| # taz.de -- Zum 30. Todestag von Michel Foucault: Unterwegs zum Schweigen | |
| > Der Philosoph Michel Foucault hat ein Werk hinterlassen, das alle | |
| > Gewissheiten zersetzt hat. Eine Reise zum Ort seiner Herkunft. | |
| Bild: Michel Foucault: Psychologe, Philosoph, Historiker. | |
| POITIERS/VENDEUVRE/PARIS taz | Die Vorstellung, dass eine einzige Familie | |
| das große Haus bewohnt haben soll, findet er unanständig. Der Elektriker | |
| ist allein auf der Baustelle 10, rue Arthur Ranc. Als er hört, dass hier | |
| 1926 einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts geboren wurde | |
| und aufgewachsen ist, öffnet er die Hintertür des Hauses. | |
| Er erklärt beinahe stolz die Räumlichkeiten und Umbauarbeiten. Am | |
| Hauseingang zur Straße hängt eine Gedenktafel: „Maison Natale de Michel | |
| Foucault (1926–1984), Historien et Philosophe, Professeur au College de | |
| France“. Er habe sie bemerkt, aber nicht weiter beachtet. Sieben Apartments | |
| entstehen im Haus, die Familie Foucault hat hier auf 417 Quadratmetern mit | |
| ihren drei Kindern und Hausangestellten gelebt. | |
| Interessanter findet er eine Geschichte, deretwegen die | |
| 80.000-Einwohner-Stadt Poitiers, die auf halbem Weg zwischen Paris und | |
| Bordeaux liegt, Berühmtheit erlangt hat. Es ist die Geschichte von Blanche | |
| Monnier, der „Gefangenen von Poitiers“, die 25 Jahre in einem dunklen | |
| Zimmer gegenüber der Post eingesperrt war. Als die Polizei sie im Jahre | |
| 1901 entdeckte, lag sie in ihren Exkrementen und wog noch 25 Kilogramm. | |
| „Dort, am Ende der Straße ist es passiert. Die Mutter und der Bruder haben | |
| es getan“, sagt der Elektriker. André Gide hat später ein Buch über das | |
| Drama geschrieben – „La Séquestrée de Poitiers“. Der Weg des jungen | |
| Foucault zum Lycée Henri IV und zum Jesuiten-College Saint-Stanislas führte | |
| viele Jahre später an dem Haus der Gefangenen vorbei. | |
| ## Exekutionsplan für Jean Genet | |
| Zurück zur Baustelle. Auf einer Heizung neben der Tür zum Hof liegt eine | |
| rote Mappe mit den Umbauplänen für das Haus. In großen Lettern steht darauf | |
| „Plans d’Execution“. Darunter, handschriftlich, versal: „Genet“. Ein | |
| Exekutionsplan für Jean Genet. Das hätte Foucault vielleicht zum Lachen | |
| gebracht. Oder Jean-Paul Sartre. Ihn bestimmt – er und Genet waren nicht im | |
| Guten auseinandergegangen. | |
| Eine Zeit lang in den 70er Jahren waren Foucault, Sartre und Genet in der | |
| G.I.P. vereint, der „Groupe d’information sur les prisons“, die auf die | |
| miserablen Bedingungen in den französischen Gefängnissen aufmerksam machen | |
| wollte. | |
| Seit 1971 kam es in Frankreich zu heftigen Gefängnisrevolten. Im Dezember | |
| 1972, nach einer Demonstration gegen den französischen Polizeirassismus, | |
| verbrachten Foucault und Genet ein paar Stunden im selben Gefängnis. Ein | |
| algerischer Arbeiter war ein paar Tage zuvor auf einer Polizeiwache getötet | |
| worden. | |
| Foucault gehörte nach einem kurzen Zwischenspiel in der Kommunistischen | |
| Partei Anfang der 50er Jahre keiner politischen Gruppierung an – wenngleich | |
| er viele Aktionen Seite an Seite mit den Maoisten bestritt, denen sein | |
| Lebenspartner Daniel Defert nahestand. Was Sartre von Genet und letztlich | |
| auch Foucault von Genet und von den maoistischen Gruppierungen trennte, war | |
| der Standpunkt im Israel-Palästina-Konflikt. Foucault und stärker noch | |
| Sartre haben immer für Israel Partei ergriffen. Genet stand geradezu | |
| fanatisch auf der anderen Seite. | |
| Drei Jahre, von 1950 bis 1953, war Foucault Mitglied der Kommunistischen | |
