# taz.de -- Kleine Geschichte des Freihandels: Der Pümpel der Liberalisierung | |
> Mit dem Tisa-Abkommen soll der letzte profitträchtige Teil des Weltmarkts | |
> liberalisiert werden – an den etablierten Organisationen vorbei. Warum? | |
Bild: Als alles begann: Tausende warten infolge der Weltwirtschaftskrise von 19… | |
Wer in der Vergangenheit ja gesagt hat zu Abkommen wie GATT, WTO und GATS, | |
kann jetzt nicht nein sagen zu Tisa. So lautet die Logik vieler Befürworter | |
eines neuen multilateralen Abkommens zur Liberalisierung von | |
Dienstleistungen. | |
Auf Englisch heißt es „Trade in Services Agreement“, Abkürzung: Tisa. Seit | |
März 2013 verhandeln bislang 50 Staaten hinter verschlossenen Türen | |
darüber. Auch die Bundesregierung argumentiert mit der „Freiheit des | |
Marktes“ dafür. | |
Tisa steht in der Logik einer Entwicklung, die vor genau 70 Jahren ihren | |
Anfang nahm: Die Delegierten aus 44 Staaten wollten im Juli 1944 auf der | |
„Währungs-und Finanzkonferenz der Vereinten Nationen“ in Bretton Woods im | |
US-Bundesstaat New Hampshire die Lehren von 1929 ziehen. Protektionismus | |
und viele Zollschranken hatten die Weltwirtschaftskrise verschärft und in | |
die Länge gezogen. | |
Neben dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank beschlossen | |
sie die Schaffung einer „Internationalen Handelsorganisation“ (ITO) als | |
Teil des künftigen Systems der Vereinten Nationen. Sie sollte | |
Handelsbarrieren abbauen helfen, aber auch Bestimmungen erlassen, um | |
Arbeitsplätze zu schaffen. Ihre Etablierung scheiterte allerdings am | |
US-Kongress, der die Ratifizierung versagte. | |
Stattdessen wurde 1948 auf einer Konferenz in Havanna zunächst nur das | |
„Allgemeine Zoll-und Handelsabkommen“, das General Agreement on Trade and | |
Tarifs (GATT), beschlossen. In den folgenden 45 Jahren vereinbarten die | |
zunächst 51 und zuletzt 123 Vertragsstaaten im Rahmen des GATT in acht | |
mehrjährigen Verhandlungsrunden den weitgehenden Abbau von Zöllen, Abgaben | |
und anderen „nichttarifären Handelshemmnissen“ für Industriegüter und | |
Textilien. | |
Die letzte, 1986 in der uruguayischen Stadt Punta del Este eröffnete | |
Verhandlungsrunde endete 1994 in Marrakesch mit dem Beschluss zur Gründung | |
der Welthandelsorganisation WTO. Einen festen und dauerhaften | |
institutionellen Rahmen für die Bestrebungen zur weiteren Liberalisierung | |
des globalen Handels hatten vor allem die Industriestaaten eingefordert. | |
1994 vereinbarten die 123 WTO-Mitgliedstaaten zugleich ein erstes | |
allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Es hieß General | |
Agreement on Trade in Services, kurz GATS. Dies geschah auf Druck der | |
damals noch den Weltmarkt dominierenden vier Handelsmächte USA, EU, Japan | |
und Kanada, deren Dienstleistungsunternehmen auf die Märkte in Asien, | |
Lateinamerika und Afrika drängten. | |
Das Abkommen trat 1995 in Kraft; auf Druck unter anderem von Indien, | |
Brasilien, Mexiko wurden noch eine Reihe von Schutz-und Ausnahmeklauseln | |
für öffentliche Dienstleistungen aufgenommen, insbesondere jene im Bereich | |
der Daseinsfürsorge. Es geht um Wasser- und Energieversorgung, Gesundheits- | |
und Bildungswesen. | |
## Exportsubventionen für Landwirte stehen im Weg | |
Doch seitdem sind weitere Liberalisierungsabsichten im Rahmen der WTO | |
blockiert. Zwar erklärten die Mitgliedstaaten mit dem Abkommen auch ihre | |
grundsätzliche Bereitschaft zu einer ständigen Fortentwicklung bei der | |
Öffnung ihrer Märkte für ausländische Dienstleistungsunternehmen. Und | |
ausdrücklich sollten in der ersten Überarbeitung des GATS nach fünf Jahren | |
auch die ursprünglichen Schutz-und Ausnahmeklauseln überprüft werden. | |
Daher setzten die Industriestaaten 2001 durch, dass bei der „Doha-Runde“ | |
der WTO auch ein Verhandlungsmandat zur weiteren Liberalisierung des | |
globalen Dienstleistungsmarktes beschlossen wurde. Denn auf dem | |
Dienstleistungsmarkt winken laut allen verfügbaren Prognosen weit größere | |
Exportmöglichkeiten und damit Umsatz- und Gewinnchancen als beim Handel mit | |
Industriegütern. | |
Doch bei der Doha-Runde geht seit ihrem Beginn vor bald 13 Jahren nichts | |
weiter. Nicht nur wegen grundsätzlicher Bedenken vieler der 160 | |
WTO-Mitgliedstaaten gegen eine weitere Liberalisierung und die damit | |
einhergehende Deregulierung und Privatisierung von Dienstleistungen. | |
Sondern auch, weil die EU und die USA immer noch nicht bereit sind, die | |
massiven Exportsubventionen für ihre Landwirte trotz all ihrer | |
katastrophalen Konsequenzen vor allem für die Kleinbauern in Afrika zu | |
beenden und ihre eigenen Agrarmärkte stärker für Produkte aus Ländern des | |
Südens zu öffnen. Eine Forderung, die bereits seit der Uruguay-Runde Ende | |
der 80er Jahre unerfüllt auf den Verhandlungstischen liegt. | |
Und schließlich haben sich seit Chinas Beitritt zur WTO 2001 und mit der | |
Gründung der von China, Indien, Brasilien und Südafrika koordinierten | |
Gruppe von rund 20 Schwellenländern die Machtgewichte der WTO grundsätzlich | |
verschoben. Anders als in den 90er Jahren können die nördlichen | |
Industriestaaten – selbst wenn sie sich untereinander völlig einig sind – | |
ihre Interessen nicht mehr gegen den Rest der Welt durchsetzen. | |
Aus diesem Grund haben die USA, die EU und Australien 2012 die | |
Tisa-Verhandlungen außerhalb der WTO initiiert. Gemeinsam mit den weiteren | |
20 Staaten bestreiten die drei Tisa-Initiatoren rund 70 Prozent des | |
weltweiten Handels mit Dienstleistungen. | |
Die bislang sieben Verhandlungsrunden seit März 2013 fanden hinter | |
verschlossenen Türen statt – die letzte Mitte Juni in der australischen | |
UN-Mission in Genf. Die Parlamente der 50 beteiligten Länder sowie das | |
Europäische Parlament haben die Marktöffnungsforderungen und die Angebote, | |
die ihre Regierungen und die EU-Kommission bei den Verhandlungen | |
eingebracht haben, bis heute nicht zu Gesicht bekommen. | |
Doch aus geleakten Dokumenten und Aussagen beteiligter Diplomaten ist klar: | |
Verhandelt wird bei Tisa über den gesamten Bereich auch öffentlicher | |
Dienstleistungen, inklusive der Daseinsvorsorge. | |
4 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Zumach | |
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