| # taz.de -- Groteske aus dem Polizeigewahrsam: Blocked in Turkey | |
| > Unser Autor wollte über die Kommunalwahl in der Türkei berichten. | |
| > Einreisen durfte er nicht – aus der Zelle heraus twittern schon. | |
| Bild: Getwittertes Selfie aus dem Polizeigewahrsam am Flughafen von Istanbul. | |
| Natürlich will ich dabei sein, wenn in der [1][Türkei gewählt wird]. Und | |
| ich will am nächsten Tag dort sein, selbst wenn fast alle meine Freunde | |
| eher ängstlich als hoffnungsvoll auf diesen Tag blicken. Oder gerade darum. | |
| Das Ticket habe ich vor Wochen gebucht. Donnerstagabend, Tegel-Atatürk. | |
| Bei der Passkontrolle in Istanbul suche ich mir einen Polizisten aus, der | |
| etwas schläfrig wirkt. Aus Gewohnheit. Aber auch, weil ich bei meiner | |
| Ausreise vor ein paar Wochen Probleme hatte. Ich war bei den Recherchen für | |
| mein Buch [2][„Taksim ist überall“] etwas länger als die drei Monate im | |
| Land geblieben, die man als deutscher Staatsbürger ohne Visum bleiben darf. | |
| 200 Euro Strafe hat mich das gekostet. Was ich nicht weiß: Man hat gegen | |
| mich eine Einreiseverbot von drei Monaten verhängt. Der Polizist ist zwar | |
| schläfrig, aber nicht sein Computer, der diese Meldung ausspuckt. | |
| Ein anderer Polizist bringt mich zum Schalter für Problemfälle. Ich | |
| beschwere mich, dass man mich über dieses Verbot nicht informiert hat. | |
| „Wenn Sie jemanden töten, wissen Sie auch, dass Sie dafür bestraft werden�… | |
| antwortet er. Der Typ ist ein Arsch. Aber er schafft es, mich sprachlos zu | |
| machen. Was soll man darauf antworten? | |
| Dann bringt mich ein anderer Beamter zur Flughafenwache. Er ist höflicher | |
| und hat Verständnis, kann aber nichts tun. Bei solchen Visumsverstößen | |
| werde manchmal ein Einreiseverbot verhängt, manchmal nicht, erläutert er. | |
| Wovon das abhängt, weiß er nicht, wie mir das auch später niemand sagen | |
| kann. | |
| Auf der Wache will der Polizist wissen, welche Wertsachen ich bei mir habe. | |
| Bin ich jetzt festgenommen? „Nein“, antwortet er. „Sie sind unser Gast.“ | |
| Das brauche er nur fürs Protokoll. Er notiert: Zwei Telefone, Ipad, 140 | |
| Euro und 80 Türkische Lira. Dann bringt mich ein Mitarbeiter der | |
| Flughafensicherheit in eine Sammelzelle. Neonlicht. Spreachanlage. 15 | |
| Klappbetten, auf einigen schlafen schon welche, dazu ein paar Sessel und | |
| eine Reihe mit Metallstühlen. Ein Fernseher läuft. Man werde mich mit dem | |
| ersten Flugzeug zurückschicken, sagt der Mann. Dann fällt hinter ihm die | |
| schwere Eisentür zu. | |
| Festgenommen bin ich nicht. Aber ich bin eingesperrt. Der Unterschied: Ich | |
| darf mein Telefon behalten. Ich komme auch ins Internet, nur nicht auf | |
| Twitter, klar, [3][ist ja gesperrt]. Ich rufe zuhause an. Und die Freundin, | |
| bei der ich die kommenden Tage verbringen wollte, schließlich eine | |
| Anwältin, die mir bestätigt, was mir der Polizist gesagt hat: Ich kann | |
| Widerspruch gegen das Einreiseverbote einlegen, aber nur über das türkische | |
| Konsulat in Berlin. Soll ich Kontakte zu türkischen Abgeordneten oder zur | |
| deutschen Botschaft bemühen? Nein, das ist aussichtslos, vor allem in der | |
| jetzigen Situation. | |
| Stattdessen lasse ich mir erklären, wie man mit einem Mobiltelefon [4][die | |
| Sperre umgeht]. Eine [5][//play.google.com/store:App] und keine fünf | |
| Minuten später bin ich auf Twitter. Alle Welt redet über die Twittersperre | |