| Partei – wie die meisten Studenten der renommierten École normale | |
| supérieure in der Pariser rue d’Ulm, wo 1946 Foucaults akademisches Leben | |
| begann. Die KPF war während der Résistance zu einer Massenpartei | |
| angewachsen, und Foucaults berühmte Lehrer an der École – der Marxist Louis | |
| Althusser und der Phänomenologe Maurice Merleau-Ponty – waren wie | |
| eigentlich alle Pariser Linksintellektuellen in diesen Jahren Mitglied in | |
| der KPF. | |
| ## Das Haus der Bourgeoisie | |
| Foucault entstammte einer katholischen Familie. Die Eltern, sehr | |
| wohlhabend, der Vater ein Chirurg, lehnten die Vichy-Regierung ab, waren | |
| jedoch nicht in der Résistance aktiv. Als die Deutschen 1944 Poitiers | |
| besetzten, floh die Familie auf ihren Landsitz nach Vendeuvre, eine halbe | |
| Autostunde von Poitiers entfernt. | |
| Die Ferien verbrachte die Familie Foucault immer in Vendeuvre, eine | |
| Tradition, die Michel Foucault später beibehielt. Wann immer es möglich | |
| war, war er den August über dort und nutzte die Zeit, um seine | |
| Buchmanuskripte zu bearbeiten. In Vendeuvre liegt er auch begraben. | |
| Vendeuvre-du-Poitou, ein Dorf ohne Zugverbindung. Zweimal täglich fährt ein | |
| Bus von Poitiers nach Vendeuvre. Frühmorgens und nachmittags, um die Kinder | |
| zur Schule und wieder nach Hause zu bringen. Die schmucklose Kirche aus dem | |
| 12. Jahrhundert ist das Zentrum. | |
| Sie wird einmal im Monat geöffnet. Es gibt einen Blumenladen, ein | |
| Restaurant, eine Bäckerei und ein kleines Tourismusbüro. Industrie gab es | |
| hier nie. Die Bauern sind fast alle zu Dienstleistern im zehn Kilometer | |
| entfernten Zukunftserlebnispark Futuroscope geworden, zu Hotel-und | |
| Restaurantangestellten. Einige Belgier und Holländer kommen, auch | |
| Engländer, sie haben das Geld, sagt man im Dorf. | |
| Monsieur Collin besitzt das kleine Ferienhaus am Kirchplatz. Nur selten | |
| steigen Touristen in dem kleinen Ort ab. Er arbeitet auf einer | |
| Melonenplantage, seine Haut ist sonnengegerbt. Vorauseilend sagt er, seine | |
| Herkunft sei südlich, aber aus dem südlichen Frankreich, nicht aus den | |
| Kolonien, während er sich wundert, weshalb man sich ausgerechnet für | |
| Monsieur Foucault interessiert. Im Internet sei er auf so viele andere | |
| Philosophen gestoßen. | |
| ## La maison bourgeoise | |
| Das Haus der Familie Foucault liegt an der Ecke route de Poitiers und rue | |
| Michel Foucault. Alle nennen es „la maison bourgeoise“. Ein großes Landhaus | |
| mit einem riesigen Anwesen, das vom Reichtum mehrerer Generationen erzählt. | |
| Die Großeltern Foucaults haben es 1875 gebaut. Foucaults Bruder, Denys, ein | |
| Arzt in der Nähe von Paris, hat „Le Piroir“, wie auf der Inschrift an der | |
| Mauer des Hauses steht, nach dem Tod der Mutter vor zwei Jahrzehnten an | |
| einen Geschäftsmann verkauft. | |
| Die Dorfbewohner erzählen, das Arbeitszimmer von Michel Foucault sei | |
| unberührt. Ein Gerücht. Monsieur Lafont ist der neue Besitzer. Ihm gehört | |
| ein erfolgreiches Cateringunternehmen. Er sagt, das Innere des Hauses sei | |
| zu beschädigt gewesen, um es auch nur in Teilen im Originalzustand zu | |
| belassen. Er ist stolz, dass jemand das Haus wegen seines berühmten | |
| Vorbesitzers sehen möchte, und bittet seine Putzkraft, das Haus zu zeigen. | |
| Den Keller, den Dachboden, alles. Sie sind sehr freundlich. | |
| Nichts scheint mehr übrig geblieben von der Familie Foucault. Nur ein | |
| kleines Waschbecken, versteckt hinter einer Schrankdoppeltür, die als | |
| Separee diente, hinter Foucaults Arbeitszimmer links im Erdgeschoss. Ein | |
