# taz.de -- Aktivisten wechseln in die Industrie: Strahlende Zukunft | |
> Umweltbewegte fanden in den vergangenen Jahren lukrative Jobs in | |
> Wirtschaft und Politik. Ihre Positionen passten sie den neuen Posten an. | |
Bild: Protest vor dem Bundestag: Für manche Aktivisten ging es von draußen na… | |
GÖTTINGEN taz | Johannes Kempmann kämpfte früher gegen eine | |
Wiederaufarbeitungsanlage und ein Atommüllendlager in Gorleben. Er war | |
Pressesprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg und saß | |
für die Grünen im niedersächsischen Landtag. Seit diesem Jahr ist er | |
Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Die | |
Lobbyorganisation vertritt zwar insgesamt rund 1.800 Unternehmen aus der | |
Branche, steht aber im Ruf, verlängerter Arm der großen Strom- und | |
Atomkonzerne e.on und RWE zu sein. | |
Beweist Kempmanns neuer Job bei dem Verband nun, dass dessen Konzernnähe | |
nur „ein Vorurteil“ ist, wie die Welt [1][meint]? Oder ist Kempmann ein | |
„Verräter“ an der guten und richtigen Sache, der – womöglich des Geldes | |
wegen – die Seiten gewechselt hat? | |
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. In der Ökologie- und | |
Anti-AKW-Bewegung hat sich im Laufe der Jahrzehnte großer Sachverstand | |
angesammelt, den sich natürlich auch Wirtschaftsverbände, Regierungen und | |
Parteien gern zunutze machen wollen. Wenn diese (frühere) Umweltaktivisten | |
rekrutieren, tut das auch ihrem Image gut – Stichwort „Greenwashing“. So | |
ist Kempmann nicht der einzige prominente Ex-Öko-Aktivist, der später an | |
ganz anderer Stelle der Umwelt- und Energieszene wieder auftaucht. Doch | |
trotz mancher Parallelen weist jede dieser Personalien ihre Besonderheiten | |
auf. | |
Zum Beispiel Stephan Kohler. Nach 20 Jahren Öko-Karriere als Atomexperte | |
beim Öko-Institut, als Vorstandsmitglied des Bundesverbandes | |
Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und Beiratsmitglied des Bundes für | |
Umwelt und Naturschutz (Bund), wechselte er 2000 als Geschäftführer zur neu | |
gegründeten Deutschen Energie-Agentur (Dena). Die ist, anders als viele | |
glauben, nicht etwa eine Regierungsbehörde, sondern ein | |
privatwirtschaftliches Unternehmen. Gesellschafter sind neben dem Bund | |
unter anderem die KfW-Bankengruppe, die Allianz und die Deutsche Bank. Im | |
Aufsichtsrat wird die Bundesrepublik durch das seit jeher konzern- und | |
atomfreundliche Wirtschaftsministerium vertreten. | |
Bitter stieß Umweltschützern unter anderem auf, dass Kohler 2008 vor einer | |
„Stromlücke“ warnte, falls keine neuen Großkraftwerke gebaut würden. Die | |
späteren Regierungsparteien CDU/CSU und FDP machten sich das Argument des | |
„Kronzeugen“ Kohler freudig zu eigen und nutzten es, um eine | |
Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke durchzusetzen. Tatsächlich gab | |
es schon damals ein großes Überangebot an Strom. Die Deutsche Umwelthilfe | |
nannte Kohlers Zahlen „Zweckpropaganda“ und warf der Dena-Studie | |
methodische Schwächen und politische Zielsetzungen vor. Kohler stand 2009 | |
vor dem Wechsel zur RWE. Der Corporate-Governance-Bericht 2012 der Dena | |
gibt sein Jahresgehalt mit 183.755 Euro an. | |
## Vom Öko-Institut zum obersten AKW-Berater | |
Auch der Reaktor-Fachmann Michael Sailer machte sich zunächst beim | |
Öko-Institut einen Namen – anders als Kohler ist er dem Institut bis heute | |
als Mitglied der Geschäftsführung verbunden. 1999 berief ihn der damalige | |
Bundesumweltminister Jürgen Trittin in die Reaktorsicherheitskommission | |
(RSK), von 2002 bis 2006 war er Vorsitzender dieses Gremiums und damit | |
[2][oberster Gutachter] und Berater der Bundesregierung zum Thema | |
AKW-Sicherheit. | |
Seit 2006 ist Sailer wieder einfaches RSK-Mitglied. Des Weiteren steht er | |
der Entsorgungskommission des Bundes vor und ist Mitglied des Scientific & | |
Technical Commitee von [3][EURATOM]. Mit der Anti-AKW-Bewegung überwarf er | |
sich erstmals, als er sich 1996 [4][in der taz] gegen Blockaden an den | |
Zwischenlagerstandorten Gorleben und Ahaus aussprach. Aktivisten warfen ihm | |
daraufhin vor, der „Atomlobby auf den Leim gegangen“ zu sein und nannten | |
ihn einen Überläufer. Auch bei den Bürgerinitiativen aus der Asse-Region | |
hat sich Sailer Feinde gemacht: Er ist dagegen, das marode Atomlager leer | |
zu räumen und setzt sich stattdessen – wie der frühere Betreiber Helmholtz | |
Zentrum – für eine Flutung der Grube ein. | |
Jochen Flasbarth hatte als Präsident des Naturschutzbundes (Nabu) | |
Deutschland ebenfalls viele Jahre eine führende Position in der | |
Umweltbewegung inne. 2009 wurde er Präsident des Umweltbundesamtes, 2013 | |
beamteter Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Seine Positionen, etwa | |
zum Atommüll-Standort Gorleben, hat er zumindest öffentlich seinen | |
jeweiligen Posten angepasst. | |
Denn noch 2003 erteilte Flasbarth einem Endlager in Gorleben eine komplette | |
Absage: Der Salzstock im Wendland gehöre „nicht nur auf Eis, sondern ad | |
acta gelegt“. Vergangene Woche warb er in Lüchow für das Gegenteil - | |
nämlich, dass das Gorlebener Bergwerk nicht vollends aufgegeben, sondern | |
nur ein bisschen geschlossen wird. So werden die beiden Schächte und ein | |
Verbindungsstollen offengehalten, um später eine etwaige weitere Nutzung zu | |
ermöglichen. Gorleben bleibt damit im Rennen, sogar in der Pole-Position. | |
4 Aug 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.welt.de/wirtschaft/energie/article129504138/Gruener-Atomkraftgeg… | |
[2] /1/archiv/ | |
[3] http://ec.europa.eu/energy/nuclear/euratom/euratom_en.htm | |
[4] /download/TAZ_1996-12-05_007.pdf | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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