# taz.de -- Inklusion in Deutschland: Kulturkampf um Henri | |
> Ein Junge mit Downsyndrom soll nach dem Willen seiner Eltern aufs | |
> Gymnasium statt zur Sonderschule gehen. Die Lehrer wehren sich dagegen. | |
Bild: Henri schaut mit seiner Mutter und einem Mitschüler Fotos an | |
TÜBINGEN taz | Henri gehört dieser Tage zu den bekanntesten Kindern | |
Deutschlands. Der Elfjährige mit Downsyndrom sorgt bundesweit für | |
Diskussionen, weil ihn seine Eltern nicht auf die Sonderschule, sondern mit | |
seinen Grundschulfreunden auf das Gymnasium in Walldorf | |
(Rhein-Neckar-Kreis) schicken wollen. Doch die Elternschaft und die Lehrer | |
des Gymnasiums haben es abgelehnt, Henri aufzunehmen. | |
Eine Internet-Petition, die bereits gut 24.000 Menschen unterzeichnet | |
haben, fordert den baden-württembergischen Kultusminister Andreas Stoch | |
(SPD) auf, eine Entscheidung zugunsten von Henri zu treffen. Theoretisch | |
könnte der den Schulversuch anordnen. Stoch betont aber, ihm sei wichtig, | |
dass die betroffene Schule eine Lösung mittrage. | |
Nun erarbeitet das Schulamt in Mannheim Angebote für Henri und seine | |
Eltern, um eine wohnortnahe inklusive Beschulung anzubieten. Noch im Mai | |
soll es einen Kompromiss geben. Der kommt für Henris Eltern aber kaum | |
infrage. Denn sie wollen, dass ihr Sohn aufs Gymnasium geht, weil die | |
Mehrheit seiner Freunde dorthin wechselt. | |
Dass Henri von der Schule abgelehnt wurde, ist für Gerd Weimer „ein | |
trauriger Vorgang“. Weimer ist Beauftragter der Landesregierung für die | |
Belange von Menschen mit Behinderung. „Für die Schule beschämend“ findet | |
er, dass nur ein Lehrer aus dem Kollegium bereit gewesen wäre, mit der | |
Inklusionsklasse zu arbeiten. | |
## Lehrerverbände äußern Zweifel | |
Das Gymnasium liegt in einer Modellregion, in der Inklusion vorangetrieben | |
wird. Henri hat einen sonderpädagogischen Betreuer an seiner Seite, der ihn | |
auch auf die weiterführende Schule begleiten würde. „Dieses | |
Ressourcenangebot war sehr gut“, sagt Weimer. Deshalb habe er kein | |
Verständnis für die Ablehnung der Lehrer. | |
Mehrere Lehrerverbände hatten ihre Zweifel daran geäußert, ob es Henris | |
Wohl diene, wenn er am Gymnasium unterrichtet werde. Schließlich werde der | |
Junge merken, dass er nicht mithalten kann. Seinen Eltern ist durchaus | |
bewusst, dass Henri nie einen Schulabschluss schaffen wird. Darum gehe es | |
auch gar nicht, sagen sie, sondern um den Erhalt seines sozialen Umfelds. | |
Der Landesschülerbeirat hat sich für Henris Inklusion ausgesprochen. | |
Dadurch könnten Toleranz und gesellschaftlicher Zusammenhalt am Gymnasium | |
besser vermittelt werden. | |
Unterstützung erhalten Henris Eltern auch von der Elterninitiative | |
mittendrin e. V. aus Nordrhein-Westfalen, die sich „fassungslos“ über den | |
angezettelten „Kulturkampf“ in Baden-Württemberg zeigte. Eva-Maria Thoms | |
von mittendrin e. V. sagt: „Es ist schon erschütternd, dass selbst hoch | |
gebildete Menschen sich Schulunterricht offenbar nur als Veranstaltung | |
vorstellen können, in der alle Schüler im Gleichschritt einen | |
Durchschnittslernstoff pauken.“ | |
## Lehrer gegen Schulämter | |
Sie kritisiert außerdem die Landesregierung. Es könne nicht sein, dass man | |
zusehe, wie Lehrer vor Ort Entscheidungen der Schulämter kippen, „um einen | |
einzelnen Schüler loszuwerden“. Das Schulamt hatte die Eltern in ihrem | |
Wunsch, Henri aufs Gymnasium zu schicken, unterstützt. | |
Weimer tritt wie Stoch einer Pauschalisierung entgegen. „Man kann nicht | |
sagen, dass alle Gymnasien in Baden-Württemberg so ticken“, sagt der | |
Behindertenbeauftragte. An drei Gymnasien im Land werden bereits geistig | |
behinderte Kinder unterrichtet – allerdings in eigenen Klassen für | |
Sonderschüler. | |
Der Behindertenbeauftragte rät davon ab, dass Kultusminister Stoch die | |
Sache selbst entscheidet: „Ich würde das Gymnasium an seiner Stelle nicht | |
anweisen, das Kind aufzunehmen, wenn es dort so unwillkommen ist.“ | |
Bei verordneter Inklusion gebe es nur Verlierer. Stattdessen möchte er, | |
dass das Walldorfer Gymnasium vom Minister Hausaufgaben aufbekommt. „Die | |
Schule soll ihre Fortbildung intensivieren und in zwei Jahren ein Konzept | |
vorlegen, wie sie künftig mit so einem Fall umgehen will.“ | |
7 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Lena Müssigmann | |
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