Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gesetzesänderung: Hilfe für psychisch Kranke
> Medikamentöse Zwangsbehandlungen sollen besser im Sinne der Betroffenen
> geregelt werden. Doch diese bleiben skeptisch – genauso wie die Politik.
Bild: Wann dürfen Medikamente unter Zwang verabreicht werden? Das soll neu ger…
Nächste Woche soll das Gesetz zu Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch
Kranke beschlossen werden. Es ist kein neues Gesetz, sondern eine Änderung
des bereits bestehenden, bekannt unter seinem Kürzel „Psych KG“.
Notwendig wurde diese Änderung, weil die darin enthaltenden Regeln zu
Zwangsmaßnahmen unvereinbar sind mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
Diese definiert psychische Erkrankungen als Behinderung – in dem Sinne,
dass die Betroffenen an gesellschaftlicher Teilhabe gehindert werden.
Bremer Selbsthilfegruppen hatten deshalb 2009 eine Neufassung des Psych KG
gefordert. Der rote Teil der rot-grünen Koalition bewegte sich aber erst,
nachdem 2011 das Bundesverfassungsgericht die Gesetze in Rheinland-Pfalz
und Baden-Württemberg für verfassungswidrig erklärt hatte.
Auch die Neufassung des Bremer Gesetzes sei nicht verfassungskonform, sagte
am Donnerstag Heinz Kammeier auf einer Tagung seiner Deutschen Gesellschaft
für Soziale Psychiatrie im Gesundheitsamt. Dabei bezog sich der Jurist auf
den Paragrafen 22. In diesem werden Umstände genannt, die eine Behandlung –
gemeint sind Medikamente – gegen den Willen der Betroffenen rechtfertigen.
Dies sei zulässig, wenn so erreicht werden könne, dass jemand zu seiner
eigenen Sicherheit oder der Dritter zwangseingewiesen werden kann, heißt es
im Gesetzentwurf heißt. Die Zwangsbehandlung, argumentierte Kammeier, dürfe
aber nur dem Zwecke dienen, die Selbstbestimmungsfähigkeit eines Menschen
wieder herzustellen, nicht aber dem des Freiheitsentzugs. Verfassungswidrig
sei auch, dass Zwangsbehandlung erlaubt sein soll, um andere zu schützen.
Dies sei durch Freiheitsentzug beziehungsweise Fixierungen gegeben. Womit
sich die Katze in den Schwanz beißt.
Ganz anders interpretierten VertreterInnen des Gesundheitssenators das
Verfassungsgerichts-Urteil. Sie erklärten den TagungsteilnehmerInnen, warum
sie ihren Entwurf für juristisch wasserdicht hielten. Sie verteidigten die
neue Regelung, dass PatientInnen in Zukunft die Möglichkeit gegeben werden
soll, eine Zwangsbehandlung vor Gericht anzufechten. Letztendlich, so
Günther Mosch vom Gesundheitssenator, sei die Neufassung nur ein Schritt
auf dem Weg zu einer umfassenden Novellierung des Gesetzes, die dann noch
stärker die Forderungen von Betroffenen aufgreifen solle. So hat es auch
2012 die Bremische Bürgerschaft beschlossen.
## "Stärkere Patientenorientierung"
„Wir brauchen eine stärkere Patientenorientierung“, sagte gestern die grü…
Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther. Sie hält das Psych KG in
seiner neuen Fassung nicht für perfekt, aber besser als in seiner alten.
Dem Koalitionspartner SPD hat sie jetzt auf Anregung des
Landesbehindertenbeauftragten vorgeschlagen, es auf fünf Jahre zu befristen
und nach vier Jahren zu evaluieren. Der SPD-Gesundheitspolitiker Winfried
Brumma signalisierte am Freitag Zustimmung. Seine Fraktion wird am Montag
entscheiden.
