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# taz.de -- Skandal um Tötung von Ferkeln: An die Wand geklatscht
> In deutschen Ställen werden offenbar massenhaft Ferkel getötet – weil die
> hochgezüchteten Sauen oft mehr Nachkommen als Zitzen haben.
Bild: Ist der Wurf zu groß, werden einfach ein paar Ferkel an die Boxenwand ge…
Die Frau zählt. Für jedes Ferkel bewegt sie ihren Zeigefinger kurz nach
unten. Nach ein paar Sekunden steigt sie über die Wand der Stallbox, greift
ein Ferkel am Hinterteil. Es fiept. Dann schlägt die Frau den Kopf des
Tieres auf den Stahlrahmen der Boxenwand. Anschließend wirft sie das rosa
Körperchen in einen schwarzen Eimer.
Dass die Frau zählt, zeigt: Die Ferkel werden nicht getötet, weil sie zu
krank wären, um zu überleben. Sie sind einfach zu viel. Eine Sau hat in der
Regel nur 14 Zitzen. Die Tiere sind aber so hochgezüchtet, dass sie auch
schon mal 20 Ferkel pro Wurf gebären. Zu viele, um alle zu säugen. Der
Landwirt könnte die „Überzähligen“ von Hand oder mit einem Trinkautomaten
durchfüttern. Aber das ist zu teuer. Also sortiert er die kleinsten Ferkel
aus. Und tötet sie durch einen, oft auch mehrere Schläge an die Boxenkante
oder auf den Boden.
Das ARD-Fernsehen zeigt solche heimlich aufgenommenen Bilder aus mehreren
deutschen Ferkelzuchtbetrieben am Montagabend. Die taz konnte die
Dokumentation exklusiv vorab sehen. Tierschützer haben in rund zehn
Betrieben mit versteckter Kamera gefilmt, fast überall nahmen sie auf, wie
Ferkel durch Aufschlagen getötet werden. Oft ist zu erkennen, dass die
Tiere umgebracht werden, weil sie „überzählig“ sind; immer ist die Methode
extrem grausam. Betroffen sind neben kleinen Bauernhöfen auch Unternehmen,
die zu den zehn größten der Branche in Deutschland gehören. Da kann man
wohl nicht mehr von Einzelfällen sprechen.
„Insgesamt reden wir von Hunderttausenden von Tieren, die wahrscheinlich
Überlebenschancen gehabt hätten und zu Unrecht gestorben sind oder getötet
worden sind“, sagt Cornelie Jäger, Veterinärin und Tierschutzbeauftragte
des Landes Baden-Württemberg, in der Dokumentation.
Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands bezweifelt die
Zahlen. Jeder Sauenhalter wolle möglichst viele Ferkel am Leben erhalten,
teilte Sprecherin Jana Püttker der taz mit. „Die Aussage von Frau Jäger
widerspricht dem.“
## Skandalbilder aus deutschen Ställen
Die Videos wurden vor allem von der Tierrechtsorganisation Animal Rights
Watch aufgenommen. Sie hatte bereits mehrmals aus Ställen Skandalbilder
geliefert, die sich später als echt herausstellten. Auch die ARD-Autoren,
Monika Anthes und Edgar Verheyen, hatten schon Missstände etwa beim
Geflügelfleischkonzern Wiesenhof gezeigt und lagen damit richtig.
Karl-Heinz Waldmann leitet die Klinik für kleine Klauentiere der
Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Nebenbei ist der Professor
Vorsitzender der Fachgruppe Schweine der Bundestierärztekammer. Er hat
keinen Zweifel daran, dass manche Landwirte „überzählige“ Ferkel töten. …
er weiß, wie das Problem entstanden ist: „In den letzten Jahren sind die
züchterischen Bemühungen vor allem in Dänemark so erfolgreich gewesen, dass
die Würfe zahlenmäßig immer größer geworden sind“, sagt Waldmann der taz.
In den 1980er Jahren seien bei Altsauen 12 bis 13 Ferkel üblich gewesen.
„Heute sind 16 Ferkel nicht selten, in der Spitze bis 20.“ Da sei es klar,
dass einige kleiner seien – und keine Zitzen abbekämen.
„In der landwirtschaftlichen Presse wurde hochgelobt, dass die Würfe immer
größer wurden“, berichtet Waldmann. Denn: „Je mehr Ferkel die Landwirte
verkaufen, desto mehr Geld verdienen sie.“ Deshalb haben die Züchter immer
stärker auf Fruchtbarkeit selektiert. Am Ende sei das übertrieben worden,
sagt der Veterinär.
## „Wer billig Fleisch kauft, macht sich zum Mittäter“
Viele Ferkelerzeuger sehen sich gezwungen, da mitzumachen. Sie nehmen so
wenig pro Tier ein, „dass praktisch nichts überbleibt“, rechnet der
Lebensmittelökonom Markus Mau in dem Film vor. Und Thomas Schröder,
Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, sagt der taz: „Wer billig Fleisch
einkauft, der macht sich zum Mittäter.“ Handel und Verbraucher trügen
Verantwortung. „Und mit den viel zu niedrigen gesetzlichen Standards ist
auch der Gesetzgeber Mittäter.“
Immerhin haben die von den Grünen geführten Agrarministerien Niedersachsens
und Nordrhein-Westfalens Anfang Juli per Erlass klargestellt: Nur weil ein
Ferkel „lebensschwach“ – also zum Beispiel kleiner als normal – ist, da…
es nicht getötet werden. Denn das sei kein „vernünftiger Grund“, den das
Tierschutzgesetz zur Bedingung für das Töten eines Tieres macht. Die Tötung
könne aber zulässig sein, wenn das Ferkel „nicht überlebensfähig“ ist: …
wenn es wegen einer Fehlbildung keinen After hat. Dann dürfe es jedoch
nicht erschlagen, sondern müsse per Schlag auf den Kopf betäubt und sofort
danach durch Blutentzug getötet werden.
Zwar arbeitet Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsministerium nach eigenen
Angaben an einem ähnlichen Erlass, der Anfang August in Kraft treten soll.
Aber die meisten Bundesländer fehlen noch.
## Tierschutzvorschriften werden missachtet
Selbst wenn alle nachzögen: Wie sollen die neuen Regeln kontrolliert
werden? Die Veterinärämter können nur Stichproben machen. Die meisten
Ferkel werden getötet, wenn kein Kontrolleur anwesend ist. Die Erfahrung
lehrt, dass Tierschutzvorschriften in der Landwirtschaft sehr oft
missachtet werden.
Auch deshalb rät Jürgen Voß, der Vorsitzende von Animal Rights Watch: „Wer
solche Tierquälerei nicht will, darf kein Fleisch essen.“ Bio ist für ihn
als Veganer keine Alternative. Zudem würden auch Ökobetriebe ihre Ferkel
von konventionellen Züchtern beziehen.
Das jedoch ist laut EU-Ökoverordnung nur noch zulässig, um einen Bestand
oder eine Herde aufzubauen. Deutschlands größte Ökoanbauverbände, Bioland
und Naturland, versichern, dass die Mehrheit ihrer Mäster Ökoferkel
verwende. Die kämen meist von Rassen, deren Würfe kleiner seien.
Problem: Bioschweinefleisch kann schnell das Vierfache des Konventionellen
kosten. Marktanteil: lächerliche 0,6 Prozent.
11 Jul 2014
## AUTOREN
Jost Maurin
## TAGS
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