# taz.de -- „Philosophie Magazin“ und „Prokla“: Gutes Denken, schlechte… | |
> Das „Philosophie Magazin“ widmet Philosophen im Nationalsozialismus eine | |
> Sonderausgabe. Die Zeitschrift „Prokla“ untersucht globale Proteste. | |
Bild: Heidegger und seine NS-Verstrickungen: kein Einzelfall | |
Philosophie, als freies Denken verstanden, scheint sich mit dem | |
Nationalsozialismus kaum zu vertragen. Das Gegenteil belegt der Fall | |
[1][Martin Heidegger], dessen Werk nicht nur zu den einflussreichsten | |
philosophischen Beiträgen des 20. Jahrhunderts zählt, sondern sich auch in | |
beunruhigender Nähe zur Ideologie des NS-Staats bewegte. | |
Die Sonderausgabe des Philosophie Magazins „Die Philosophen und der | |
Nationalsozialismus“ geht dieser Mesalliance aus verschiedenen Perspektiven | |
nach. Heidegger ist ein eigener Schwerpunkt gewidmet, in dem an seine | |
Verstrickung in das NS-System und an seinen Antisemitismus erinnert wird. | |
Heidegger war kein Einzelfall, und antisemitische Strömungen gab es in der | |
deutschen Philosophie durchaus schon früher. Wie der Philosoph und | |
Schriftsteller Per Leo nachzeichnet, entwickelte sich der Antisemitismus | |
von Friedrich Schleiermachers Unterscheidung zwischen Judentum und | |
Christentum über Richard Wagners negative Charakterisierung des Jüdischen | |
bis hin zu Hitlers „Mein Kampf“ – Letzteres war aus Leos Sicht eine | |
„Schwundstufe des Genres“. | |
Für die Vernichtungspolitik entscheidend seien vielmehr die Durchbrüche in | |
Genetik und Humanbiologie um die Jahrhundertwende gewesen: „Jüdische“ | |
Charaktereigenschaften ließen sich so als Teil des biologischen Erbguts | |
umdeuten. | |
## Nietzsche im Sinne der Nazis | |
## | |
Neben den strengen Wissenschaften wurden gern auch klassische Denker | |
annektiert, allen voran Friedrich Nietzsche. Über dessen verheerende | |
Rezeption im Nationalsozialismus spricht der Philosoph Volker Gerhardt im | |
Interview mit Catherine Newmark, der Chefredakteurin dieser Sonderausgabe. | |
Gerhardt hebt die Bedeutung des NS-Philosophen Alfred Baeumler hervor, der | |
Nietzsche schon 1931 „ganz im Sinne der Nazi-Ideologie“ interpretiert habe | |
und in seinem Aufsatz „Nietzsche und der Nationalsozialismus“ Sätze | |
formulierte wie: „Und wenn wir dieser Jugend zurufen: Heil Hitler! – so | |
grüßen wir mit diesem Rufe zugleich Friedrich Nietzsche.“ | |
Zu Wort kommen noch weitere Philosophen, die sich als Vordenker der | |
NS-Ideologie betätigten, etwa der NS-Erziehungswissenschaftler Ernst | |
Krieck, der schon 1922 in seiner „Philosophie der Erziehung“ die totale | |
Unterwerfung des Einzelnen unter „die Gemeinschaft“ predigte. | |
Der österreichische Philosoph Othmar Spann seinerseits schmähte in einem | |
Vortrag von 1929 – im Beisein Adolf Hitlers – die jüdischen | |
neukantianischen Philosophen Hermann Cohen und Ernst Cassirer als „Fremde“, | |
deren Interpretation der Kantischen Philosophie „sehr mangelhaft“ sei. | |
## Rothacker und die „Rassenaristokratie“ | |
Eine besonders haarsträubende Ausprägung des akademisch verbrämten | |
Wahnsinns der NS-Ideologie findet sich bei Erich Rothacker, | |
Philosophieprofessor und Abteilungsleiter im NS-Propagandaministerium, der | |
1934 in seiner „Geschichtsphilosophie“ eine „Rassenaristokratie“ | |
heraufbeschwor: „Ein rassisch befriedigender Bevölkerungsdurchschnitt ist | |
in dem Rassegemisch einzelner deutscher Stämme erreichbar nur durch die | |
energischste Unterstützung aller eugenischen Maßnahmen durch Formung und | |
Zucht des im äußeren und inneren noch knetbaren jugendlichen | |
Menschenmaterials im Geiste der rassisch besten Bestandteile seiner | |
Erbmassen.“ | |
Gleichwohl behielten viele der im Nationalsozialismus „engagierten“ | |
Philosophen, Arnold Gehlen etwa und selbst der „Rassentheoretiker“ Erich | |
Rothacker, nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Lehrstühle, wie der Philosoph | |
Hans Jörg Sandkühler im Interview erinnert – Sandkühlers Doktorvater | |
Joachim Ritter eingeschlossen. Bei Rothacker promovierten im Übrigen – nach | |
1945 – Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel. | |
Einen Blick auf die jüngste Vergangenheit wirft hingegen Prokla, die | |
„Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft“, die sich „globalen | |
Protesten“ seit dem Jahr 2011 widmet. Die Ausgabe will so das eigene | |
Erstaunen über das Ausmaß der Protestwellen von Occupy über die | |
Kettenreaktion in den arabischen Ländern bis hin zu den J14-Sozialprotesten | |
in Israel einholen. | |
Zwar konstatieren die Autoren einen gegenwärtigen Rückgang der Proteste – | |
und dass diese bisher keinen „progressiven Politikwechsel“ erreichen | |
konnten. Das sehen sie aber zugleich als positives Zeichen: Der Mangel an | |
öffentlicher Sichtbarkeit vieler Protestbewegungen habe oft damit zu tun, | |
dass sie einen Transformationsprozess durchliefen und „neue, weniger | |
spektakuläre Initiativen verfolgen“. Doch gelte das leider auch für die | |
reaktionären Kräfte. | |
13 Feb 2015 | |
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[1] /Werksausgabe-von-Martin-Heidegger/!134866/ | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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