| winziger Raum, in dem er auch geschlafen hat, was angesichts der Größe des | |
| Hauses, das sogar ein eigenes schmales Treppenhaus nur für die Bediensteten | |
| hat, wie ein Protest wirkt. | |
| Es kursieren Gerüchte, Anekdoten und Geschichten. Jeden Morgen soll er | |
| oberkörperfrei auf dem schlossartigen Familienanwesen „Le Piroir“ | |
| herumspaziert sein. Ein prächtiger Garten mit einer Allee aus 42 Linden und | |
| zwei monumentalen libanesischen Zedern. In seiner Jugend hatte es hier noch | |
| den Esel der Familie, Cyrano, gegeben. | |
| Im Dorf soll er mit niemanden gesprochen und nur selten „Le Piroir“ | |
| verlassen haben. Nur um Briefmarken für seine Korrespondenz und Papier im | |
| kleinen Tabakladen zu kaufen. „Ich habe mich oft gefragt, warum die Leute | |
| die Pflicht, zu sprechen, verspürten. Das Schweigen kann ein dermaßen | |
| interessanter Beziehungsmodus sein“, schrieb er einmal. | |
| Dafür war die Mutter um so bekannter. Sie war Vorsitzende des Clubs | |
| „Freunde von Vendeuvre“, der Bürgermeister ihr angeblich hörig, und mit d… | |
| Arbeitern im Dorf wollte sie lieber nichts zu tun haben. Die | |
| Mutter-Sohn-Beziehung sei schwierig gewesen. Die Familie Foucault | |
| christlich-konservativ, Michel Foucault links und homosexuell. Dennoch war | |
| er das Lieblingskind. | |
| ## Blumen zum Begräbnis | |
| Eine, die viel über die Foucaults weiß, möchte nicht viel erzählen. Es ist | |
| die ehemalige Haushälterin der Familie, Madame Dupont. Sie steht am | |
| Gartentor ihres Hauses, fast am Ende der Durchgangsstraße. Viele Jahre kam | |
| niemand mehr her, um sie zu befragen. Nachdem sie die vielen Anfragen | |
| zurückgewiesen hatte, kehrte irgendwann Ruhe ein. | |
| Beengend ist ihr Wohnzimmer, ihr Garten wirkt größer als das kleine Haus, | |
| in das sie einzog, nachdem Madame Foucault gestorben war. An den Wänden, | |
| auf den Schränken – überall Fotos. | |
| Madame Dupont ist aufgeregt. Sie ist klein und zierlich. Sie zittert. 39 | |
| Jahre hat sie für die Familie gearbeitet und das Bedienstetenanwesen | |
| gegenüber dem Grundstück der Foucaults bewohnt. In ihrem Wohnzimmer hängt | |
| ein riesengroßes Foto, eine Luftaufnahme von der „maison bourgeoise“. | |
| Darunter hängt ein weiteres Foto, es zeigt sie und ihren verstorbenen Mann, | |
| den Gärtner der Foucaults, zwischen den Linden im Foucault’schen Garten. | |
| Es wirkt wie die Überschrift zu ihrem Leben, von dem sie erzählt, während | |
| Tränen ihre Augen trüben. „Michel Foucault kam jeden Mittag um 11.30 Uhr in | |
| die Küche und fragte mich, ob ich Hilfe bräuchte, und dann sprachen wir ein | |
| wenig miteinander. Er war sehr freundlich. Sehr freundlich.“ | |
| Sie sagt es schnell, als wünschte sie, dass ihre Worte verpuffen und in | |
| Vergessenheit geraten würden. Mehr möchte sie aus Respekt zur Familie nicht | |
| sagen. Nur dass Madame Malapert-Foucault eine sehr schlechte Autofahrerin | |
| war. Und die Blumen, ja, die Blumen zu Michel Foucaults Begräbnis, sie | |
| waren alle echt. | |
| ## Die Bedeutung des Mai 68 | |
| Der Friedhof am Ortsrand ist unterspült vom Regen. Irgendwie der Toten | |
| unwürdig. Das Wasser macht sie nicht schöner. Auf Foucaults Grab liegt eine | |
| hellgraue Platte aus Marmor. „Anne Malapert-Foucault, 1900–1987“ steht | |
| darauf geschrieben, darunter „Pierre Giraudeau, 1800–1848“ und schließli… | |
| „Michel Foucault, Professeur au College de France, 1926–1984“. Niemand | |
| weiß, wer dieser Herr Giraudeau ist, nicht die Haushälterin, nicht der | |
| Foucault-Biograf Didier Eribon. | |
| Bevor Foucault 1970 am College de France, der wissenschaftlichen | |
