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# taz.de -- Fußball in der Ostukraine: Unter Beschuss
> Trotz heftiger Kämpfe in der Ostukraine läuft der Ligabetrieb. Viele
> Vereine mussten umsiedeln – auch Meister Schachtjor Donezk.
Bild: Galt einmal als eines der modernsten Stadien der Welt: die Donbass-Arena …
Den ersten Titel des Saison hat Schachtjor Donezk schon gewonnen. Mit 2:0
schlug der Meister die Erzrivalen von Dynamo Kiew und holte sich den
Supercup. Auch in der Liga läuft es für den Titelverteidiger bestens: vier
Spiele, vier Siege.
Und hätten nicht zwei Granaten, die am vergangenen Wochenende in die
Luxusarena von Donezk eingeschlagen waren, den Krieg in das Bewusstsein der
Fußballnarren auf diesem Kontinent gebombt, es würde heute vielleicht nur
darüber geredet, wie sich Schachtjor in der Gruppenphase der Champions
League gegen Bilbao, den FC Porto und Borisow aus Weißrussland schlagen
wird. Doch so ist das Thema ein anderes: Fußball in Zeiten des Krieges.
Eine Million Dollar Sachschaden sei durch das Bombardement entstanden. Das
teilte Sergej Palkin, der Vorstandschef von Schachtjor, Anfang der Woche
mit. Am Donnerstag meldete er via Facebook, dass vier Granaten auf dem
Trainingsgelände von Schachtjor eingeschlagen seien, etwas außerhalb der
Stadt. Persönlich konnte er sich keinen Eindruck von den Zerstörungen
machen. Nachdem die Stadt von den Separatisten der sogenannten
Volksrepublik Donezk übernommen wurde, ist der Serienmeister umgesiedelt.
Trainiert wird jetzt in Kiew. Die meisten Heimspiele finden in Lemberg
statt, 1.200 Kilometer von der Donbass-Arena entfernt.
Schachtjor ist nicht der einzige Erstligist, der aus der Ostukraine
vertrieben worden ist. Die Lokalrivalen Olimpik und Metalurg Donezk sind
nach Kiew umgezogen. Der FC Sorja Luhansk ist in die Südukraine nach
Saporoschje ausgewichen.
Das am weitesten entfernte Exil indes hat Schachtjor gewählt. Die Lemberger
Arena, in der lange Zeit gar kein ernst zu nehmendes Ligaspiel ausgetragen
wurde, weil sich der örtliche Erstligist Karpaty die Miete für den
schmucken Fußballtempel, der für die Fußball-EM 2012 errichtet wurde, nicht
leisten konnte, ist in Kriegszeiten doch noch zu einem Zentrum des
ukrainischen Fußballs geworden. Ausgerechnet die einst so verhassten
Ostukrainer von Schachtjor Donezk sorgen dafür.
## Der neue Herzensukrainer
Während der Fußball-EM vor zwei Jahren hätte sich das niemand vorstellen
können. Auch damals war viel vom Krieg die Rede, von einem kalten – vom
Fußballkrieg zwischen der Ost- und der Westukraine.
Als größter Zündler in diesem Konflikt war schnell Rinat Achmetow
ausgemacht, jener Oligarch, der es mit Stahl, Kohle, Logistik- und
Finanzgeschäften zum reichsten Mann der Ukraine gebracht hat. Von Donezk
aus bestimmte er die Politik des ganzen Landes mit, war mit dem längst nach
Südrussland verjagten Expräsidenten Wiktor Janukowitsch befreundet und hat
dessen in der Ostukraine verankerte Partei der Regionen stets gut
ausgestattet. Er symbolisierte die Leistungsfähigkeit der Kohle- und
Stahlregion des Donbass. Er machte Schachtjor groß. Den Klub stattete er so
aus, dass alle anderen ukrainischen Vereine nur noch hinterherhecheln
konnten.
Nachdem die ukrainische Nationalmannschaft bei der EM in der Vorrunde
gescheitert war, stellte man sich die Frage, warum sie zwei ihrer drei
Gruppenspiele im russischsprachigen Donezk und nur eines in der Hauptstadt
Kiew ausgetragen hat. Achmetows Drang, das Machtzentrum des ukrainischen
Fußballs gen Osten zu verschieben, habe letztlich zum frühen Ausscheiden
der Gastgeber geführt, lautete der Vorwurf aus dem Westen des Landes.
