# taz.de -- Teilhabe behinderter Menschen: Kind betreut, Eltern verschuldet | |
> Im schleswig-holsteinischen Kreis Stormarn sollen Eltern für den Platz | |
> ihrer schwerbehinderten Kinder in betreuten Wohnheimen nun selbst | |
> bezahlen. | |
Bild: Schwerbehinderte Kinder haben ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftliche… | |
KIEL taz | Familie Klein sitzt auf einem Schuldenberg – angehäuft hat sie | |
diesen ohne ihr Wissen. Die Kleins leben im schleswig-holsteinischen Kreis | |
Stormarn und haben ihre schwerbehinderte Tochter in einer heilpädagogischen | |
Wohngruppe untergebracht. Bislang zahlten sie 300 Euro im Monat für Essen | |
und Alltagsbedarf, den Rest hat der Kreis übernommen. Nun sollen die Eltern | |
eine vierstellige Summe pro Monat dazuzahlen. Rückwirkend ab dem Tag des | |
Antrags und so sind einige Zehntausend Euro aufgelaufen. | |
Imke Colshorn, Leiterin des Fachbereichs Soziales im Kreis Stormarn, beruft | |
sich auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Niedersachsen-Bremen. Das | |
Urteil weist auf den Unterschied von Schulbildung und Eingliederungshilfe | |
hin. Letztere wird wie Hartz IV erst bezahlt, wenn das eigene Vermögen, bei | |
Kindern das der Eltern, aufgebraucht ist. | |
Die Kleins haben sich mit anderen betroffenen Eltern zusammengeschlossen. | |
„Wir hoffen auf ein Einlenken“, sagt Volker Klein. „Berappen können wir … | |
Summe nicht.“ Schon die Rückzahlung bringe die fünfköpfige Familie in | |
Schwierigkeiten. Sie müssten das Haus verkaufen, die Altersvorsorge | |
auflösen. | |
Dirk Mitzloff, stellvertretender Landesbeauftragte für Menschen mit | |
Behinderung in Schleswig-Holstein, nennt das Vorgehen „schwer erträglich“. | |
Juristisch ist der Fall nicht eindeutig, andere Kreise könnten dem | |
Stormarner Beispiel folgen. In einem offenen Brief schreiben die Eltern, | |
Behinderung sei ein Einzelschicksal, „aber bisher sind wir davon | |
ausgegangen, dass die Sorge um Menschen mit Behinderung als | |
gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen wird“. Reagiert hat der Kreis auf | |
diesen Appell bisher nicht. | |
Es ist unstrittig, dass die geistig und teilweise körperlich | |
mehrfachbehinderten Kinder ein Recht auf die personalaufwendigen | |
Wohngruppen haben. „In jedem einzelnen Fall wurde die Unterbringung | |
bewilligt“, sagt Ursula Johann von der Organisation Lebenshilfe, die solche | |
Heime im Kreis betreibt. | |
Kinder haben ein Recht auf „Hilfe zur schulischen Ausbildung“, heißt es im | |
Sozialgesetzbuch. „Mit diesem Paragrafen wurde der Aufenthalt in den | |
Wohngruppen seit Jahren begründet“, sagt Johann. Und Folgeanträge wurden | |
immer wieder bewilligt. So machten sich die Eltern wie die Kleins auch | |
keine Sorgen, als ihre Anträge auf Verlängerung monatelang nicht | |
beantwortet wurden. Nicht einmal, als das Amt einen Überblick über das | |
Vermögen der Eltern verlangte, wurden sie misstrauisch. Dann kamen die | |
Rechnungen. „Wir melden uns arbeitslos, dann zahlt der Kreis wieder“, sagt | |
Volker Klein sarkastisch. | |
Als bei ihrer dritten Tochter ein Down-Syndrom festgestellt wurde, | |
beschlossen die Kleins: „Das schaffen wir.“ Viele Kinder, die mit diesem | |
Gen-Defekt geboren werden, entwickeln sich gut. „Aber Friederike hat es | |
doppelt erwischt“, sagt Volker Klein. Das Mädchen hat ein Asperberger | |
Syndrom, eine Autismus-Variante. Das ergibt eine schwierige Mischung: | |
Friederike will sich verständlich machen und kann es nicht, sie wird | |
zornig, wirft mit Sachen, schlägt und kneift. Bis sie zehn Jahre alt war, | |
kümmerte sich ihre Familie um sie. Ihre Mutter arbeitete nur halbtags, die | |
älteren Schwestern und die Großeltern halfen. „Irgendwann merkten wir, dass | |
wir nicht weiterkommen“, sagt Volker Klein. Seit Friederike in der | |
Wohngruppe ist, gehe es aufwärts, sie ist wieder beschulbar. | |
„Die Verwaltung scheint die Kosten mit allen Mitteln reduzieren zu wollen“, | |
sagt der Behindertenbeauftragte Mitzloff. Generell sei das Leben in einer | |
Wohngruppe eine Hilfe zum Schulbesuch, es müsse aber im Einzelfall genau | |
überprüft werden. Den Eltern im Nachhinein Kosten aufzudrücken, sei auf | |
jeden Fall untragbar. „Der Kreis hat die Pflicht, umfassend aufzuklären, | |
auch über die Kostenfolgen“, sagt Mitzloff. Das wäre ein Teilerfolg für die | |
Eltern, deren Kinder noch in den Heimen leben. Volker Klein will die Frage | |
im äußerten Fall gerichtlich klären. | |
14 Jul 2014 | |
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