# taz.de -- Kommentar AKP-Herrschaft in der Türkei: Ohne Nachtisch ins Bett | |
> Der Westen muss seine Beziehungen zur Türkei neu ordnen. Doch zu ächten | |
> ist der AKP-Staat, nicht die türkische Gesellschaft. | |
Bild: Ankara in der Wahlnacht: Die Polizei marschiert vor einem Wahllokal auf, … | |
Die AKP hat am Sonntag nicht allein durch Lug und Trug die | |
[1][Kommunalwahl] in der Türkei gewonnen. Ja, ein Teil ihrer Wählerschaft | |
hat nie die kompromittierenden [2][Tonbandaufzeichnungen] gehört und kennt | |
die [3][Gezi-Demonstrationen] nur aus der hassverzerrten [4][Darstellung] | |
von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan und seiner Verlautbarungsorgane. | |
Doch nicht alle AKP-Wähler sind desinformiert. So unterliefen in den | |
vergangenen Wochen auch [5][Erdoğan-Fans] die Internetzensur und hießen auf | |
Twitter die Sperre von Twitter gut. Diese Leute haben entweder materielle | |
Interessen – acht Millionen Mitglieder soll die Partei haben, von denen | |
sich viele schon deshalb nicht über Erdoğans Raubzüge aufregen, weil sie | |
selbst, je nach Rang, ein sattes oder winziges Stück der Beute namens Staat | |
einstreichen. | |
Oder sie fühlen sich von der [6][alten Elite] nicht repräsentiert, | |
verachten den säkularen [7][Lebensstil], finden Straßbenbau wichtiger als | |
Demokratie oder teilen Erdoğans Ideologie aus Islamismus, Nationalismus und | |
Wirtschaftsliberalismus, womöglich auch ein bisschen von der | |
soziopsychologischen Disposition aus [8][Größen- und Verfolgungswahn], die | |
den Ministerpräsidenten auszeichnet. | |
Im Großen und Ganzen hat die AKP auf dieser Grundlage die Wahl gewonnen – | |
und dort, wo es sonst nicht gereicht hätte, allen voran in [9][Ankara], | |
offenbar nachgeholfen. Zuzutrauen ist das dieser Regierung allemal. Wären | |
kurz vor der Wahl nicht die – illegalerweise abgehörten – [10][Planspiele] | |
veröffentlicht worden, die Regierung Erdoğan hätte womöglich aus | |
wahltaktischen Gründen unter einem inszenierten Vorwand Syrien angegriffen | |
und en passant alle Nato-Staaten in den Kriegszustand versetzt. | |
Darauf muss die westliche Welt reagieren. Sie muss ihre Beziehungen zu | |
einem Land neu regeln, das von einer Clique regiert wird, die für den | |
eigenen Machterhalt zu allem bereit ist: von der Anzettelung eines Kriegs | |
über die Manipulation von Wahlen, von der Unterwerfung der Justiz bis zur | |
exzessiven Polizeigewalt. | |
Ein Land, das in Sachen [11][Meinungsfreiheit] in einer Liga mit Iran, | |
China und Russland spielt und es in Sachen Korruption mit jeder | |
Bananenrepublik aufnehmen kann, gehört auch so behandelt. Das heißt: Man | |
muss, wie Boris Kálnoky neulich in der Welt [12][schrieb], die AKP-Führung | |
um Erdoğan und seine persönliche Entourage ächten. Man muss ihnen | |
[13][Einreiseverbote] erteilen. Ihre Konten im Ausland sperren. Geschäfte | |
mit ihnen meiden. Sie ohne Nachtisch ins Bett schicken. | |
## Sicherheitsrisiko Erdoğan | |
Die Türkei steuert unter Erdoğan auf eine Diktatur zu. Und sie ist ein | |
Sicherheitsrisiko – zuvörderst für die eigenen Bürger, aber auch für die | |
Nato-Länder. Und natürlich ist es an der Zeit, die Beziehungen zur EU zu | |
suspendieren. Es wäre der Moment, an dem, sagen wir, [14][Claudia Roth] | |
oder Gregor Gysi diese Forderung erheben könnte anstatt sie der CSU zu | |
überlassen. Bei einem wie CSU-Generalsekretär [15][Andreas Scheuer] ist es | |
bloß das alte Ressentiment, das sich in neue Argumente kleidet. | |
Aber zu ächten ist der AKP-Staat, nicht die türkische Gesellschaft. Nicht | |
all die [16][Menschen], die in der Wahlnacht die Stimmauszählung überwacht | |
haben, immer noch für eine korrekte Stimmauszählung kämpfen und das | |
repräsentieren, was Europa gern wäre. Ihnen muss man beistehen. | |
Konkret heißt das zum Beispiel: Unterstützung für die kommunalen | |
Verwaltungen, die von der Opposition regiert werden, von der | |
kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, der prokurdischen BDP oder gar der | |
nationalistischen MHP. Die CHP-Regierung der säkularen Metropole Izmir etwa | |
bekommt nur wenig Unterstützung vom Zentralstaat, weshalb in Izmir kaum | |
noch jemand investiert. Dort kann Europa etwas tun. | |
Denn das Merkel-Europa hat zur autoritären Wende in der Türkei beigetragen. | |
Vor zehn Jahren, zu Beginn der AKP-Herrschaft, war die türkische | |
Gesellschaft nicht in der derselben Weise polarisiert wie heute. Damals gab | |
es ein Unterfangen, das jenseits aller sonstigen Differenzen, fast | |
sämtliche Milieus einte: die Mitgliedschaft in der EU. Daran glaubt schon | |
lange niemand mehr. Und die Abweisung der Türken fand nicht nur an | |
Verhandlungstischen in Brüssel statt; jeder türkische Bürger, der sich | |
einmal um ein Touristenvisum für ein beliebiges EU-Land bemüht hat, kennt | |
sie aus eigener Erfahrung. | |
Visa könnten bald wieder zum Thema werden. „Bloß raus aus diesem | |
[17][Scheißland]“, war nach der Wahl die erste [18][Reaktion] vieler | |
jüngerer Gegner der AKP. Falls Erdoğan nun – oder nach einem Erfolg bei der | |
Parlamentswahl im kommenden Jahr – wie [19][angekündigt] zum Rachefeldzug | |
ausholt, könnten viele tatsächlich das Land verlassen wollen, in manchen | |
[20][Fällen] gar müssen. Einreiseerleichterungen für diese Menschen | |
entsprächen Einreiseverboten für die anderen. Verachtenswert ist nicht die | |
Türkei, verachtenswert ist die Bande, die sich ihrer bemächtigt hat. | |
1 Apr 2014 | |
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[12] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article126331835/Es-ist-Zeit-Erdogan… | |
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## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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