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# taz.de -- Neues Buch „Die Lehren der Philosophie“: Vom Schicksal der Argu…
> Der Philosoph Michael Hampe möchte sein Fach vor dem Hochschulbetrieb
> retten. Er plädiert für ein nichtdoktrinäres Denken.
Bild: Immer noch das Ideal des nichtdoktrinären Denkers: Sokrates.
Philosophen klagen oft über die desolate Lage ihres Fachs: Institutionell
steht die Universitätsdisziplin schwach da, investiert wird derzeit in
andere Wissenschaften. Auch das Ansehen der akademischen Philosophie hat
stark gelitten. Von den empirischen Wissenschaften werden ihre Ergebnisse
entweder nicht zur Kenntnis genommen oder als irrelevant kritisiert.
Außerhalb der Hochschulen liest ohnehin kaum noch jemand philosophische
„Fachliteratur“.
Dass es so weit gekommen ist, hat, so der Philosoph Michael Hampe,
einerseits mit dem Erfolg der experimentellen Erfahrungswissenschaften zu
tun, die für sich beanspruchen, nachprüfbare Aussagen über die Wirklichkeit
zu machen. Andererseits sei die Philosophie selbst daran schuld, dass sie
jenseits der „Welt der Seminar- und Konferenzräume“ nicht mehr wahrgenommen
wird. Sie sei ein „sekundäres Explikationsgeschäft“ geworden, dessen
Welthaltigkeit gegen null strebe und Nichtwissenschaftlern wenig zu bieten
habe, sofern diese sich Anregungen zum Nachdenken über ihr Leben erhoffen.
„Die Lehren der Philosophie“ heißt Hampes jüngstes Buch, in dem er, wie d…
Untertitel ankündigt, Kritik übt. Nicht an der Philosophie als solcher,
denn sein Buch ist zugleich eine Verteidigung der „Liebe zur Weisheit“.
Allerdings ist das, was Hampe erhalten helfen möchte, etwas anderes als
das, was seine Kollegen mehrheitlich betreiben.
## Behauptungen über die Welt
Hampe unterscheidet in der Philosophie zwei Strömungen: Die „doktrinären“
Philosophen, gegen die er sich wendet, stellen Behauptungen über die Welt
auf und wollen andere Menschen „erziehen“, damit sie sich ihren
Behauptungen als Lehre anschließen.
„Nichtdoktrinäre“ Philosophen hingegen bemühen sich, möglichst wenig zu
behaupten. Sie wollen etwas über die Welt herausfinden, ohne andere davon
zu überzeugen zu müssen. Zu den doktrinären Philosophen zählt Hampe etwa
Descartes, Kant und Habermas, aufseiten der – von ihm bevorzugten –
nichtdoktrinären Denker nennt er Montaigne, Kierkegaard oder Wittgenstein.
Nichtdoktrinäre Philosophen kennzeichne, dass sie eher Dinge beschreiben
wollen, statt die Art und Weise, wie über Dinge gesprochen wird, normativ
festzulegen. Philosophen seien stets „dissidente Sprecher“, die den
Wortschatz der Sprache nicht als gegeben übernehmen, sondern den Begriffen
eigene Bedeutungen verliehen oder gleich ganz neue Begriffe einführten.
## Auf die „großen Erzählungen“ reagieren
Während die einen jedoch Sprachregulation betrieben, verfolgten
nichtdoktrinäre Philosophen das Projekt, andere Menschen in die Lage zu
versetzen, auf die vorherrschenden „großen Erzählungen“ und deren
Weltanschauung reagieren zu können.
Die aktuell dominierende große Erzählung ist in Hampes Augen die
ökonomische Spieltheorie, deren Bild vom Menschen als Marktteilnehmer alle
menschlichen Bereiche betreffe. Nichtdoktrinäre Philosophie will ein
Bewusstsein dafür schaffen, dass man die von einer solchen Erzählung
unterstellten Allgemeinbegriffe – in diesem Fall „Marktteilnehmer“ oder
„Nutzenmaximierer“ – als Beschreibungen seiner selbst zurückweisen könn…
Dazu müsste man aber erst einmal ein „bewusster Sprecher“ werden.
Hampe führt als Ideal des nichtdoktrinären Philosophen gern Sokrates an,
der, statt Dinge zu behaupten, lieber die Behauptungen seiner
Gesprächspartner auf ihre Konsequenzen hin prüfte. Diese kritische
Philosophie, als „destruktive Prüfung der Doktrinen“ verstanden, habe
nichts mit dem „Bedürfnis nach einer das Leben orientierenden Philosophie“
zu schaffen. Für derlei Zwecke gibt es Ratgeber.
In diesem Sinne schreibt Hampe, der an der ETH Zürich zudem das Projekt
„Philosophie als Therapie“ betreibt, über die Philosophie: „Sie ist eine
Tätigkeit, die auf Desillusionierung abzielt und nicht auf die Produktion
von Gewissheiten.“
## Philosophie als kritische Denkpraxis
All diese Gedanken sind nicht grundstürzend neu. Doch Hampe plädiert
allemal engagiert für die Philosophie als kritische Denkpraxis – und für
neue institutionelle Wege: So sei es neben dem Argumentieren genauso gut
möglich, vom „Schicksal der Argumente“ zu erzählen: Tierethische Argumente
zum Beispiel, die von Studenten im Hörsaal akzeptiert werden, dürften bei
der Metzgervereinigung andere Reaktionen hervorrufen.
Wer daher fernab der Universität ernsthaft Gehör finden wolle, müsse diese
Veränderungen der Kontexte von Argumenten berücksichtigen, um zu
verdeutlichen, welche Rolle argumentative Rationalität im Alltag spielt.
Einfach stur auf „der Vernunft“ zu beharren, reicht manchmal eben nicht.
6 Jul 2014
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Philosophie
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Peter Sloterdijk
Evolution
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