Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die deutsche Haltung zu Russland: Warnung vor dem Iwan
> Der Ukraine-Konflikt spaltet die Deutschen in Russenhasser und
> -versteher. Das Gedenken an den 2. Weltkrieg kann dabei aber nicht zur
> Debatte stehen.
Bild: Dieser Panzer soll verschwinden, findet jetzt auf einmal die „Bild“-Z…
Es könnte Krieg geben. Nicht in der Ukraine, nicht in Moskau, Washington
oder im Nato-Hauptquartier in Brüssel. Sondern in deutschen
Leserbriefspalten. Der Konflikt an der Ostgrenze der Europäischen
Gemeinschaft spaltet die Bundesrepublik in Russenhasser und
Russenversteher.
Während die eine Seite eine rasche Aufrüstung gegen die Gefahr aus dem
Osten verlangt, die gemeinsamen Werte des Westens beschwört und die Ukraine
umstandslos in die Nato eingemeinden will, meinen andere, Russlands Griff
nach der Ukraine in Schutz nehmen zu müssen.Wladimir Putin wehre sich
lediglich gegen eine westliche Expansion und verteidige „russischen Boden“,
lautet deren Legende. Moskauer Propaganda wiederholend glauben sie in der
Ukraine eine illegitime Faschistenbande an der Macht, deren sich der
tapfere Kremlchef erwehren müsse.
Andere wiederum nehmen die Ukraine-Krise zum Anlass, zu den lange gewohnten
Feindbildern zurückzukehren. Den Russen war noch nie zu trauen, so fassen
sie die Ereignisse zusammen. Es war der Bild-Zeitung vorbehalten, die
antirussischen Ressentiments der Deutschen in eine griffige Forderung zu
bündeln. „Wir wollen keine Russen-Panzer am Brandenburger Tor!“, lautete
ihre Schlagzeile auf Seite 2 am Dienstag.
Das Blatt lieferte dazu gleich eine Petition an den Deutschen Bundestag zum
Ausschneiden mit, in der es heißt: „In einer Zeit, in der russische Panzer
das freie, demokratische Europa bedrohen, wollen wir keine Russen-Panzer am
Brandenburger Tor!“ Die Politik Wladimir Putins gegenüber der Ukraine soll
also den Anlass dafür bieten, die sowjetischen Denkmäler in Erinnerung an
den Zweiten Weltkrieg in Deutschland zu schleifen.
Man mag einwenden, die Bild sei schließlich nur die Bild, von der man ja
wisse, was von ihr zu halten ist. Doch diese Schlagzeile markiert eine
Rückbesinnung auf den Kalten Krieg, wie es sie seit fast 25 Jahren nicht
mehr gegeben hat. „Russen-Panzer“ versus „Freiheit“ – mit diesem
Begriffspaar versucht man wieder Politik zu machen. Fast ist man da
versucht, einen Solidaritätsbesuch auf dem Moskauer Roten Platz zu buchen.
## Im Gesetz steht: Die Panzer bleiben
Der von Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg hat 27 Millionen
Sowjetbürgern das Leben gekostet. Die Panzer am Brandenburger Tor stehen
für den Sieg über den deutschen Faschismus, und sie erinnern auch an
ebendiese 27 Millionen. Der sowjetische Sieg über Nazi-Deutschland ist bis
heute bestimmend für die russische Geschichtskultur geblieben.
Dabei kann es für die Deutschen keine Rolle spielen, dass diese russische
Gedenkkultur in anderen Traditionen verhaftet ist als die deutsche. Das
Zurschaustellen von siegreichen sowjetischen Panzern, wie es überall im
ehemaligen Ostblock zu sehen ist, entspricht nicht gerade modernen
Vorstellungen der Museumspädagogik. Diese Militärgeräte verkörpern nicht
Frieden und Debattenkultur, sondern Macht und Gewalt. Sie inszenieren den
Sieg der Roten Armee über die Wehrmacht als militärisches Spektakel, mit
dem Hissen der roten Fahne auf dem Reichstag als Höhepunkt sowjetischer
Ikonografie. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.
In diesem Fall allerdings nicht: Denn die Bundesrepublik Deutschland hat im
Rahmen der 2 + 4-Verträge von 1990 gegenüber den Siegermächten des Zweiten
Weltkriegs zugesichert, diese Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg zu
pflegen. „Die auf deutschem Boden errichteten Denkmäler, die den Opfern des
Krieges und der Gewaltherrschaft gewidmet sind, werden geachtet und stehen
unter dem Schutz deutscher Gesetze“, heißt es wörtlich im entsprechenden
Anhang des Vertrags, der Deutschland die Wiedervereinigung und volle
Souveränität schenkte. Kurz gesagt: Die „Russen-Panzer“ werden bleiben, so
steht es im Gesetz.
