# taz.de -- Pro & Contra Fußball-WM in Brasilien: Ein Grund zur Freude? | |
> Muss man das Fifa-Spektakel mit seinen Kollateralschäden ablehnen? Oder | |
> darf man sich freuen, auch wegen der protestierenden Brasilianer? | |
Bild: Freuen oder nicht? Auch diese Brasilianerin ist sich noch nicht so sicher. | |
Pro: Mächtig, geldgeil und korrupt. Die Fifa betreibt ein überstaatliches | |
Machtsystem, sie ist autoritär, und es gibt kaum einen Staat auf der Welt, | |
der sich ihrer Macht verschließt. Ja: Diese Organisation sollte verboten | |
werden. Aber dürfen wir deshalb nicht mehr Fußball gucken? Ganz im | |
Gegenteil. | |
Die anstehende Fußballweltmeisterschaft der Herren dürfte voraussichtlich | |
die geilste WM der Geschichte werden. Sie ist vor allem politisch ein | |
Erfolg. Denn die Party wird diesmal nicht von der Fifa geschmissen, sondern | |
von den BrasilianerInnen selbst. | |
Brasiliens Bevölkerung war lange Zeit die Langweiligkeit gewöhnt, die auch | |
diesmal vorhergesagt war: immer wieder auf gleiche Art als Land der | |
Fußballträume und Klischees entdeckt zu werden. Seit aber die großen | |
Proteste vor einem Jahr begannen, hat sich die Bevölkerung, die auf eine | |
lange Geschichte der geografischen Eroberungen und sozialen Unterdrückungen | |
zurückblickt, nach und nach dieser Kolonialperspektive vor aller Welt | |
verwehrt. Es ist heute nicht mehr möglich, Brasilien auf Drogen, Sex und | |
Ballaballa, auf Karneval und Rumtata zu reduzieren. | |
Wer in den kommenden Wochen würdig Fußball gucken will, hat die | |
Gelegenheit, zweierlei zu feiern: das Zeugnis einer noch jungen | |
Emanzipationsbewegung in Südamerika. Und das Banale und Schöne rund um | |
Technik, Taktik, Trallala. Viele BrasilianerInnen sind zu Recht empört, | |
wenn ihnen kulturrassistisch unterstellt wird, sie würden alles vergessen, | |
sobald der Ball rollt. Die brasilianische Gesellschaft ist viel weiter: Sie | |
weiß, dass es okay ist, sich Fassaden anzuschauen. | |
Es ist in Ordnung, nach einer Theatervorführung zu klatschen. Und es gibt | |
nichts dagegen einzuwenden, nach Toren zu jubeln. Es beginnt nun eine vier | |
Wochen währende Party harter Kämpfe vor und hinter den Fassaden. Und wir | |
sind dazu eingeladen teilzunehmen. Das heißt auch: das zu feiern. (MARTIN | |
KAUL) | |
Contra: Auf diese Fußballweltmeisterschaft kann man gerne verzichten. Da | |
wollen die Gastgeber ein Turnier für die Geschichtsbücher ausrichten – und | |
das könnte klappen: als größte Fehlentwicklung sportlicher Großereignisse | |
der Neuzeit. Statt eines Fußballfestes droht ein Desaster. Wer will da | |
bitte fröhlich zusehen? | |
Einen Tag vor der WM-Eröffnung ist die Stimmung in Brasilien weiterhin | |
gespalten. Gewaltsame Proteste drohen die Spiele dauerhaft zu begleiten, | |
zahlreiche Streiks das öffentliche Leben zu behindern. Stadien und andere | |
Projekte werden nicht rechtzeitig fertig, und die öffentliche Kritik | |
scheint an Staatspräsidentin Dilma Rousseff und Fifa-Präsident Joseph | |
Blatter regelrecht abzuperlen. | |
Roussef ist immer noch bemüht, die hohen und nicht transparenten | |
WM-Ausgaben zu [1][verteidigen] und „zum Wohle Brasiliens“ zu deklarieren. | |
Blatter betont, es werde „eine WM für Brasilien und die ganze Welt“. Doch | |
Teile der brasilianischen Bevölkerung wollen sie gar nicht haben. Und das | |
wird sich auch nicht ändern, wenn Neymar & Co. erfolgreich sind. | |
Sozial- und Umweltnormen werden missachtet und der Gastgeber scheint | |
Vernunft und Nachhaltigkeit völlig aus dem Blick verloren zu haben. | |
Paradebeispiel: 200 Millionen Euro für ein Stadion mitten im Regenwald, das | |
danach keiner mehr braucht. Dann besser keine WM. | |
Von einem brasilianischen Sommermärchen träumen nur noch die wenigsten. Und | |
nach ausgelassenem Feiern ist vielen im Land auch nicht zumute. Zu wenige | |
profitieren davon, zu viele leiden unter den Umgestaltungen. Demonstranten, | |
die ihren Unmut über soziale Ungleichheiten äußern, werden das Bild dieser | |
WM prägen. Wer sich die Begeisterung für Fußball erhalten will, wird dieses | |
Turnier ganz schnell vergessen müssen, wenn es denn unter der Überschrift | |
„Fußball als unschönste Nebensache der Welt“ in die Geschichte eingeht. | |
(SEBASTIAN HONEKAMP) | |
12 Jun 2014 | |
## LINKS | |
[1] /Vor-dem-Eroeffnungsspiel-in-Brasilien/!140124/ | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Sebastian Honekamp | |
## TAGS | |
Fußball-WM 2014 | |
Fifa | |
