# taz.de -- Besetztes Haus in Wien wird geräumt: 1.700 Polizisten gegen eine P… | |
> Mit 50 Punks wollte eine Immobilienfirma Altmieter vergraulen. Doch es | |
> kam anders. Jetzt lässt sie die Punks durch die Polizei räumen. | |
Bild: Kommen nicht zum Essen: Ein Panzerwagen versucht, der Polizei den Weg in … | |
WIEN taz | Einem Shitstorm der analogen Art sahen sich Elitepolizisten der | |
Einheit WEGA ausgesetzt, als sie die besetzte Pizzeria Anarchia in Wien zu | |
räumen begannen. Etwa 50 Punks in Wiens einzigem besetztem Haus widersetzen | |
sich dem Ansturm mit allen Mitteln. Gegen die mit Wasserwerfern anrückende | |
Exekutive wehren sie sich mit Eiern, Buttersäure und in Plastikbeuteln | |
verpackter Scheiße. | |
In den frühen Morgenstunden des Montags war die Polizei vor der | |
Mühlfeldgasse 12 im 2. Wiener Gemeindebezirk angerückt, um die lange schon | |
angedrohte Räumung durchzuziehen. Ein Polizeisprecher bestätigte später, | |
dass 1.700 Mann für das Vorhaben aufgeboten wurden. Ein Lkw mit Mobilklos | |
deutete darauf hin, dass das Innenministerium eine längere Verweildauer | |
einkalkulierte. Anwohnern wurde beschieden, der Polizeieinsatz könne „den | |
ganzen Tag über andauern“. | |
Die Hausbesetzer sind Akteure und Opfer einer Immobilienspekulation. Denn | |
die Hauseigentümerin Castella GmbH hatte die nach der Räumung des | |
Jugendzentrums „Pankahyttn“ im November 2011 heimatlos gewordenen Autonomen | |
eingeladen und mit ihnen einen bis Juni 2012 befristeten kostenfreien | |
Mietvertrag abgeschlossen. Der durchsichtige Zweck war, die Altmieter, die | |
nicht ausziehen wollten, zu vergraulen. Das Gebäude sollte dann renoviert | |
und die Wohnungen profitabel verkauft werden. Die Castella GmbH, die in | |
Wien 15 Objekte besitzt, hat einen Ruf für rüde Methoden. Da kommen schon | |
einmal Schlägertypen mit scharfen Hunden ins Haus, um die Mieter | |
einzuschüchtern. | |
Auch die drei Mietparteien, die in der Mühlfeldgasse 12 nicht den | |
Sanierungsplänen weichen wollten, klagten bald nach dem Einzug der Punks | |
über gezielte Schikanen. Da soll Müll im Stiegenhaus verschüttet worden und | |
die Kanalisation mit Steinen verstopft worden sein. Mehrmals standen die | |
Wohnungen unter Wasser. Gas wurde abgedreht, Sicherungen verschwanden aus | |
den Schaltkästen. Das berichtete ein Ehepaar einer Bezirkszeitung und | |
nannte auch den Schuldigen. Nämlich nicht die Punks, sondern die | |
Immobiliengesellschaft. | |
## Pizza gegen freiwillige Spenden | |
Die Punks revitalisierten die im Erdgeschoss gelegene Pizzeria und buken | |
dort jeden Sonntag Pizzen gegen freiwillige Spenden. Als sie nach Ablauf | |
des Mietvertrags das Haus nicht räumen wollten, ließ die Eigentümerin den | |
Eingang zumauern und sämtliche Wohnungsschlösser aufbohren. Einen | |
Räumungsbescheid wollte die Castella GmbH nicht abwarten. Ein Bauarbeiter | |
soll versucht haben, einen der Besetzer an Händen und Füßen aus dem Haus zu | |
schleifen. Die Polizei sah damals keinen Grund für ein Einschreiten gegen | |
diese offensichtlich rechtswidrige Aktion. Erst als ein kommunistischer | |
Bezirksrat intervenierte, nahmen die Polizisten eine Anzeige wegen | |
Nötigung, Freiheitsberaubung und Amtsanmaßung entgegen. | |
Inzwischen hat sich die Rechtslage zugunsten der Castella GmbH gewendet. | |
Eine Räumungsklage erlangte im vergangenen Februar 2014 Rechtskraft. | |
Seither bereiten sich die Besetzer auf eine gewaltsame Vertreibung vor. Sie | |
verschanzten sich im 3. Stock und verbarrikadierten das Stiegenhaus mit | |
Möbelstücken, Türen, Einkaufswagen, alten Reifen und sonstigem Gerümpel. | |
Als die Polizei anrückte, ketteten sich einige an, um ihren Abtransport zu | |
verzögern. | |
Von den politischen Parteien wird die Räumung erwartungsgemäß konträr | |
kommentiert. So konstatierten die Grünen überschießende Gewalt auf Seiten | |
der Polizei. „Der Polizeieinsatz steht aus meiner Sicht in keinem | |
Verhältnis zum Anlass. Hunderte PolizistInnen, ein Panzerwagen, | |
Wasserwerfer, großräumige Absperrungen und Platzverbote verunsichern die | |
lokale Bevölkerung“, kritisierte Landessprecher Georg Prack: „Dabei wäre | |
Deeskalation angebracht“. Ganz anders Wolfgang Seidl, Chef der Bezirks-FPÖ, | |
der die Partei der [1][Immobilienspekulanten] ergriff: „Viel zu lange hat | |
der linke Pöbel in der Mühlfeldgasse 12 hausen, die Gegend verdrecken und | |
die Lebensqualität der Anrainer zerstören dürfen". | |
28 Jul 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://twitter.com/bgarnicnig/status/493752017706577921/photo/1 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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