# taz.de -- Europäische Zentralbank senkt Zinsen: Draghi versucht die Welt zu … | |
> Rekorde, Premieren, Rekorde: Leitzins historisch niedrig, erstmals | |
> Negativzins, Milliardenspritze für Krisenländer, DAX knackt | |
> 10.000-Punkte-Marke. | |
Bild: Will kein Geld: EZB-Chef Mario Draghi. | |
BERLIN taz | Der Präsident redete gerade drei Minuten, da sprang der DAX an | |
der Börse in Frankfurt erstmals über die Marke von 10.000 Punkten. | |
Historisch, aber nicht überraschend: Für die Partystimmung an den Märkten | |
sorgte einmal mehr Mario Draghi. | |
Der Präsident der Europäischen Zentralbank hatte soeben gute Nachrichten | |
für Anleger verkündet: Der bereits extrem niedrige Leitzins der EZB wird | |
von 0,25 auf nur noch marginale 0,15 Prozent gesenkt. Der Einlagenzins, den | |
Banken zahlen müssen, wenn sie für kurze Zeit Geld bei der EZB parken, wird | |
sogar – auch das ist einmalig für eine große Notenbank wie die EZB – unter | |
die Nulllinie auf minus 0,10 Prozent reduziert. Damit zahlen Geldinstitute | |
also, wenn sie ihr Geld nicht in Unternehmen oder zum Beispiel an der Börse | |
investieren. | |
Viele Superlative also nach der Ratssitzung der EZB am Donnerstag – aber | |
die Lage vor allem in vielen südlichen Ländern der Eurozone ist auch extrem | |
alarmierend. Draghi senkte die EZB-Prognosen für Inflation und Wachstum in | |
der Eurozone nach unten. Die Teuerungsrate werde 2014 voraussichtlich nur | |
0,7 Prozent betragen, dabei wünscht sich die EZB 2,0 Prozent. | |
## Wachstum schwächelt, Inflation zu niedrig | |
Das Wirtschaftswachstum im Währungsraum soll in diesem Jahr nicht mehr 1,2, | |
sondern nur noch 1 Prozent betragen. Dafür verantwortlich sind laut Draghi | |
die schwache Nachfrage nach Gütern, zu wenig Reformen, aber auch | |
„geopolitische Risiken“ – der Notenbanker rechnet also mit negativen | |
Auswirkungen der Ukrainekrise auf die Wirtschaft der Eurozone. | |
Besonderes Augenmerk richtete die EZB auf die kriselnden Länder im Süden | |
Europas. Für die Banken in diesen Staaten sollen deshalb Geldspritzen in | |
Höhe von 400 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, damit diese das | |
Geld an Unternehmen weiterreichen, die mit Investitionen das Wachstum | |
päppeln sollen. | |
Vor allem in Südeuropa stockt derzeit die Kreditvergabe. In Italien und | |
Portugal ist die Konjunktur mau. Deshalb haben viele Banken dort Angst, | |
Risiken bei wackeligen Unternehmen einzugehen. Gegen das Nachfrageproblem | |
kann die EZB nichts tun. | |
Wohl aber kann sie Banken helfen, die gerne Kredite vergeben würden, sich | |
aber nicht trauen. Die größte Angst der Notenbanker ist, dass der | |
Aufschwung an Fahrt gewinnen könnte, dann aber gleich wieder an mangelnder | |
Kreditversorgung scheitert. Ob die Maßnahme, am Donnerstag umgehend in den | |
Medien als „dicke Bertha“ tituliert, hilft, ist fraglich: Viele Ökonomen | |
fragen, ob Unternehmen in Krisenstaaten Kredite brauchen, wenn sie keine | |
Kunden haben. | |
Die Bank von England hatte bereits versucht, Banken durch | |
Milliardenspritzen zu einer stärkeren Kreditvergabe anzuregen – blieb | |
allerdings weit hinter den Erwartungen zurück. Das Programm führte | |
stattdessen zu einer Spekulationsblase am Immobilienmarkt. | |
Noch ein EZB-Rekord: Auch der neue Leitzins von 0,15 Prozent ist historisch | |
niedrig. Steigende Zinsen dämpfen tendenziell die Preise und verhindern | |
eine Überhitzung der Wirtschaft. Senkt die Zentralbank die Zinsen, kann sie | |
damit das Wachstum normalerweise ankurbeln. Da die meisten großen | |
Notenbanken nach fast sieben Jahren Krise mit ihren Zinsen jedoch bereits | |
nah an der Nulllinie angekommen sind, wirkt das Werkzeug jedoch nicht mehr | |
so stark wie früher. | |
Auch die Wirkung eines negativen Einlagenzinses ist umstritten. Die | |
dänische Notenbank hat bereits mit solchen Strafzinsen experimentiert. | |
Resultat: Die Banken gaben diese zum Teil an ihre Kunden weiter. Kritiker | |
der EZB fürchten genau diese unerwünschten Nebenwirkungen. | |
Für Sparer könnte die EZB-Ratssitzung positive Auswirkungen haben: Das | |
Bundesverbraucherministerium forderte die Banken schon auf, die Dispozinsen | |
für ihre Kunden zu reduzieren. „Die Entscheidung der EZB zeigt, dass sich | |
Banken noch lange Zeit sehr billig Geld leihen können“, sagte | |
Staatssekretär Gerd Billen. Wenn die Institute für „Dispokredite völlig | |
überzogene Zinsen nehmen, ist das aus Sicht der Verbraucher | |
unverständlich“. | |
Draghi selbst sprach von einem „bedeutenden Maßnahmenpaket“. Und | |
beantwortete eine eigene Frage selbst: „Sind wir schon am Ende? Nein.“ | |
5 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Kai Schöneberg | |
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