# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Putin mit menschlichem Antlitz | |
> Russlands Präsident ruft die Separatisten dazu auf, für ukrainische | |
> Soldaten einen humanitären Korridor zu öffnen. Seine Landsleute werden | |
> kriegsmüde. | |
Bild: Hat sein Herz für die ukrainische Armee entdeckt: Russlands Präsident W… | |
MOSKAU taz | Um ein Uhr zehn am Freitag früh wandte sich Präsident Wladimir | |
Putin auf der Website des Kreml mit einem Aufruf an die sogenannten | |
Separatisten in Donezk: „Ich rufe die Aufständischen dazu auf, für die | |
eingeschlossenen ukrainischen Soldaten einen humanitären Korridor zu | |
öffnen, um sinnloses Sterben zu verhindern“. Die Soldaten waren vor einer | |
Woche in der Nähe von Ilowaisk von prorussischen Kräften umzingelt und vom | |
Hinterland abgeschnitten worden. | |
Die Antwort der vermeintlichen Rebellen folgte umgehend: man werde die | |
Ukrainer nur dann ziehen lassen, wenn sie die Waffen vorher niederlegten. | |
Kurzum: Oberkommandierender Putin tat alles, was in seiner Macht steht. | |
Folgen die Aufständischen dennoch nicht seinem Appell, so bestätigt sich | |
aus Sicht Moskaus dessen monatelanges Mantra, dass Russland keine | |
kriegführende Partei sei. So das Kalkül. | |
Trotz Mimikry lässt der Kreml inzwischen aber immer mehr den Schleier | |
fallen. Der Appell pries die „Bürgerwehr Neurusslands“ und führte damit d… | |
Begriff „Noworossija“ erstmals in einem offiziellen Text ein. Noworossija | |
beschreibt jenes Gebiet im Süden und Osten der Ukraine, auf das Russland | |
historischen Anspruch zu haben glaubt. | |
Moskau spielte bei der Destabilisierung des Nachbarn bislang auf Zeit, | |
plötzlich ist es in höchster Eile. Dafür spricht auch die nächtliche | |
Veröffentlichung des Appells. Nach einer Phase von Niederlagen der | |
„Separatisten“ will Moskau deren letzte Landgewinne anscheinend nun doch | |
noch in eine befreite Zone verwandeln, die zwar erheblicher kleiner ist als | |
Neurussland, die aber als ein quasi-staatliches Gebilde - in Anlehnung an | |
die nicht anerkannte Republik Transnistrien – im Fleische der Ukraine als | |
Unruheherd dienen könnte. | |
## Weniger kriegerischer Enthusiasmus | |
In Umfragen hat der kriegerische Enthusiasmus der Bevölkerung etwas | |
nachgelassen. Nur fünf Prozent befürworten noch eine militärische | |
Intervention beim Nachbarn ermittelte das Moskauer Institut FOM. Auch die | |
Unterstützung für ein gewaltsames Vorgehen hat im Vergleich zu den | |
Vormonaten um ein Drittel abgenommen. | |
An der psychischen Verfasstheit der russischen Gesellschaft hat sich | |
unterdessen nichts geändert, noch verharrt sie im Zustand erhöhter | |
Mobilisierung. Erste Anzeichen leichter Ermüdungserscheinungen sind jedoch | |
zu erkennen. So hatte die Betriebswirtin, Jana Tarassowa, noch im Frühjahr | |
wenig an der russischen Ukrainepolitik auszusetzen. Inzwischen wünscht sich | |
die 32jährige, dass der Konflikt beigelegt und das Blutvergießen beendet | |
werden. Zu gewinnen gäbe es nichts, meint sie. Und wer ist schuld? „Die | |
Politiker auf beiden Seiten“, sagt sie kategorisch. | |
Für die beiden Bankangestellten Alexej und Nikolai, 25 und 27 Jahre alt, | |
steht der Schuldige von vornherein fest. „Die Amerikaner natürlich“, | |
schießt es aus ihnen wie auf Knopfdruck heraus. Die beiden erfolgreichen | |
jungen Leute verkörpern die Generation Putin. Um den Frieden zu retten, | |
raten sie den Ukrainern, auf „Neurussland“ zu verzichten. „Krieg? Wieso | |
denn Krieg?“, fragt der eine, „Den gibt es doch gar nicht“. Russland solle | |
sich in der Ukraine auch nicht einmischen. Wäre die Ukraine jedoch Teil | |
Russlands, gebe es auf jeden Fall die „40 Millionen ukrainischen Faschisten | |
bald nicht mehr“. | |
Der ideologische Mastermind des Kreml, Wladislaw Surkow, würde auch „aus | |
ihnen im Nu Anhänger Wladimir Putins machen“, sagt er vollen Ernstes. Die | |
Melange aus Zynismus und ideologischer Empfänglichkeit ist in dieser | |
Generation besonders weit verbreitet. | |
Die Rentnerin Swetlana Alexandrowa leidet an dem Krieg mit dem Brudervolk. | |
„Wir können nur verlieren“, sagt sie. Die inneren Widersprüche spitzten | |
sich in Russland immer weiter zu. Die ältere Dame sieht nur eine Lösung: | |
Der Ukraine das Recht auf Selbstbestimmung endlich zuzugestehen. | |
29 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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