| Einrichtung mit dem höchsten Prestige in Frankreich, den Lehrstuhl für die | |
| Geschichte der Denksysteme übernahm, lehrte er an der Reformuniversität in | |
| Vincennes. Sie war aus der 68er-Bewegung hervorgegangen und galt den | |
| Konservativen als „rote Festung“. | |
| In vielen Interviews formuliert Foucault die Bedeutung des Mai 68 für seine | |
| Theorie der Macht. Zum ersten Mal waren die Bildungsinstitutionen selbst | |
| zum Thema der politischen Kämpfe geworden und die Frage nach dem | |
| Zusammenhang von Wissen und Macht gestellt worden. In seinem Buch | |
| „Überwachen und Strafen“ heißt es dann 1975, dass „es keine Machtbezieh… | |
| gibt, ohne dass sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein | |
| Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und | |
| konstituiert“. | |
| Das Scheitern der Revolte bestätigte ihn in der Analyse, dass Macht nicht | |
| in einem Zentrum, etwa im Staatsapparat, lokalisierbar ist. Die | |
| Mikrobereiche der Macht und damit die Mikropolitiken begannen für ihn eine | |
| wichtige Rolle zu spielen. Neue politische Akteure erschienen auf der | |
| Bildfläche. Ihm selbst war ein politisches Thema so wichtig wie das andere, | |
| eine Hierarchie zwischen den Kämpfen herzustellen, schien ihm absurd. | |
| ## Sich neu erfinden | |
| Madame Sillard blättert aufgeregt in ihren Unterlagen. „Das nervt mich“, | |
| stößt sie immer wieder aus, sie sucht dieses eine Foto von Foucault auf | |
| einem Esel. Dem Esel der „maison bourgeoise“. Cyrano. Sie ist Pensionistin, | |
| ihr größtes Projekt als Angestellte des kleinen Tourismusbüro war eine | |
| Ausstellung zu Foucaults 20. Todestag. | |
| Denys Foucault kam damals mit einer Kiste hereinspaziert, alles Dinge | |
| seines Bruders aus dem Haus, und überließ sie ihr. Vielleicht nur die | |
| Hälfte der Einwohner kennen Michel Foucaults Namen, sagt sie. Obwohl eine | |
| Straße nach ihm benannt ist. Viele seien aber auch neu hier. Aber es gibt | |
| da in ihren Augen auch einen markanten Unterschied zwischen Foucault und | |
| etwa Karl Marx. „Foucault ist eben diabolischer“, sagt sie und die Stirn | |
| über den getönten Gläsern ihrer Brille legt sich in Falten. | |
| Wegen seiner Homosexualität? Oder wegen seiner HIV-Infektion? Ist es die | |
| Verknüpfung Sex und Tod? Aids ist immer noch ein Tabuthema, Foucault war | |
| einer der Ersten, der 1984 mit 57 Jahren daran starb. | |
| Den schönen Ruf, diabolisch zu sein, verdankt er vor allem seinem Schaffen. | |
| Grenzüberschreitend und zersetzend – das sind die häufigsten Attribute für | |
| sein Denken. Die Existenzphilosophie, die Phänomenologie, der französische | |
| Hegelianismus, die Psychoanalyse – für diese großen Theorieströmungen, für | |
| die in Frankreich so einflussreiche Namen wie Sartre, Merlau-Ponty, | |
| Hyppolite und unzählige andere stehen, war er wie ätzende Säure. Mit allen | |
| gleichzeitig hatte er den Kampf aufgenommen, weil er der Erzählung vom | |
| souverän handelnden Subjekt endgültig den Boden entzog. | |
| ## Neue Sexualitätsformen, fern eines Penetrationszwangs | |
| 1976 erscheint in Frankreich Foucaults erster Band zur Geschichte der | |
| Sexualität, „La volonté de savoir“, auf Deutsch „Der Wille zum Wissen�… | |
| einer umwälzenden These: Der Körper, das Objekt, wird nicht nur von außen | |
| kontrolliert. | |
| Es greifen auch Kontrollmechanismen von innen, durch das Wissen, welches | |
| das Individuums über sich selbst hat. Das Individuum internalisiert Normen, | |
| die von der Sexualwissenschaft festgelegt werden, und überwacht diese | |