„Ohne eine Befristung sollte es nicht verabschiedet werden“, sagt
Kappert-Gonther, die selbst 15 Jahre als Psychiaterin auf einer
Akut-Station gearbeitet hat. Außerdem soll nach ihren Vorstellungen ein mit
Betroffenen besetztes Gremium die Umsetzung des Gesetzes begleiten und
Vorschläge für eine nochmalige Novellierung machen. Unbedingt müssten dann
Versorgungsstrukturen festgeschrieben werden, welche ambulanten und
stationären Angebote es geben soll und wie diese verzahnt sind. Allerdings
garantiere ein Gesetz nicht, dass weniger medikamentös behandelt werde.
„Das hängt dann immer noch von der Ausbildung und der Einstellung des
Personals ab und wie gut eine Station ausgestattet ist.“
Dass im Klinikum Ost in dieser Hinsicht noch reichlich Luft nach oben ist,
wurde am Donnerstag aus den Erfahrungsberichten von ehemaligen PatientInnen
und Angehörigen deutlich. Ein Vater plädierte dafür, Menschen wie seinen
Sohn nicht als Gestörte wahrzunehmen und zu behandeln, sondern ihr
Verhalten als Ausdruck einer schweren seelischen Krise zu bewerten, mit der
sie aufgrund ihres Charakters und ihrer Geschichte weniger gut fertig
werden als andere. Zwangsweise Hilfe könnte von ihnen nicht als solche
verstanden werden, sondern verstärke im Gegenteil das Gefühl von Ohnmacht
und Bedrohung.
Dies bestätigte der Chefarzt der Psychiatrie am Klinikum Reinkenheide in
Bremerhaven, Uwe Gonther, verheiratet mit der grünen Gesundheitspolitikerin
Kappert-Gonther. „Manchmal führt die Spritze dazu, dass das Vertrauen
verloren geht, das man braucht, um gemeinsam aus der Krise zu kommen.“ Er
warnte davor, einzig in Medikamenten die Lösung zu suchen. „Der Kopf wird
dadurch eben nicht wieder klar.“ Er forderte zudem wie die Betroffenen die
Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle.
Die Grünen wollen diese Idee aufgreifen und sich dafür einsetzen, dass die
Begleitung durch geschulte Psychiatrieerfahrene auf Stationen zur Regel
wird.
13 Jun 2014
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Psychiatrie
Bremen
psychische Gesundheit
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
psychische Gesundheit
Psychiatrie
Verdi
Alten- und Pflegeheime
Schleswig-Holstein
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausweitung von Zwangsbehandlungen: Bundestag lockert Regelung
Bisher ist eine Zwangsbehandlung nur möglich, wenn jemand zwangsweise
stationär untergebracht ist. Der Bundestag will das nun ändern.
Resultate eines Projekts mit Pädosexuellen: „Bei mir stimmt was nicht“
Wenn Jugendliche merken, dass sie sich zu Jüngeren hingezogen fühlen – was
tun? In Berlin wurden Ergebnisse eines Pilotprojekts vorgestellt.
Zwangsbehandlung psychisch Kranker: Schutz vor sich selbst
Psychisch Kranke, die nicht mehr laufen können, dürfen künftig
zwangsbehandelt werden. Doch das Urteil der Karlsruher Richter überzeugt
nicht.
PatientInnenrechte in der Psychiatrie: Psychiatriedrama wird Kinostoff
Eleanor Riese und Colette Hughes kämpften in den 1980ern für die Rechte von
PsychiatriepatientInnen. Ihre Geschichte wird jetzt verfilmt.
Versorgung psychisch Kranker: Pauschale für die Psychiatrie
Ab 2017 soll ein neues Vergütungssystem Pflicht werden. Attac,
Paritätischer Verband und Verdi fürchten, dass die Behandlung schlechter
wird.
Freiheitsbeschränkung im Pflegeheim: An das Bett gefesselt
Alte Menschen werden in Heimen oft mit Gurten oder Bettgittern fixiert.
Aber wo ist die Grenze zwischen Schutz und Freiheitsberaubung?
Teilhabe behinderter Menschen: Kind betreut, Eltern verschuldet
Im schleswig-holsteinischen Kreis Stormarn sollen Eltern für den Platz
ihrer schwerbehinderten Kinder in betreuten Wohnheimen nun selbst bezahlen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.