# taz.de -- Autor über das Handwerk der Poesie: „Dingen ihren Zauber ablausc… | |
> Robert Schindel ist Heinrich-Mann-Preisträger. Mit der taz spricht der | |
> Schriftsteller über sein nächstes Buch, seine Mutter und einen Kopfstand | |
> mit Marx. | |
Bild: Das Wiener Café Hawelka war seine beste Universität: Der Schriftsteller… | |
taz: Herr Schindel, Sie haben mit dem Heinrich-Mann-Preis ihren insgesamt | |
13. Preis, bekommen, und werden am 4. April 70 Jahre alt. Wie begegnen Sie | |
diesen Tatsachen? | |
Robert Schindel: Was die Tatsachen anlangt, ich nehme es wie's kommt und | |
für Schriftsteller ist es ja nicht das Unangenehmste, wenn man Preise | |
bekommt. Ich bin ein großer Fan von Heinrich Mann, immer schon gewesen, er | |
war der Held meiner Jugend als Schriftsteller. Es ist auch ein bisschen | |
Geld damit verbunden, das macht es mir natürlich leichter, weiter zu | |
arbeiten und an meinen Texten weiter zu schreiben, wenn ein bissl eine | |
Unterfutterung eine materielle da ist. | |
Sonst, weil Sie von 70 sprechen, ich habe jetzt fast die Hälfte meines | |
Lebens hinter mich gebracht und muss jetzt für die zweite Hälfte, die | |
naturgemäß ein bisschen langsamer in den Bewegungen aber schneller in der | |
Zeit ist, mit den Dingen die ich noch machen möchte, zum Beispiel mit dem | |
dritten Teil der Romantrilogie jetzt beginnen und sie versuchen, noch in | |
meiner Lebenszeit fertig zu bekommen. | |
Der erste Teil dieser Trilogie war „Gebürtig“ von 1992, der zweite Teil | |
„Der Kalte“ von 2013. Beide Werke thematisieren das Zusammenleben von Juden | |
und Nichtjuden in Österreich nach der Shoah, „Der Kalte“ etwa bezieht sich | |
unter anderem auf die Waldheim-Affäre. Was wird im dritten Teil passieren? | |
Der dritte Teil wird so um 2003 spielen. Er hat den Arbeitstitel: „Genia | |
und die lichte Zukunft“ und ist eigentlich die Geschichte einer | |
Kommunistenfrau im 20.Jahrhundert, mit den Aufs und Abs, wobei die Abs | |
größer waren als die Aufs: Also mit Moskau in den 30ern Jahren, mit | |
Frankreich und der Résistance, und dann mit dem Widerstand in Österreich, | |
mit Auschwitz und Ravensburg. Ein bisschen angelehnt an das Leben meiner | |
Mutter, die ja 95 wurde und die dieses 20.Jahrhundert quasi erfüllt hat mit | |
ihrem Leben, die aber keine große Funktionärin war. Sie war eine kleine, | |
aber sehr intensive Kämpferin für eine bessere Welt mit allen Licht- und | |
Schattenseiten. Und das zu schildern, und damit – um bei Heinrich Mann zu | |
bleiben – das Jahrhundert durch diese Figur zu besichtigen, das wäre der | |
dritte Teil der Trilogie. | |
Welche Menschen haben Sie in Ihrem Leben geprägt? Wir sprachen schon von | |
Ihrer Mutter, gab es da noch andere Figuren? | |
Die Mutter pflegt ein Kind im Allgemeinen etwas prägend, das ist also | |
nichts Außergewöhnliches nicht. (lacht) Jetzt noch dazu habe ich ja eine | |
Art Heldenmutter gehabt natürlich, ich musste in meinen Zwanzigern heftige | |
Kämpfe mit ihr führen, damit ich da nicht zum Muttersöhnchen oder zum Rex | |
Ödipus mutiere (lacht) oder verbleibe, je nachdem wie man das sehen will. | |
Ich habe dann auf eine andere Weise eingegriffen in mein eigenes Leben, | |
durch Literatur und durch Auseinandersetzungen mit meiner Mutter, aber ich | |
habe auch eine gewisse Art Fortsetzung, wenn auch von lange nicht so | |
heroischer Art, führen können. Die anderen Prägungen sind natürlich meine | |
Verwandtschaft, mein Onkel, ich hatte viel Glück hatte mit der übrig | |