| selbst, in der Bemühung, diesen Normen zu entsprechen. Zwar leben wir seit | |
| dem 19. Jahrhundert in einer Gesellschaft, die nicht mehr den Körper direkt | |
| unterdrückt, aber uns zwingt, ständig über Sexualität zu reden. | |
| Ein ganzes Wissensgebiet über den Sex, Foucault schreibt | |
| „Sexualitätsdispositiv“, sei entstanden, um Unterscheidungen zu treffen – | |
| um das Normale vom Perversen zu trennen: „Der Sodomit war ein | |
| Gestrauchelter, der Homosexuelle eine Spezies.“ | |
| Politisch vergrault von Frankreich, zieht es ihn nach Amerika. Er hält | |
| Vorträge an den Elite-Universitäten in Stanford und Berkley. Nach seinen | |
| Vorlesungen ist er im Castro von San Francisco unterwegs. Er wird | |
| Beobachter und Teilnehmer der Gay-SM-Kultur. Neue Sexualitätsformen, fern | |
| eines Penetrationszwangs, der den Phallus als Zentrum der sexuellen Macht | |
| konstituiert, interessieren ihn, faszinieren ihn. Es sind jedoch vor allem | |
| die neuen Formen der Beziehungen, die ihn interessieren. | |
| Kurz vor seinem Tod, acht Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes, | |
| veröffentlicht er zwei weitere Bände seines ursprünglich auf sechs Bände | |
| angelegten Werks „Sexualität und Wahrheit“: „Der Gebrauch der Lüste“ … | |
| „Die Sorge um sich“. Über den Umweg in die Antike zeigt Foucault, wie sich | |
| der Mensch in der Sorge um sich als Subjekt konstruiert. | |
| Seine Arbeit an der Geschichte der Verfahren, durch die in unserer Kultur | |
| Menschen zu Subjekten gemacht werden, zielt nun nicht mehr auf die | |
| Strukturen, sondern Foucault konzentriert sich auf die Praktiken des | |
| Selbst. Auf die Frage, wie man aus seinem Leben ein Kunstwerk machen, sich | |
| selbst neu erfinden kann, und damit auf die Frage, wie Widerstand möglich | |
| ist. Die Erfahrungen in San Francisco waren für diese Arbeit von | |
| unschätzbarem Wert. Der vierte Band „Die Geständnisse des Fleisches“ blieb | |
| unveröffentlicht, weil Foucault keine posthumen Veröffentlichungen erlaubt | |
| hat. | |
| Das Subjekt von sich selbst loszureißen, damit es nicht mehr es selbst ein | |
| muss, das war es, was ihn bei der Lektüre von Friedrich Nietzsche, Georges | |
| Bataille und Maurice Blanchot so fasziniert hatte und worauf sein ganzes | |
| Denken gründete. Ihn, der so viele Masken trug, der alles daransetzte, nie | |
| derselbe zu sein, und so weit ging, zu sagen: „Man frage mich nicht, wer | |
| ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der Gleiche bleiben: das ist | |
| eine Moral des Personenstandes.“ | |
| ## Hinterlassenschaft | |
| 285, rue de Vaugirard in Paris. Rive Gauche. 15. Arrondissement. Foucaults | |
| Wohnung in Paris. In den 70ern, als er hier einzog, war es ein Neubau. | |
| Foucault hat Defert die Wohnung vererbt, seine Familie respektierte den | |
| Wunsch. In der Wohnung lagern bis heute 37.000 Manuskriptseiten, unter | |
| anderem auch das Manuskript von „Die Geständnisse des Fleisches“. Defert | |
| hat sie vor wenigen Wochen an die Bibliothèque nationale de France | |
| verkauft, wo sie der Wissenschaft zugänglich gemacht werden. | |
| Alles Persönliche wie Briefe sind nicht Teil dieser Hinterlassenschaft an | |
| die BnF. Aber, wie sagte Foucault in einem Interview mit Ducio Trombadori: | |
| „Es gibt kein Buch, das ich nicht, wenigstens zum Teil, aus einer | |
| unmittelbaren persönlichen Erfahrung heraus geschrieben hätte.“ | |
| Der Concierge der 285, rue de Vaugirard sortiert gerade die Post in die | |
| vielen Postfächer. Jedem Postfach ist ein schmales, handschriftliches | |
| Papier zugeordnet. Auf einem blassgrünen Papier steht geschrieben: | |