## Lieber kein Ärger mit Russland
Das werden die Bild-Redakteure gewusst haben. Sie haben ihre Geschichte
dennoch gebracht, wohl auch, um die Stimmung in der Bundesrepublik zu
drehen. Die Wiedererweckung des Kalten Kriegs mag und mag in diesem Land
nicht gelingen. Einstweilen ist von einer Volksinitiative gegen russische
Panzer wenig zu verspüren, egal ob diese nun am Brandenburger Tor oder an
der Ostgrenze der Ukraine stehen. Die Deutschen möchten in ihrer Mehrheit
keinen Ärger mit Russland. Was, wenn der Konflikt außer Kontrolle gerät,
wenn ein Krieg in Mitteleuropa droht – oder doch zumindest ein leichtes
Ansteigen der Gaspreise?
Diese Furcht hat die hiesige Bevölkerung ganz offenbar in ihrer Mehrheit zu
der Schlussfolgerung gebracht, lieber den Ball flach halten zu wollen. Die
Ukraine ist weit weg. Wenn die Mehrheit der Krimbewohner nun einmal Russen
sind, warum sollen sie dann nicht zu Russland gehören? Wenn sie im Osten
des Landes für Putin demonstrieren, was spricht dagegen, dass Russland
diesen Landesteil übernimmt?
Das ist ein ausgesprochen bequemes Denken. Es setzt sich nicht nur über
völkerrechtliche Grundsätze hinweg. Vor allem postuliert es die Legitimität
eines Ethnonationalismus, nach dem Länder befugt sind, überall dort
einzugreifen, wo Angehörige der eigenen Nationalität leben. Mit demselben
Recht dürfte demnächst Österreich Italien angreifen, um die Südtiroler zu
schützen. Frankreich könnte einen Teil Belgiens okkupieren, weil dort
Französisch gesprochen wird. Die Deutschen hätten das Recht, den Süden
Dänemarks zum Schutz der dortigen Deutschen zu besetzen, während es
umgekehrt den Dänen erlaubt wäre, den Norden Schleswig-Holsteins
einzugliedern, weil dort schließlich eine dänische Minderheit lebt.
So etwas nennt man völkisches Denken, und man glaubte bis vor Kurzem, es
sei in weiten Teilen Europas glücklicherweise ausgestorben. Nun soll
deutschen Putin-Unterstützern keinesfalls unterstellt werden, sie wünschten
sich einen ethnonationalistischen Krieg in Mitteleuropa. Nein, sie wollen
überhaupt keinen Krieg, und deshalb gelten für sie offenbar doppelte
Standards, die der Russischen Föderation eine Politik erlauben, die
ansonsten als geächtet gilt.
## Modell Österreich?
##
Dagegen loben wir uns doch die Bild-Zeitung. Ihre Position ist wie immer
klar wie Kloßbrühe. Die USA und der gesamte Westen sind die Guten, Putin
und seine „Russen-Panzer“ sind hingegen grundböse. Tatsächlich hat der
Westen bisher eine eher langmütige Politik gegenüber den russischen
Interventionen Russlands verfolgt, hat weder Nato-Panzer nach Polen
geschickt noch die Ukraine zum Einschreiten im Osten des eigenen Landes
gedrängt. Davon träumen derzeit höchstens einige Kalte-Kriegs-Strategen in
manchen Zeitungsredaktionen.
Dabei ist das Gerede vom Kalten Krieg, das von beiden Seiten angestimmt
wird, barer Unsinn. Denn dazu gehören ideologische Trennlinien, die es
längst nicht mehr gibt. Die Vereinigten Staaten und Russland sind
kapitalistische Staaten – mit freiem Unternehmertum, Aktienbörsen,
fröhlichen Milliardären und bedauernswerten Bettelarmen. Ein allerdings
gewichtiger Unterschied besteht lediglich in ihren Vorstellungen von
demokratischen Freiheiten, von Rechten für Homosexuelle etwa oder von
Presse- und kultureller Freiheit. Wir müssen hier nicht ausführen, welches
der beiden Länder da gewisse Probleme hat.
Zum Kalten Krieg gehörten selbstverständlich Einflusszonen, die der jeweils
anderen Seite zugebilligt wurden. So wie es der Westen bei Verbalnoten
beließ, als die Sowjetunion in der Tschechoslowakei den Prager Frühling mit
Gewalt beendete, so hielt sich der Osten zurück, wenn die USA in Chile für
ihre Vorstellung von Ordnung sorgten.
Heute sind diese Einflusszonen nicht mehr so streng festgelegt –
glücklicherweise. Das Interesse der USA, die Ukraine unter ihre Fittiche zu
nehmen, ist dennoch unverkennbar. Die Interessen Russlands wiederum sind zu
offensichtlich, um hier noch große Worte darüber zu verlieren. Wladimir
Putin wünscht sich ganz offenbar einen Vasallenstaat.