gebliebenen Familie, das waren ja nicht mehr viele. Aber sonst waren das | |
Gestalten der Literatur, sowohl die, die ich in den Büchern gelesen hab, | |
als auch die, die ich kennen gelernt habe. | |
Im Café Hawelka gabs ja einige: H.C. Artmann, auch Qualtinger, den man | |
sozusagen in einem gewissen Sinn auch als Literaten bezeichnen kann. Das | |
Café Hawelka war überhaupt eine Universität, die einzige wirklich gute | |
Universität, die ich je besucht habe. So kommt dann eine Mischung aus | |
Prägungen und eine Mischung aus Einflüssen, aus der man sich dann mühsam | |
aber auch lustvoll seine eigene Sprache und seinen eigenen Ton | |
herausempfindelt. | |
Was hat Sie zum Schreiben gebracht? | |
Zum Schreiben hat mich ein mangelndes Talent am Zeichnen gebracht. Ich | |
konnte nicht zeichnen, ich konnte daher auch die entsprechenden Aufgaben | |
nicht erfüllen. Bei mir war die Naturstudie ein grüner Strich wo Grashalm | |
drunter gestanden ist. So konnte ich auch meiner Mutter und ihrem Bruder zu | |
Geburtstagen oder Muttertagen keine Zeichnungen abliefern wie alle anderen, | |
und bin dann auf Verslein ausgewichen und habe mit sieben, acht begonnen, | |
Reime zu schreiben und darzubieten, das ist nicht mehr abgerissen. Und | |
irgendwie hat sich das als eine zähflüssige Masse erwiesen, und wenn man | |
dann mal beginnt zu trinken davon, dann muss man das Ganze austrinken. | |
(lacht) | |
Wenn wir schon beim Schreiben sind. In „Die kleine Geschichte des | |
Verschwindens“ schreiben Sie: „In der Poesie kommt es darauf an, | |
verwunschene Dinge zu packen.“ Was meinen Sie mit diesen „verwunschenen | |
Dingen“? | |
Es bedeutet, den bloßen Dingen ihren Zauber oder ihre Sprache abzulauschen. | |
Es gibt von Walter Benjamin eine sehr schöne Studie, wo er davon spricht, | |
dass jedes Ding auch eine Sprache hat, nur keine benennende Sprache. | |
Benennende Sprache haben nur wir Menschen, aber auch eine Lampe hat eine | |
Sprache. Und wir müssen diesen Dingen ihre Eigenart abgewinnen. Marx hat | |
gesagt: Den Dingen ihr inhärentes Maß anlegen, heißt auch, nach den | |
Gesetzen der Schönheit vernehmen. Das bedeutet also auch, die | |
Auseinandersetzung mit der Ding-Welt ist ein konstitutives Merkmal, auch | |
von Literatur. Wenn Sie Flaubert lesen, wie die diversen Figuren in ihrer | |
Ding-Welt leben und wie ohne, dass das direkt ausgesprochen wird, die Dinge | |
ihre Rolle spielen, so eine schweigende Sprache haben, die man aber | |
durchaus vernehmen kann – das beschreibt das Handwerkszeug der Poesie. | |
Sie halten seit zehn Jahren Schreibwerkstätten für junge Autoren ab. Was | |
lehren Sie da? | |
Da geht es eigentlich nur um die technischen Voraussetzungen des | |
Schreibens. Ich will jetzt das nicht so simplifizieren, dass ich sage: ein | |
gerader Satz. Man kann ja auf den geraden Satz verzichten, unter der | |
Voraussetzung, dass man ihn schreiben könnte. Das heißt also, eine | |
bestimmte Art und Weise, Gedanken in Sprache zu bringen. Da gibt es | |
bestimmte technische Möglichkeiten, wie man bestimmte schräge Sachen | |
darbietet. Wie man Manierismen vermeidet, wie man Übertreibungen vermeidet, | |
wie man nicht in die Klischeelaunen hinein verfällt. Das machen wir in Form | |
von Übungen. Wer im Prozess des Schreibens ist, dem unterlaufen Klischees | |
und Wörter, wo wir den Rhythmus aufrecht halten, die aber nichts bedeuten – | |
das weg zu bekommen und eine wirklich jeweilig authentische Sprache für | |
jeden Einzelnen zu finden – das ist die Aufgabe der Schreibwerkstatt. | |