| Defert-Foucault. | |
| 25 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Tania Martini | |
| Enrico Ippolito | |
| ## TAGS | |
| Michel Foucault | |
| Philosophie | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Michel Foucault | |
| Postmoderne | |
| Philosophie | |
| taz.gazete | |
| Michel Foucault | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Michel Foucault | |
| Michel Foucault | |
| Philosophie | |
| Nachruf | |
| Kinder der sexuellen Revolution | |
| Michel Foucault | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neues Buch von Michel Foucault: Am Ende der Tradition | |
| Ein Manuskript aus dem Nachlass des Philosophen: Michel Foucault über den | |
| „Diskurs der Philosophie“ und das Denken des Heute. | |
| Buch über postmoderne Theorie: Von Paris nach Algier | |
| Der Ideengeschichtler Onur Erdur untersucht in Porträts von Pierre Bourdieu | |
| bis Jacques Rancière die kolonialen Wurzeln der französischen Theorie. | |
| Buch zur Philosophie der Postmoderne: Die Gegenwart denken | |
| Philosophie im Herrenclub: Daniel-Pascal Zorns „Die Krise des Absoluten“ | |
| erklärt den Kern des Denkens von Lyotard, Deleuze, Foucault und Derrida. | |
| Wie das Strafsystem Gesellschaft macht: Wozu Knast? | |
| Gefängnisse sind von grundlegender Bedeutung für die moderne Gesellschaft: | |
| Denn sie definieren, was sein darf und was nicht. | |
| Vierter Band „Sexualität und Wahrheit“: Foucaults Kampf um das Begehren | |
| Es ist eine philosophische Sensation: Über dreißig Jahre nach Foucaults Tod | |
| ist nun Band vier seiner „Geschichte der Sexualität“ erschienen. | |
| Didier Eribon über französische Zustände: Negative Leidenschaften | |
| Seine essayistische Autobiografie „Rückkehr nach Reims“ liest sich, als | |
| wäre sie eigens anlässlich des Aufwindes der Rechtspopulisten geschrieben. | |
| Zum 100. Geburtstag von Roland Barthes: Den Kopf heben und träumen | |
| Roland Barthes war Liebhaber und Praktiker der Abweichung. Sein Schreiben | |
| wusste zu Beginn nie, wohin es treiben würde. | |
| Daniel Defert über Michel Foucault: „Er kämpfte immer mit der Polizei“ | |
| Der Lebensgefährte des Philosophen Michel Foucault hat seine Autobiographie | |
| vorgelegt. Er erzählt über Adorno, den Kampf gegen Aids und die 68er. | |
| Neues Buch „Die Lehren der Philosophie“: Vom Schicksal der Argumente | |
| Der Philosoph Michael Hampe möchte sein Fach vor dem Hochschulbetrieb | |
| retten. Er plädiert für ein nichtdoktrinäres Denken. | |
| Nachruf auf Peter Gente: Bälle in viele Richtungen spielen | |
| Der Mitbegründer des Merve Verlags gab Foucault heraus und sorgte dafür, | |
| dass man Theorie las, wie man Platten hörte. Nun ist Peter Gente gestorben. | |
| Theorie der sexuellen Revolution: Wenn es fließt, wirst du gesund | |
| Unterdrückte Sexualität ist die Wurzel allen Übels, meinte Wilhelm Reich. | |
| Nun ist es an der Zeit, sich von der sexuellen Revolution zu verabschieden. | |
| Neues Buch mit Foucaults Vorlesungen: Denken an einer Scharnierstelle | |
| „Über den Willen zum Wissen“ versammelt Vorlesungen aus den Jahren 1970/71. | |
| Sie ermöglichen es, Michel Foucaults Denkprozess mitzuerleben. | |
| Darwin und Foucault: Serien bilden, Namen geben | |
| Der Historiker Philipp Sarasin begreift in seinem Buch Darwin und Foucault | |
| als Kollegen: Beide trieben Fragen der Genealogie um, beide entdeckten | |
| nicht nur eine, sondern viele Herkünfte | |
| Louis Althusser und die Neue Linke: Baumeister der Theorie | |
| Der französische Philosoph und Vordenker des Poststrukturalismus befasste | |
| sich ganz unorthodox mit Marx: Jetzt wäre er 90 Jahre alt geworden. |