| # taz.de -- Philosophie-Festival Phil.Cologne: Die fatale Figur des Lehrers | |
| > Die soziale Frage hält er für eine „fixe Idee“: Peter Sloterdijk ist | |
| > einer der Stars, die auf dem sechs Tage dauernden Festival in Köln | |
| > auftraten. | |
| Bild: Was Slayer für Wacken sind, das ist Peter Sloterdijk für die Phil.Colog… | |
| Mit seltenen Wörtern verhält es sich wie mit seltenen Pflanzen. Die Räume, | |
| in denen sie sich öffentlich entfalten können, werden immer kleiner. | |
| Ausgestorben sind sie dann, wenn dieser Raum völlig verschwunden ist. Umso | |
| erfreulicher, wenn eines dieser Wörter plötzlich doch einmal außerhalb der | |
| Seiten altmodischer Bücher fällt wie die bizarre Blüte eines sehr alten | |
| Baumes. | |
| Dazu braucht es aber besondere Räume, wie sie die Balloni-Hallen in Köln am | |
| vergangenen Samtag bereitstellten. Da gab es frisch ausgedachte Begriffe | |
| und auch solche, die man längst für ausgestorben hielt. Quisquilie | |
| beispielsweise, wie in dem Satz: „Das sind keine biografischen | |
| Quisquilien.“ | |
| Geöffnet hat diesen Raum die Phil.Cologne, die man trotz ihres albernen | |
| Namens allein für Quisquilien und andere verbale Lilien lieben muss. Mit | |
| einigem Getöse und noch mehr Recht präsentiert sich die Phil.Cologne als | |
| eine einzigartige Veranstaltungsreihe für Philosophen, solche, die es | |
| werden wollen, und jene, die gerne Philosphen zuhören. 2013 wurde sie | |
| erstmals veranstaltet, und schon im zweiten Jahr ihrer Existenz hat sie | |
| sich als Philosophiefestival in Köln etabliert. | |
| Eine Bereicherung für die Stadt wie auch für eine Disziplin, der die | |
| Entmietung aus ihrem Penthouse im Elfenbeinturm droht und die in „der Welt | |
| da draußen“ ohnehin nur noch Rückzugsgefechte zu schlagen scheint. Nun | |
| haben an sechs Tagen rund 9.000 Besucher 42 wahlweise hochkarätig, | |
| prominent oder wenigstens originell besetzte Veranstaltungen besucht. | |
| ## Die Zukunft der Männer | |
| So breit gefächert das Programm, so verschieden und verlockend die | |
| Teilnehmer. Zu hören waren neben Philosophen auch Wissenschaftler, Ärzte, | |
| Poeten und bildende Künstler. So erörterte der FAZ-Herausgeber Frank | |
| Schirrmacher mit dem französischen Starphilosophen Bernard-Henri Lévy das | |
| Verhältnis von Philosophie zur Macht. Über die Zukunft des männlichen | |
| Geschlechts diskutierte die Publizistin Bascha Mika mit dem | |
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| Vergessens befragt, der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi zur Aura des | |
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| Menschen? Flankiert wurden die Vorträge und Podiumsdiskussionen von | |
| Veranstaltungen für Schüler und einem praktischen Debattierclub nach dem | |
| Vorbild von Poetry Slams: „Schlag den Platon!“ | |
| Was Slayer für Wacken sind, das ist Peter Sloterdijk für die Phil.Cologne. | |
| Als Headliner referierte der Star vor vollbesetztem Haus über sein | |
| kommendes Buch „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ und den bedrohten | |
| Fortbestand unserer Zivilisation durch eine Unterbrechung dessen, was | |
| Sloterdijk als „genealogische Intervalle“ bezeichnet. | |
| Drunter macht er’s nicht, aber er macht es unterhaltsam und kommt von | |
| Hölzchen auf Stöckchen, von Franziskus auf den Marquis de Sade, von Jesus | |
| auf Thomas Jefferson. Die soziale Frage hält er für eine „fixe Idee“, | |
| wichtiger sei das Einschwören kommender Generationen auf die | |
| Wertvorstellungen der abgehenden. Zu diesem Zweck hätten die Griechen | |
| sozusagen die Vaterschaft gespalten und „die fatale Figur“ des Lehrers | |
| erfunden. Schmunzeln unter den zahlreichen Lehrern im Publikum. | |
| ## Frau Gisela in der Küche | |
| Schon am Nachmittag verhandelten, spärlicher besucht, Rüdiger Safranski und | |
| Peter Trawny die aktuelle Frage: „Was wollte Heidegger?“ Safranski sprach | |
| als Biograf Heideggers, Trawny als Herausgeber der für ihren Antisemitismus | |
| berüchtigten „Schwarzen Hefte“ des überzeugten Nationalsozialisten. Umso | |
| erstaunlicher und doch typisch für das Festival, mit welcher spielerischen | |
| Leichtigkeit die beiden Koryphäen zunächst den begrifflichen Quellcode des | |
| Heideggerschen Denkens freilegten, demnach über den Menschen „nicht wie | |
| über einen Gegenstand“ geredet werden könne. | |
| Safranski bestand darauf, dass selbst Heideggers erratisches Hauptwerk | |
| „Sein und Zeit“ ganz „einfach und vergnüglich“ zu lesen sei, sofern man | |
| sich ein wenig in die Terminologie eingearbeitet habe. Entsprechend einfach | |
| und vergnüglich auch Safranskis Klärung des Unterschieds zwischen | |
| Zuhandenheit und Vorhandenheit: „Meine Küchentür ist ’zuhanden‘, weil i… | |
| sie im täglichen Gebrauch gar nicht wahrnehme. Aber wenn meine Frau Gisela | |
| sie zumacht und ich dagegenstoße, ist sie ’vorhanden‘.“ | |
| Heideggers Mission sei es gewesen, die Seinsvergessenheit des Menschen zu | |
| beenden, das Leben „als Sein zum Tode hin“ durch „starke Augenblicke“ zu | |
| intensivieren. Deshalb, da waren sich Trawny und Safranski einig, sei | |
| Heidegger so anfällig gewesen für „die Revolution von 1933“. Die Deutschen | |
| hätten in seinen Augen nicht nur eine historische, sondern eine | |
| seinsgeschichtliche Rolle zu spielen. Über die Passagen in den „Heften“ | |
| sagt Trawny, darin erscheine ihr Autor „vollkommen verrückt“, während | |
| Safranski vor allem ihre mindere Qualität kritisiert: „Das ist nicht einmal | |
| originell, das sind banale Topoi, ganz ausgeleiert!“ | |
| Als einer der Gründerväter der Postmoderne habe Heidegger eben eine | |
| „Schlacht gegen die Moderne“ und deren „Agenten“ geführt, die Juden. W… | |
| „entborgen“ (Heidegger) wäre, dass seine judenfeindlichen Ausfälle eben | |
| keine „biografischen Quisquilien“ waren. Keine Kinkerlitzchen. | |
| 26 May 2014 | |
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| Arno Frank | |
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