# taz.de -- Gedenkpolitik in Russland: Iwan, nicht mehr ganz so schrecklich | |
> Der einstige Moskauer Zar Iwan, „der Schreckliche“, galt lange als zu | |
> grausam, um seiner zu gedenken. Nun bekommt er ein Denkmal. | |
Bild: Noch ein bisschen die Wangen tätscheln, dann ist Iwan bereit | |
Wer Russland in den letzten 430 Jahren regierte, ließ die Finger von ihm. | |
Niemand kam auf die Idee, dem ersten gekrönten Moskauer Zaren ein Denkmal | |
zu setzen. Selbst blutrünstige Nachfolger konnten sich mit Iwan IV – dem | |
„Schrecklichen“ – nicht anfreunden. Zu intensiv hatte der Zar sadistische | |
Leidenschaften am eigenen Volke ausgelebt. Ein Tabu stand selbst unter | |
Massenmörder Josif Stalin einer Huldigung im Wege. | |
Das soll sich nun ändern, beschloss Wadim Potomskij, Gouverneur des | |
Gebietes Orjol, 350 Kilometer südwestlich von Moskau. Zum 450. Gründungstag | |
der gleichnamigen Stadt soll ein Reiterstandbild Iwans den Platz – „Freier | |
Raum“ – vor dem Theater der Jugend schmücken. Angeblich errichtete der Zar | |
die Stadt als Bollwerk gen Süden, urkundlich ist jedoch nichts belegt. Auch | |
soll er nie vor Ort gewesen sein. | |
Die historische Begründung ist dürftig. Doch in bewegten Zeiten | |
[1][schreiben viele an Russlands Geschichte mit] – vorausgesetzt die neuen | |
Erzählungen halten sich an [2][den derzeitigen Kult ewiger russischer | |
Größe]. | |
Wie Vorbild Iwan duldete auch der Gouverneur keinen Widerspruch. Inzwischen | |
wurde die Einweihung des Monuments jedoch auf September verschoben. | |
Präsident Wladimir Putin und Patriarch Kirill werden zu den Feierlichkeiten | |
im August erwartet. Anscheinend möchten sie nicht in die Affäre um Iwan | |
hineingezogen werden. | |
## Troika der Anbetungswürdigen | |
Dennoch demonstriert der Gouverneur mit der Aktion Loyalität gegenüber dem | |
Gespann aus Staat und Kirche. Außer Iwan, Peter dem Großen gehört Stalin | |
noch zur Troika der Anbetungswürdigen. Sie hätten das Wohl des Staates im | |
Auge gehabt und seien hart und unerbittlich gewesen, schwärmt Potomskij. | |
Potomskij trägt den Beinamen „Abfall-Oligarch“. Müll machte das | |
kommunistische Parteimitglied zum Multimillionär. Warum verehrt er | |
ausgerechnet den „Schrecklichen“? Unter einem wie Iwan hätte es nie eine | |
Oktoberrevolution gegeben, verblüfft der Kommunist. Daraus spricht eher ein | |
Geisteszustand denn eine Geisteshaltung. | |
Orjols Bürger sind nicht zuletzt auch deswegen empört, weil einem | |
Kindesmörder just vor dem Jugendtheater ein Monument errichtet werden soll. | |
Die Historie belegt: Iwan S. erschlug den Sohn, als dieser seiner Gattin | |
zur Hilfe eilte. Der Zar vertrimmte die schwangere Schwiegertochter wegen | |
laxer – wohl unschicklicher- Kleiderordnung. Eine Totgeburt war die Folge. | |
Der Sohn erlag einer Kopfverletzung, die der rasende Vater ihm beibrachte. | |
Gouverneur Potomskij leugnet die Fakten der älteren russischen | |
Geschichtsschreibung und steht damit nicht mehr allein. Auftragshistoriker | |
bemühen sich, furchteinflößende Züge und Wahnsinn des Gebieters zu mildern. | |
Ja, ihm das Maß eines menschlichen, wenn auch impulsiven Herrschers | |
zuzuschreiben. Die Geheimtruppe der opritschnina, die über das eigene Land | |
herfiel, es ausplünderte, entvölkerte und sich in orgiastischen Blutbädern | |
berauschte, mausert sich unter den neuen Federn zu einer Stabilität | |
fördernden Ordnungskraft mit Vorbildcharakter. Fazit: Bei uns ging es nicht | |
brutaler zu als im übrigen Europa. | |
## Iwan, der fanatisch Gläubige | |
Positiv wirken sich auch Iwans religiöse Belesenheit und beinah fanatische | |
Gläubigkeit für die Neubewertung aus. Nach jedem Verbrechen übte sich der | |
Zar in Demut, spendete der Kirche Geld und ließ für das Seelenheil seiner | |
Opfer in Klöstern beten. | |
Vor zehn Jahren lehnte die orthodoxe Kirche eine Heiligsprechung des | |
Sünders noch ab, die Bewunderer aus der Kommunistischen Partei gefordert | |
hatten. | |
Nach und nach wird des „Schrecklichen“ Image jedoch weichgespült. Zurück | |
bleibt ein nur noch „Gestrenger“. Die Etymologie des Wortes grosnij ließe | |
das auch noch zu. | |
Imperiale Zugewinne, Feindseligkeit gegenüber dem Westen und Stärkung der | |
zentralen Rolle Moskaus unter Iwan rechtfertigen einen ehrenvollen Platz | |
unter den Großen der Geschichte. | |
Dem Fetisch „russische Staatlichkeit“ werde im Namen Iwans ein Denkmal | |
gesetzt, meint Andrej Jurganow, Professor für altrussische Geschichte in | |
Moskau. Leider seien diese Denkmale Symptome einer Krankheit, die das ganze | |
Land befallen habe: der Rückkehr zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte. | |
5 Aug 2016 | |
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## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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