ihn. | |
Und zwar dringend. | |
Kolumne Anderes Temperament: Bezaubernd, hinreißend, wunderbar | |
Trendwörter verfolgen einen unbarmherzig. Noch dazu sind einige von | |
ausgesprochener Hässlichkeit. Beispiele gefällig? Lesen Sie selbst. | |
Kolumne Anderes Temperament: Der Gruß am Morgen | |
Seit zwei Jahren wird unsere Autorin beim Weg durch den Görlitzer Park in | |
Berlin-Kreuzberg von Dealern empfangen: Mal freundlich, mal offensiv, mal | |
dezent. |