# taz.de -- Versorgung psychisch Kranker: Pauschale für die Psychiatrie | |
> Ab 2017 soll ein neues Vergütungssystem Pflicht werden. Attac, | |
> Paritätischer Verband und Verdi fürchten, dass die Behandlung schlechter | |
> wird. | |
Bild: HIer soll gespart werden, beklagen AktivistInnen: Flur in der Psychatrie … | |
BERLIN taz | Brigitte Richter ist wütend. Seit Jahrzehnten kämpft die | |
Aktivistin für eine bessere Versorgung von Menschen mit psychischen | |
Erkrankungen. Nun, da die große Koalition das „Pauschalisierende | |
Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik“ (PEPP) verbindlich einführen | |
will, erscheint ihr das nahezu unmöglich. „Inzwischen glaube ich, dass | |
niemand eine bessere Psychiatrie bezahlen will.“ | |
Stattdessen soll in Zukunft möglichst wenig bezahlt werden. Das befürchten | |
nicht nur Richter und ihre Selbsthilfeorganisation Psychiatrieerfahrener | |
„Pandora“, sondern auch Attac, der Paritätische Wohlfahrtsverband und | |
Verdi. Zusammen haben sie deshalb nun ein Bündnis gegründet, das PEPP | |
verhindern will, bevor es nach einer Übergangsphase ab 2017 verpflichtend | |
gelten soll. | |
Das System funktioniert so: Für Patienten, deren psychische Erkrankung eine | |
stationäre oder teilstationäre Behandlung erfordert, erhalten die | |
Einrichtungen von den Krankenkassen eine pauschale Vergütung. Je nach | |
Erkrankung verringert sich die Pauschale allerdings mit der Dauer des | |
Klinikaufenthalts. Das heißt: Patienten, die eine längere Therapie | |
brauchen, sind für Kliniken weniger lukrativ. | |
## „Diagnose macht 20 Prozent des Behandlungsaufwands aus“ | |
Das Bündnis kritisiert, dass eine solche Klassifikation, die nicht auf das | |
individuelle Leiden eingehe, besonders für Schwerkranke gefährlich sei. | |
„Die Diagnose macht nur etwa 20 Prozent des Behandlungsaufwands einer | |
psychischen Erkrankung aus“, sagt Rolf Rosenbrock, | |
Gesundheitswissenschaftler an der Charité und Vorsitzender des | |
Paritätischen. | |
Man könne kaum vorhersagen, in welchem Maß und nach wie viel Zeit ein | |
Patient sich zum Beispiel von einer Psychose erholen werde. Ein | |
Versorgungsansatz, wie PEPP ihn vorsehe, sei deshalb falsch. | |
Seit 2013 können Kliniken PEPP bereits freiwillig anwenden. Zwar ist die | |
Einführung des neuen Systems für die Kliniken teuer. Sie müssten neue | |
Software und teilweise auch extra Verwaltungspersonal bezahlen, sagt Dagmar | |
Paternoga von Attac. Gleichzeitig werde aber an einer anderen, falschen | |
Stelle gespart: Durch die Einführung von PEPP soll die | |
Psychiatrie-Personalverordnung außer Kraft treten, die bisher das | |
zahlenmäßige Verhältnis zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Patienten | |
regelt. | |
## Vereinbarung im Koalitionsvertrag | |
„Mehr Transparenz und Leistungsorientierung“ bei der Vergütung von | |
psychiatrischen und psychosomatischen Behandlungen hatten sich SPD und | |
Union bereits in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Besonders der erste | |
Punkt dürfte im Interesse der Krankenkassen sein. | |
Mit der Vergütungspauschale können sie die Kosten psychiatrischer | |
Behandlungen nicht nur leichter ermessen, sondern auch senken, wenn | |
finanziell ohnehin klammen Krankenhäusern ein Anreiz vorgegeben wird, | |
Patienten aus wirtschaftlichen Gründen zu entlassen – auch, wenn diese noch | |
gar nicht stabil genug sind. | |
Mit dem neuen System, sagt Brigitte Richter deshalb, werde Menschen mit | |
psychischen Erkrankungen das wichtigste Mittel zur Genesung genommen: Zeit. | |
Dem Bündnis bleibt davon noch etwas mehr als ein Jahr. Bis dahin will man | |
der Politik „Druck machen“. | |
2 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Johanna Roth | |
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