Wie wäre es, wenn man die „Russen-Panzer“ am Brandenburger Tor als ein
Geschenk der untergegangenen Sowjetunion begreifen würde, die Deutschland
zusammen mit den US-Amerikanern befreit hat? Ist es nicht vorstellbar, dass
die Ukraine ähnlich unabhängig werden kann wie etwa Österreich? So ganz
ohne Mitgliedschaft in der Nato oder der sogenannten Eurasischen Union?
Und ist es nicht zumindest einen kurzen Gedanken wert, es den Ukrainern
selbst zu überlassen, über ihre eigene Zukunft zu entscheiden?
15 Apr 2014
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
Russland
Ukraine
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Rote Armee
Wladimir Putin
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Russland
Wladimir Putin
Ostukraine
Ukraine
Ukraine
Ukraine
Ukraine
Krim
Russland
Präsidentschaftswahl
Ukraine
Ukraine
Barack Obama
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gedenkpolitik in Russland: Iwan, nicht mehr ganz so schrecklich
Der einstige Moskauer Zar Iwan, „der Schreckliche“, galt lange als zu
grausam, um seiner zu gedenken. Nun bekommt er ein Denkmal.
Kirchen und der Konflikt in der Ukraine: Eine zerklüftete Landschaft
Für Moskau liegt die Wiege der russischen Orthodoxie in Kiew. Doch immer
mehr Ukrainer versuchen, sich diesem Anspruch zu entziehen.
Putin bei Fragestunde im Fernsehen: Draht zum Volk
Es ist die Stunde der Propagandisten: Wladimir Putin stellt sich den Fragen
aus dem Publikum. Auch Edward Snowden liefert eine Vorlage für den
Präsidenten.
Unruhen in der Ukraine: Putin behält sich Militäreinsatz vor
Während in Genf der Krisengipfel zur Krise in der Ukraine begonnen hat,
spitzt sich die Lage im Osten des Landes weiter zu. Die EU droht Moskau
schärfere Sanktionen an.
Russland und die Ostukraine: Die Waffenschmiede Moskaus
Nicht nur die Ukraine ist von Russland abhängig. Auch Moskau ist auf
Rüstungsimporte aus den Ostprovinzen seines Nachbarlands angewiesen.
Kommentar Ukraine-Gespräche: Frech kommt weiter
Nur Russland hat für das Krisentreffen in Genf eine Agenda. Die West-Mächte
taktieren. Der hilfsloseste Gesprächsteilnehmer ist die Ukraine.
Kampf um die Ostukraine: „Kiew hat keine Eier in der Hose“
Der „Antiterrorkampf“ im Osten des Landes ist stecken geblieben. Soldaten
wechseln die Seite, Bewohner beklagen die fehlende Macht der
Zentralregierung.
Krise in der Ukraine: Russland hält sich alles offen
Der russische Präsident Putin warnt vor einer gefährlichen Zuspitzung der
Lage im Osten des Landes. Er sieht auch die Krisengespräche in Genf dadurch
in Gefahr.
Der Preis der Annektierung: Die Krim wird für Moskau teuer
Fehlende Wasserleitungen, Einbrüche im Touristengeschäft,
Wirtschaftssanktionen der Ukraine: Auf Russland kommen bis zu 60 Milliarden
Euro Kosten zu.
Spezialeinsatz in der Ostukraine: Armee nimmt Flugplatz ein
Bei Kämpfen mit prorussischen Separatisten in Kramatorsk soll es Tote
gegeben haben. Der Kreml fordert von Ukraines Regierung, den Militäreinsatz
sofort zu stoppen.
Ukrainische Präsidentschaftswahlen: Der verprügelte Kandidat
Oleg Zarjow macht aus seiner Nähe zu Russland keinen Hehl. Nun wurde er in
Kiew von Radikalen krankenhausreif geschlagen.
Umzug in die Ukraine: Adieu, Krim!
3.000 Menschen haben mittlerweile die Krim verlassen. Die Familie Sasin
gehört dazu. Russland war für sie keine Option. Doch der Neustart ist
holprig.
Kommentar Ukraine und die EU: Immer Ärger mit dem Mittelweg
Die EU-Außenminister eskalieren die Krise in der Ukraine weiter. Dringend
müssten sie Bedingungen an die Finanzhilfe für Kiew knüpfen.
Putin bestreitet Einmischung in Ukraine: Anruf aus Washington
Bei einem Telefonat mit Barack Obama lehnt Putin die Verantwortung für die
Unruhen in der Ukraine ab. Dort wächst auch die Sorge vor wirtschaftlichen
Problemen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.