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# taz.de -- Medienprojekt zu Walter Benjamin: Philosophie und Vogelrufe
> Das Projekt „Eingedenken“ folgt dem Fluchtweg Walter Benjamins über die
> Pyrenäen. Mit Audios und Videos regt es zum erneuten Lesen an.
Bild: Benjamins Kritik an der gängigen Zeitauffassung macht sich der Medienkü…
Was ist das Grundprinzip, nach dem die Gesellschaft ihre Organisation
strukturiert? Zeit, würde Walter Benjamin sagen. Der Kulturphilosoph und
-kritiker liefert in seinen Thesen „Über den Begriff der Geschichte“, die
er 1940 im französischen Exil schrieb, eine fundierte Kritik am eintönigen
Vermessen der Zeit.
Das war einige Monate, bevor er sich (nachdem er von den Behörden des
Franco-Regimes an der Weiterreise ins rettende US-amerikanische Exil
gehindert worden war) mit einer Überdosis Morphium das Leben nahm.
Fortschrittskritik, die nicht stumpfer Traditionalismus sein will, so
Benjamin, müsse in erster Linie Kritik am gleichförmigen Fortgang der Zeit
sein, die die Grundlage des Fortschritts darstellt.
Kritik an der gängigen Zeitauffassung macht sich das neue intermediale
Projekt „Eingedenken“ des Düsseldorfer Medienkünstlers Christoph Korn sch…
in der strukturellen Konzeption und Aufführungsform zu eigen. Die Walter
Benjamin gewidmete, von der Hörspielabteilung des Kulturradios SWR 2
produzierte Audio- und Videoarbeit kann man ab Donnerstag zeitsouverän über
die Website [1][eingedenken.de] anhören und besichtigen.
Korn ist für „Eingedenken“ am 14. Mai letzten Jahres Benjamins Weg über d…
Pyrenäen, den er beim Versuch der Einreise nach Spanien genommen hat,
nachgegangen und hat im Gehen für den rein akustischen Teil seiner Arbeit
Benjamins Thesen ins Mikrofon gesprochen. Jeder These ist ein einzelner
fünfminütiger Audiobeitrag gewidmet, sehr langsam, ruhig und bedächtig
gesprochen, gerahmt von der O-Ton-Atmo der Schritte, der Autos, des Windes
und der Vogelrufe.
Auch die 20 Videos sind je fünf Minuten lang. Für sie hat Christoph Korn
eine Videokamera auf den je zurückgelegten Wegabschnitt gerichtet und
unbewegt laufen lassen. Jedes zweite Video ist mit einem Sinuston
unterlegt; die entsprechen in der Tonhöhe den zehn Grundtönen des
Kirchenliedes „Herr, ich glaube fest an dich“ und erzeugen eine fast schon
taktil erfassbare Verbindung des Ohres zum Lautsprecher, der die Tonspur
wiedergibt. Damit greift Korn Benjamins Metapher des Eingedenkens auf, nach
der das „historische Subjekt“ sich einer ganz bestimmten Erinnerung „im
Augenblick der Gefahr“ bemächtigt und sie so dem Vergessen entreißt.
## Eine bedrückende Aktualität
Korns Audio- und Videoschnipsel kann man quasi selbsttätig zum
Gesamtkunstwerk komponieren. Wille zur Eigeninitiative ist auch
erforderlich, weil die Aufmachung der Website stark reduziert ist. Sie
besteht aus einer dreispaltigen und 20-reihigen Tabelle von Links mit den
durchnummerierten Thesen Benjamins und den dazugehörigen Audios und Videos.
Doch erschließt sich das Ganze dann weniger als eigenständiges Kunstwerk,
als vielmehr ein Anstoß, Walter Benjamin neu zu lesen. Denn Korns Arbeit
weist eine bedrückende Aktualität auf, in dem sie eine Parallele zwischen
Benjamins intellektuellem Kampf gegen Nationalsozialismus und Faschismus
und heutigem Erstarken rechten Gedankenguts in ganz Europa zieht.
Dem Konformismus der kapitalistschen Verwertungslogik kann sich Korn jedoch
nicht gänzlich entziehen. Nicht nur weil zeitsouveräner Medienkonsum oft
nur der Reproduktion von Arbeitskraft dienen soll. Eigenartig ist, dass das
frei verfügbare technisch reproduzierbare Werk „Eingedenken“ heute außerd…
auch in einer limitierten Spezialedition beim Onomato-Verlag erscheint.
Nichtsdestotrotz ist das Stück überaus empfehlenswert.
Die ersten sieben Audios zu Benjamins Thesen laufen Donnerstag ab 22.03 Uhr
auf SWR 2, dann folgt bis zum 10. Juli wöchentlich jeweils ein weiterer
Teil.
10 Apr 2014
## LINKS
[1] http://eingedenken.de/
## AUTOREN
Rafik Will
## TAGS
Walter Benjamin
Philosophie
Zeit
Familiengeschichte
Literatur
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