# taz.de -- Kommunalwahl in der Türkei: Homos gegen Erdogan | |
> Erstmals kandidieren homo- und transsexuelle Aktivisten in der Türkei. | |
> Ein Erfolg der Gezi-Proteste. Doch die CHP versteckt ihre | |
> schwul-lesbischen Kandidaten. | |
Bild: „Wir kämpfen um die Anerkennung, die man uns geraubt hat“: Gay Pride… | |
BERLIN taz | Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan braucht | |
keine Belehrungen. „Ich bin der größte Umweltschützer, den Umweltschutz | |
werden wir nicht von euch lernen“, rief er im Frühjahr vorigen Jahres den | |
Demonstranten vom Gezi-Park zu. Im selben Brudtton hat er sich schon zu | |
allen möglichen Dingen geäußert. | |
Mal erklärte er sich zum größten Patrioten, ein andermal zum größten | |
Aleviten. „Jetzt warten wir darauf, dass Erdoğan erklärt: Ich bin der | |
größte Schwule, das Schwulsein werden wir nicht von euch lernen“, twitterte | |
Levent Pişkin nach einer dieser Äußerungen. Erdoğan reagierte mit einer | |
Strafanzeige wegen Beleidigung. Pişkin erstattete daraufhin Anzeige gegen | |
Erdogan – ebenfalls wegen Beleidigung. In der vergangenen Woche sollte der | |
Prozess gegen Pişkin beginnen, aber der zuständige Staatsanwalt wurde im | |
Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal [1][strafversetzt], die Verhandlung | |
ist verschoben. | |
Levent Pişkin ist Jurist und Mitglied der Demokratiepartei der Völker | |
(HDP), einer Art Dachorganisation, die sich im Herbst 2013 gründete. Neben | |
einer Reihe kleinerer linker Gruppen gehört ihr die prokurdische Partei für | |
Frieden und Demokratie (BDP) an. Pişkin ist Kovorsitzender im Bezirk | |
Beyoğlu, zu dem die Gegend rund um den Taksimplatz gehört, aber auch das | |
Kleineleuteviertel Kasımpaşa, aus dem der Ministerpräsident stammt. | |
Bei der [2][Kommunalwahl] am Sonntag kandiert Pişkin allerdings nicht. Mit | |
seinen 24 Jahren ist er zu jung, das Mindestalter liegt bei 25. Dafür | |
finden sich auf den Listen der HDP vier Queer-Aktivisten für | |
Bezirksparlamente in Istanbul, alle auf vorderen Plätzen. Asya Elmas zum | |
Beispiel auf Platz zwei in Kadıköy, dem urbanen Zentrum des anatolischen | |
Teils der Stadt. Sie ist 32 Jahre alt, stammt aus der kurdischen Provinz | |
Mardin und arbeitet als Prostituierte. „Für Transsexuelle ist es fast | |
unmöglich, eine andere Arbeit zu finden“, sagt sie. Politisch engagiert | |
sich Elmas erst seit den Gezi-Protesten. „Die HDP hätte auch ohne Gezi | |
homo- oder transsexuelle Kandidaten aufgestellt“, meint sie. „Aber das wäre | |
nicht ich geworden.“ | |
Im Wahlkampf merke sie, wie Gezi die Anerkennung von Schwulen, Lesben und | |
Transsexuellen verändert habe: „Damit, dass ich mich als Transfrau um ein | |
Mandat bewerbe, haben die Leute weniger Probleme als damit, dass ich für | |
die HDP kandiere“, erzählt Elmas. Kadıköy gilt als kemalistische Hochburg. | |
## Enttäuschende Plätze bei der CHP | |
Drei [3][Queer-Aktivisten] finden sich auch auf den Listen der | |
kemalistisch-sozialdemokratischen CHP. Nach dem Gezi-Aufstand hatten | |
Homo-Aktivisten Kontakt mit dem CHP-Vorsitzenden [4][Kemal Kılıçdaroğlu] | |
aufgenommen. Es gab ein Gespräch, der Parteichef zeigte sich | |
aufgeschlossen, am Ende aber – in der Türkei werden alle Kandidatenlisten | |
von den Parteizentralen bestimmt – hatte man nur hintere Plätze übrig. In | |
Beyoğlu landete ein schwuler Aktivist auf dem zwölften Platz, im | |
[5][säkularen Bezirk Beşiktaş] kandiert die bisexuelle Aktivistin Sedef | |
Çakmak auf dem recht aussichtslosen 27. Platz. | |
War das nicht enttäuschend? „Natürlich“, antwortet die 31-jährige | |
Soziologin und Cafébetreiberin, die aus einer kemalistischen Familie | |
stammt, bislang aber, wie sie erzählt, noch nie die CHP gewählt hat. „In | |
einem Land, in dem die meisten Homosexualität für eine Krankheit halten, | |
ist schon das ein großer Schritt, den die CHP [6][ohne Gezi] sicher nicht | |
gemacht hätte.“ Çakmak glaubt allerdings nicht, dass sich die Vergabe der | |
schlechten Listenplätze speziell gegen Queer-Aktivisten richtet. „Die CHP | |
versucht bei dieser Wahl, Stimmen von rechts zu gewinnen. Da passen wir | |
nicht so recht in die Strategie. In meinem Bezirk“ Doch so, wie die | |
Platzierungen sie enttäuscht haben, hat es sie überrascht, dass viele Leute | |
in der Partei Kritik daran geübt hätten, erzählt sie. | |
Die meiste Kritik bezog sich auf den 29-jährigen Werbetexter Boysan Yakar, | |
für den die CHP nur einen Nachrückerplatz in Şişli übrig hatte, jenem | |
Bezirk, dessen bisheriger Bürgermeister [7][Mustafa Sarıgül] sich nun um | |
das Amt des Oberbürgermeister bewirbt. | |
Bei dem [8][Gay Pride], der kurz nach der [9][Räumung des Gezi-Parks] | |
stattfand und an dem sich mehrere zehntausend Menschen beteiligten, war | |
Yakar Stimmungsmacher und Hauptredner, wer ihn auf einer [10][Kundgebung | |
reden] hört, glaubt leicht, dass ein Bezirksparlament für ihn eine zu | |
kleine denn zu große Bühne wäre. Doch trotz des aussichtslosen | |
Listenplatzes ist er nicht resigniert. „Es geht um Repräsentation“, sagt | |
er. „Wir kämpfen um die Anerkennung, die man uns geraubt hat. Dieser Kampf | |
hat nicht mit Gezi begonnen und wird mit der Kommunalwahl nicht enden.“ | |
30 Mar 2014 | |
## LINKS | |
[1] /Korruption-in-der-tuerkischen-Regierung/!134534/ | |
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## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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