Brasilien | |
Protest | |
WM 2014 | |
Brasilien | |
Fußball | |
WM-Check | |
WM 2014 | |
WM-Check | |
Spanien | |
Rambazamba | |
Brasilien | |
Brasilien | |
WM-Check | |
Brasilien | |
Brasilien | |
Fußball-WM 2014 | |
Fußball-WM 2014 | |
Fußball | |
Fußball-WM 2014 | |
WM 2014 | |
Favelas | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Pro & Contra Spiel um den dritten Platz: Muss das sein? | |
Am Samstag begegnen sich Holland und Brasilien im „kleinen Finale“. Aber | |
ist das Spiel um den dritten Platz reizvoll oder unsinnig? | |
Kolumne Wir retten die Welt: Am Arsch oder im Wald | |
Ökomäßig wäre Brasilien entgegen seinem Image bereits in der Vorrunde | |
gescheitert. Aber andere sind auch nicht besser. | |
DJ Hell boykottiert die WM: Copa remixed | |
DJ Hell ist seit 20 Jahren regelmäßig in Brasilien. Genauso lang legt er | |
bei laufenden Turnieren in WM-Spielorten auf. Diesmal nicht. Aus Protest. | |
WM-Check: Gruppe E und F: Honduras wird Weltmeister, wenn... | |
Die Schweiz, Ecuador, Frankreich und Honduras spielen in Gruppe E. | |
Argentinien, Bosnien, Iran und Nigeria in Gruppe F. Wer wird Weltmeister, | |
wer fliegt raus? | |
Drogen bei der Fußball-WM: „Karneval des Kokainkonsums“ | |
Während der WM könnte Brasilien die USA als weltweit größten | |
Kokainkonsumenten überholen. Die Anti-Drogen-Polizei versucht dies mit | |
allen Mitteln zu verhindern. | |
WM-Check: Gruppe C und D: Kolumbien wird Weltmeister, wenn... | |
Die Elfenbeinküste, Kolumbien, Griechenland und Japan spielen in Gruppe C. | |
Uruguay, Costa Rica, England und Italien in Gruppe D. Wer wird Weltmeister, | |
wer fliegt raus? | |
Niederlande vor dem WM-Auftakt: Orange Revanchegelüste | |
In der Gruppe B kommt es zur Neuauflage des WM-Finales von 2010. Arjen | |
Robben und Louis van Gaal gehen mit besonderer Motivation in die Partie. | |
Kolumne Rambazamba: Du nervst | |
Jetzt reden wieder alle über Fußball. Alle? Und wenn schon! Wer nicht | |
mitreden will, kann ja auch Gertrude Stein lesen, statt Spielverderber zu | |
sein. | |
Kolumne Hier spricht Brasilien: Alles ist falsch? | |
Nicht nur die WM-Organisation ist schräg, sondern das ganze | |
Fortschrittsmodell Brasiliens. Deshalb begehren die Menschen auf. | |
So berichtet die taz über Brasilien: Bei der WM steht viel auf dem Spiel | |
Die Wahrheit liegt bei dieser Weltmeisterschaft nicht nur auf, sondern vor | |
allem neben dem Platz. Das taz-WM-Team berichtet digital und gedruckt. | |
WM-Check: Gruppe A und B: Kroatien wird Weltmeister, wenn... | |
Brasilien, Kroatien, Mexiko, Kamerun spielen in Gruppe A. Spanien, Chile, | |
Australien und die Niederlande in Gruppe B. Wer wird Weltmeister, wer | |
fliegt raus? | |
Kommentar Proteste zur Fußball-WM: Die Massen bleiben zu Hause | |
So viele, wie vor einem Jahr in Brasilien auf die Straße gingen, werden es | |
während der WM nicht sein. Aber der Protest ist politischer geworden. | |
Was Brasilien am Eröffnungstag erwartet: WM-Randale oder Demo-Geplänkel? | |
In Brasilien sind am ersten Spieltag Proteste angekündigt. Die Reaktionen | |
der Ordnungskräfte werden darüber entscheiden, ob es eine friedliche WM | |
wird. | |
Sängerin Maria Gadú über die WM: „Ich werde kein Spiel sehen“ | |
Brasiliens populäre Sängerin Maria Gadú über die Wut auf die Fußball-WM, | |
die Fifa und Verschwendung – und warum Brasiliens Kultur so wunderschön und | |
reich ist. | |
WM-Kolumne Ordem e Progresso: So werden wie Dante | |
In Salvador, dem schwarzen Herzen Brasiliens, lebt die Begeisterung für den | |
Fußball. Hier will man sich zeigen auf der Bühne des Weltfußballs. | |
Arte-Produktion mit Cohn-Bendit: Ein Bus namens Sócrates | |
Natürlich auch mit Pathos: Daniel Cohn-Bendit dreht während der WM ein | |
brasilianisches Roadmovie – auf der Suche nach dem politischen Fußball. | |
Bilanz der WM-Vorbereitungen: Ein überteuertes Desaster | |
Im Vorfeld der WM lief schief, was schieflaufen konnte. Aus Angst vor | |
Pfiffen wird Präsidentin Rousseff wohl auf eine Ansprache bei der Eröffnung | |
verzichten. | |
Vor dem Eröffnungsspiel in Brasilien: Rousseff verteidigt WM-Kosten | |
Vor dem Start der Fußball-Weltmeisterschaft bemüht sich Brasiliens | |
Präsidentin um Beruhigung. Ein U-Bahn-Streik zum Eröffnungsspiel ist indes | |
noch immer möglich. | |
Fußball-WM in Brasilien: Mit der herben Wucht der 90er | |
Kurz vor der WM spielt die deutsche Nationalmannschaft der Autoren in | |
Brasilien. Und sie stellt fest, dass die Favelas nicht befriedet sind. |