| in der Türkei, ich kann aus dem Polizeigewahrsam meine Selfies twittern. | |
| [6][#ImBlockedInTurkey] lautet mein Hashtag. [7][Ein lustiges Land]. | |
| ## „You know Dagestan? Rata-tata-tamm“ | |
| Der andere Unterschied zum Polizeigewahrsam: Man darf auf dem Klo rauchen. | |
| Dort komme ich mit zwei Endzwanzigern aus Dagestan ins Gespräch. „You know | |
| Dagestan? Fucking country, rata-tata-tamm“, sagt der eine und ahmt mit | |
| Händen ein Maschinengewehr nach. Das entspricht ziemlich genau meinen | |
| Kenntnissen über Dagestan. Dann kommen zwei Syrer, schließlich eine Gruppe | |
| von Togolesen. Wer weiß, aus welcher Hölle diese Menschen kommen, in die | |
| man sie morgen zurückschicken wird? Eigentlich müsste ich nach ihren | |
| Geschichten fragen, aber mir ist nicht danach. | |
| Die Syrer legen in der freien Ecke unter dem Fernseher Decken aus und knien | |
| sich zum Beten nieder. Woher wissen sie in diesem fensterlosen Raum, wo | |
| Mekka liegt? Bald darauf bin ich der einzige, der nicht schläft. Der | |
| Fernseher wird abgeschaltet, das Neonlicht bleibt an. Ein internationaler | |
| Schnarchchor ertönt. Es ist fast fünf Uhr, als ich mich auf das letzte | |
| freie Bett lege. Zwei Stunden später brüllt ein Wachmann meinen und einige | |
| weitere Namen. Ich bin der einzige, dessen Namen in der Höflichkeitsform | |
| ausgebrüllt wird. | |
| Ein Sicherheitsmann bringt mich zum Gate. Außer mir wird eine Frau zurück | |
| nach Berlin geschickt; eine Deutsch-Jordanierin im schwarzen Tschador, der | |
| ihr Gesicht offenlässt, aber den ganzen Körper verhüllt. Sie wollte mit | |
| ihren zwei kleinen Kindern zu ihrem türkischen Mann. Sie erzählt, dass die | |
| deutschen Behörden gegen sie ein Ausreiseverbot verhängt hätten. Sie habe | |
| dagegen geklagt und Recht bekommen, dennoch habe man sie nicht einreisen | |
| lassen. In der Frauenzelle war es offenbar noch schlimmer: Weinende Kinder, | |
| kein Mensch, der auf Englisch mit den Leuten sprach. Ich nehme ihr eine | |
| Tasche ab und übersetze, was der Sicherheitsmann sagt. | |
| In Berlin komme ich problemlos durch die Passkontrolle. Sie nicht. Ich | |
| warte. Ein zweiter Polizist kommt und baut sich breitbeinig vor der Frau | |
| auf. Diese Typen sind doch überall die gleichen. „Gehören Sie zu ihr?“, | |
| fragt er mich, die Daumen am Gürtel eingeklemmt. „Ja“, sage ich. | |
| Noch am Flughafen rede ich mit der türkischen Botschaft und fahre dann | |
| direkt zum Konsulat. Türkische Konsulate habe ich als Orte des Grauens in | |
| Erinnerung. Doch die Beamten sind sehr zuvorkommend; fast alle, mit denen | |
| ich zu tun habe, sind Deutsch-Türken. Sie wollen mir helfen. Aber sie sind | |
| nicht dazu befugt, das Einreiseverbot aufzuheben. Sie könnten das beim | |
| Innenministerium beantragen, aber das würde eins bis zwei Wochen dauern, | |
| sagen sie. Zu spät. | |
| Am Sonntag ist Wahl. Ich bin auf [8][Twitter]. | |
| 30 Mar 2014 | |
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| [1] /Kommunalwahl-in-der-Tuerkei/!135679/ | |
| [2] /Beliebte-Internetseite-Ek& | |
| [3] /Kommentar-Twittersperre-in-der-Tuerkei/!135313/ | |
| [4] /Verbote-halten-sie-nicht-auf/!135348/ | |
| [5] http://https | |
| [6] http://twitter.com/search?q=%23ImBlockedInTurkey&src=typd&f=realtime | |
| [7] /!118162/ | |
| [8] http://twitter.com/Besser_Deniz | |
| ## AUTOREN | |
| Deniz Yücel | |
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