In der Tat mischten sich in die Anfeuerungsrufe der ukrainischen Fans in
Donezk immer mächtige „Russland!“-Sprechchöre. Reine Heimspielatmosphäre
herrschte nicht in der überkandidelten Arena von Donezk, die damals schon
wie ein Fremdkörper wirkte inmitten der doch eher elenden Wohnquartiere der
Millionenstadt.
## Viele Spieler wollen so schnell wie möglich weg
Ausgerechnet im nationalistischen Westen des Landes spielt nun Achmetows
Millionentruppe. Der Oligarch bleibt diesen Spielen fern. Er muss davon
ausgehen, dass ihm seine neue Rolle als Herzensukrainer und
Separatistengegner, die er eingenommen hat, nicht abgenommen wird. Am
Montag postete der Klub eine Botschaft des Eigners an die Ukrainer: „Das
Wichtigste ist, den Krieg zu beenden, Leben von Frauen, Kindern, Senioren,
allen Bürgern des Donbass zu retten. Unsere Region ist in Not, im Zentrum
einer humanitären Katastrophe“, heißt es. Und während er den Friedensengel
mimt, unternimmt er alles, um sein Team zusammenzuhalten.
Das ist gar nicht so einfach. Vor Saisonbeginn weigerten sich sechs Spieler
aus Südamerika (Douglas Costa, Fred, Dentinho, Alex Teixeira, Ismaily und
Facundo Ferreyra) nach einem Freundschaftsspiel in Frankreich, in die
Ukraine zurückzukehren. Sie hätten Angst, sagten sie, und hätten sich auf
die Suche nach neuen Klubs gemacht. Bei Schachtjor stießen sie auf völliges
Unverständnis. Klubboss Palkin warf ihnen ebenso wie der rumänische Trainer
des Klubs, Mircea Lucescu, mangelnde professionelle Einstellung vor.
Schachtjors Fußballmodell basiert auf dem Import von talentierten Spielern
aus Südamerika, die sich in Donezk entwickeln sollen, um dann auf dem
Transfermarkt gute Preise erzielen zu können. Nun wollen viele Spieler so
schnell wie möglich weg. Neue Spieler scheuen die Ukraine.
## Das Jahr der Ukrainisierung
Achmetows Millionen haben bislang den totalen Ausverkauf von Schachtjor
verhindert, auch wenn der Argentinier Ferreyra inzwischen nach Newcastle
verliehen wurde und Fernando vor dem Absprung nach Florenz stehen soll.
Auch durch die Androhung drakonischer Strafzahlungen ist es dem Klub
gelungen, die unwilligen Spieler zur Rückkehr in die Ukraine zu bewegen.
Derzeit wird sogar über einen Neuzugang aus Brasilien verhandelt. Ein
Spieler namens Romarinho soll schon auf dem Weg von São Paulo nach Kiew
sein.
In Charkiw dagegen ist es dem Klub nicht gelungen, seine Gastarbeiter zu
halten. Nachdem der Besitzer von Metallurg, Jungoligarch Serhij
Kurtschenko, 28, die Ukraine verlassen hat, weil er allzu eng mit
Expräsident Janukowitsch verbandelt war, konnte sich der Klub die Spieler
Sebastian Blanco, Alejandro Gomez, Jose Sosa und Jonathan Cristaldo nicht
mehr leisten. Fußballkolumnist Alex Kuzmenko von football.ua findet das gar
nicht einmal so schlecht. „Was den Fußball betrifft, ist dies das Jahr der
Ukrainisierung“, sagt er und glaubt, dass junge ukrainische Spieler von der
derzeitigen Entwicklung profitieren würden.
Die ukrainischen Profis treten dabei in einer Rumpfliga an. Statt 16
spielen nur noch 14 Mannschaften um den Titel. Grund dafür ist auch die
Annexion der Krim durch Russland. Tawrija Simferopol ist nach der
Abspaltung des Landes sportlich zerfallen. Und der Eigentümer des Klubs aus
Sewastopol hat die Finanzierung der Mannschaft unter den neuen
Machtverhältnissen auf der Krim eingestellt. Außerdem hat der russische
Verband alle Krimklubs in seinen Spielbetrieb integriert.
Offiziell hat die Verkleinerung der Liga rein sportliche Gründe. Nach einer
Hauptrunde mit Hin- und Rückspiel soll die Liga in eine Meisterschafts- und
eine Abstiegsrunde aufgeteilt werden. Das tue dem Wettbewerb gut, meint
dazu Schachtjors Trainer Lucescu und weiß wohl selbst am besten, dass dies
nicht die ganze Wahrheit ist.
(Mitarbeit Viktoria Bilash)
30 Aug 2014
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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Fußball
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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