Welche Unterschiede sehen Sie zwischen österreichischer und deutscher | |
Literatur? | |
Die sind vielleicht so wie die Unterschiede zwischen irischer und | |
englischer Literatur. In einer großen Sprachfamilie haben die Mitglieder | |
der Familie, die a bissl am Rand sind und die sich schon vermischen mit | |
fremden Sprachen, irgendwie eine andere Ekliptik zur Wirklichkeit, auch | |
eine andere Ekliptik zur Sinnlichkeit. Das Österreichische ist | |
leichtfüssiger und auch a bissl schlampiger, in der Schlampigkeit aber | |
manchmal im Ungefähren auch präziser. Deswegen gibt es ja auch die Wiener | |
Schule, die eine sehr geglückte Dialektdichtung hat, weil das Wienerische | |
sich also sehr eignet, eine große Präzision hat – übrigens das | |
Berlinerische auch – aber dann sind wir auch schon fertig mit den deutschen | |
Dialekten. Die Sprache ist weicher und sie ist anschmiegsamer und hat | |
natürlich auch ihre Unverbindlichkeiten manchmal, also sie hat auch | |
Nachteile. | |
Welche zeitgenössischen Autoren aus Österreich schätzen Sie? | |
Das ist etwas schwierig, weil wenn ich dann einen nicht nenne... Aber | |
natürlich mein Freund Robert Menasse, Kampfgefährte, jüngerer Bruder im | |
Geiste sozusagen, den schätze ich schon wegen seiner eminenten politischen | |
Kraft und Weitsicht, seiner Klugheit und Intelligenz. Dann die Autorin | |
Sabine Gruber, die eine hervorragende Romanautorin ist. Doran Rabinovici, | |
auch mein jüngerer Bruder im Geiste, der von der Theamtik her auch aus dem | |
Jüdischen kommt und ähnliche Themen bearbeitet wie ich. Und es gäbe noch | |
viele mehr: Elfriede Jelinek, Joseph Winkler... | |
Was sind denn Ihre absoluten Lieblingsbücher? | |
Das sind die Romane von Dashiell Hammett, er gilt als Krimiautor, aber er | |
ist natürlich absolute Weltliteratur, sein Kampfgefährte Chandler würde | |
auch noch dazu gehören, dann Isaac Babel und Wolf Biermann in einer | |
legitimen Heine-Nachfolge. Ich könnte noch sehr viele nennen... Paul Celan | |
ist mein Gott, was die Lyrik anlangt. | |
Welche Philosophen haben Sie beeinflusst? | |
Ich bin ein hoffnungsloser Linkshegelianer. Natürlich habe ich, wie alle | |
Linken, den Hegel vom Kopf auf die Füße stellen sollen, mit Hilfe von Karl | |
Marx. Jetzt wäre es manchmal vielleicht nötig, Marx wieder vom Kopf auf die | |
Füße zu stellen mit Hilfe von Hegel, also da gibt es eine dialektische | |
Verfahrensweise mit beiden großen Denker des 19. Jahrhunderts auch ein | |
bisschen so zu verfahren, dass man damit auch in der Moderne ankommt. Da | |
gibt es natürlich so einige, die auf beiden fußen und Einfluss auf mich | |
gehabt haben, nicht zuletzt auch die Strukturalisten und die | |
weiterentwickelte Psychoanalyse, aber eigentlich war es vor allem die | |
Literatur. | |
Was werden Sie noch in Berlin anstellen? Wo halten Sie sich hier gerne auf? | |
Es wechselt, früher bin ich gerne im West-Einstein gewesen, das ist jetzt | |
aber anders. Überall sind runde Tische gedeckt und man hat das Gefühl, man | |
will dort keine Leute mehr im Kaffeehaus sitzen haben, sondern es müssen | |
alle essen. Das ist nicht mehr das, was es war, finde ich, aber der Garten | |
ist noch immer sehr schön. Und sonst die Parisbar a bissl, Zwiebelfisch – | |
also rund um den Savignyplatz herum. Das Walden hab ich ganz gerne gehabt, | |
früher den Torpedokäfer im Osten, und das Uebereck – da gibt's einige. | |
1 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Moritz Holler | |
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