Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Buch zur Philosophie der Postmoderne: Die Gegenwart denken
> Philosophie im Herrenclub: Daniel-Pascal Zorns „Die Krise des Absoluten“
> erklärt den Kern des Denkens von Lyotard, Deleuze, Foucault und Derrida.
Bild: Daniel-Pascal Zorn will die Vorurteile über die Philosophen der Postmode…
Als philosophische Postmoderne gilt das Werk von vier französischen
Denkern, die – allesamt zwischen 1924 und 1930 geboren – oft des
Relativismus, der begrifflichen Unschärfe sowie einer letztlich
unbegründeten Kritik beliebiger Herrschaftsverhältnisse beschuldigt werden.
Daniel-Pascal Zorn will diese Vorurteile entkräften. Er webt in seinem Buch
„Die Krise des Absoluten“ einen philosophiegeschichtlichen Teppich, der dem
lesenden Publikum helfen soll, den vernünftigen Kern des Denkens von
J[1][ean-François Lyotard], Gilles Deleuze, [2][Michel Foucault] und
Jacques Derrida nachzuvollziehen.
Hegels Diktum, dass Philosophie ihre Zeit in Gedanken gefasst sei, folgend,
erzählt Zorn – nicht ohne den neukantianischen Imperativ, Genesis und
Geltung auseinanderzuhalten, zu befolgen – die Lebensgeschichten dieser
vier Philosophen vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte des 20.
Jahrhunderts. Und zwar so, dass man diesen Männern – und es sind
ausschließlich Männer, von Simone de Beauvoir oder Hannah Arendt erfährt
man nichts – fast zu nahe kommt. So lernen wir den Dekonstruktivisten
Derrida als „Jackie“ und den [3][Machtkritiker Foucault] als „Paul-Michel…
kennen – als junge Männer, die sich allesamt am Erbe des englischen
Empirismus, der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants und vor allem am
Denken Martin Heideggers und Edmund Husserls abarbeiteten.
## „Absolutes“ ist kaum vorstellbar
Der rote Faden dieses Denkens ist die seit dem späten Mittelalter, seit
Nikolaus Cusanus (1401–1464), anhebende Bewegung, mit der Einsicht klar zu
kommen, dass ein „Absolutes“, das manche als „Gott“ bezeichnen, angesic…
der Vielfalt der Welt und der radikalen Umwälzung aller Lebensverhältnisse
kaum noch vorstellbar ist.
Aber auch andere Denkschulen werden in ihrer Genese, und das heißt in der
Lebensgeschichte ihrer Vertreter genannt: etwa die Kritische Theorie, deren
wichtigster Exponent Theodor W. Adorno hier stets als „Teddie“ auftritt.
Diese plumpe Vertraulichkeit wird einem anderen Denker nicht zuteil, dem –
wie es dem Autor dieser Zeilen scheint – heimlichen Helden des Buches, dem
Münsteraner Philosophen Joachim Ritter (1903–1974), nach dem eine ganze
Denkschule benannt wurde, zu der Odo Marquard, Robert Spaemann oder
Hermann Lübbe gehörten. Kein Zufall ist daher, dass Zorn Joachim Ritter als
Autor hervorhebt, der seinerzeit über Cusanus seine Dissertation schrieb.
## Unterhaltsam und doch stets begründet
Joachim Ritter, der in seiner Studienzeit sowohl von dem jüdischen
Neukantianer Ernst Cassirer als auch von dem zeitweise
nationalsozialistischen Martin Heidegger geprägt wurde, war in seinen
frühen Jahren Kommunist, später mit einer jüdischen Frau verheiratet und
gleichwohl – oder deshalb? – einer der Unterzeichner des „Bekenntnisses
deutscher Professoren zu Adolf Hitler.“ In seinen Nachkriegswerken, vor
allem an einer Rekonstruktion von Hegels Geschichtsphilosophie orientiert
und von dessen Lehre der „Entzweiung“ der modernen Welt geprägt, galt
Ritter Vertretern der Kritischen Theorie als Ausdruck einer philosophischen
Rechtfertigung des Status quo und mithin als konservativ.
Man mag zu Zorns Vorlieben stehen, wie man will, ich jedenfalls habe lange
kein Buch gelesen, das die Geschichte der europäischen Philosophie seit dem
Spätmittelalter und der Aufklärung so unterhaltsam und doch stets begründet
narrativ rekonstruiert – was gleichwohl nicht davon befreit, bei der
Lektüre Aufmerksamkeit und Geduld zu investieren.
Befremdlich wirkt indes nach beinahe 600 Seiten Zorns angefügter „Epilog“,
der offensichtlich in einem gleißend hellen Philosophenhimmel spielt, in
dem sich ein Herrenclub, nämlich Jackie, Jean-François, Teddie, Heinz,
Michel und Joachim über Zeiten und Räume hinweg unterhalten und Zeugen etwa
folgender Szene werden: „Es ist schön, sagt Teddie, dass ihr hier, an
diesem seltsamen Ort, Gemeinsamkeiten gefunden habt. Aber vergessen wir
darüber nicht die Differenzen, die uns voneinander unterscheiden. Wir
sollten dem Drang widerstehen, alles miteinander zu vermitteln.“
18 Aug 2022
## LINKS
[1] /Buch-ueber-1977/!5810911
[2] /Vierter-Band-Sexualitaet-und-Wahrheit/!5482638
[3] /Daniel-Defert-ueber-Michel-Foucault/!5238682
## AUTOREN
Micha Brumlik
## TAGS
Philosophie
Postmoderne
Michel Foucault
Jacques Derrida
wochentaz
wochentaz
Industrial Music
Schwerpunkt Stadtland
Identitätspolitik
Michel Foucault
Michel Foucault
## ARTIKEL ZUM THEMA
100 Jahre Jean-François Lyotard: Es gibt kein letztes Urteil
Vor 100 Jahren wurde Jean-François Lyotard geboren. Als Philosoph suchte er
nach dem Teil des Menschen, der sich seiner Beherrschung entzieht.
Graphic Novel über Simone de Beauvoir: Mit großem Freiheitsdrang
Eine Graphic Novel zeichnet Simone de Beauvoir's Lebensweg bis zur
gefeierten Philosophin nach. Und setzt der Existenzialistin ein Denkmal.
Buch über widerständige englische Künstlerinnen: Drei Frauen, ein Muster
Die britische Industrial-Musikerin Cosey Fanni Tutti beschreibt in ihrem
Buch „Re-Sisters“, wie Erfindungsgeist von Frauen missachtet wurde.
Fragen der Vernunft: Vom geringen Wert der Authentizität
Auf dem Weg zum besseren Menschen können auch Krawatten im Weg stehen. Und
der Ethikrat bringt natürlich Sokrates ins Spiel.
Buch über 1977: Als das Selbst zum Projekt wurde
Die Reise zu sich selbst: Psychoboom und Neoliberalismus treffen auf linke
und rechte Identitätspolitik in Philipp Sarasins Buch über das Jahr 1977.
Daniel Defert über Michel Foucault: „Er kämpfte immer mit der Polizei“
Der Lebensgefährte des Philosophen Michel Foucault hat seine Autobiographie
vorgelegt. Er erzählt über Adorno, den Kampf gegen Aids und die 68er.
Zum 30. Todestag von Michel Foucault: Unterwegs zum Schweigen
Der Philosoph Michel Foucault hat ein Werk hinterlassen, das alle
Gewissheiten zersetzt hat. Eine Reise zum Ort seiner Herkunft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.