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# taz.de -- Krise in der Ukraine: Gegen alle Regeln
> Schon die Römer kannten ihn, die USA haben ihn weiterentwickelt und die
> Russen modernisiert: den unkonventionellen Krieg.
Bild: Hauptsache eine Knarre: Aufständische sind stets die Kerntruppen der unk…
Die kalte Annexion der Krim und die offene politische und verdeckte
militärische Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine haben den
Westen überrascht. Trotz der Erfahrungen aus dem Georgienkrieg 2008 und des
Wissens um Moskaus geopolitische Interessen in Europa tut sich der Westen
schwer, angemessen zu reagieren. Dafür gibt es viele Gründe.
Einer davon scheint die von Beobachtern konstatierte angeblich völlig neue
Art der Kriegführung zu sein. Diese firmiert unter dem Fachbegriff
„unkonventioneller Krieg“ oder, mit den Worten des russischen
Generalstabschefs Waleri Gerasimow, „nichtlinearer Krieg“ und ist so neu
nicht.
Dabei handelt es sich um einen verdeckten, mit unkonventionellen Mitteln
durchgeführten und in unklaren Gefechtslinien verlaufenden Gewaltkonflikt,
der von einem Staat durch die Unterstützung einer Widerstandsbewegung
gezielt in einem anderen Staat betrieben wird, um eine Regierung zu einem
bestimmten Verhalten zu zwingen oder sie zu stürzen. Der betroffene Staat
betreibt dann Aufstandsbekämpfung, während der unkonventionell operierende
Staat den Aufstand unterstützt.
Bereits die Römer setzten dieses Mittel erfolgreich im Zweiten Punischen
Krieg ein, als sie Karthago durch das Schüren von Aufständen zu schwächen
versuchten. Früher wurde diese Form der Kriegführung meist im Rahmen
regulärer Kriege angewendet; während des Kalten Krieges galt es, diese
wegen der Gefahr einer nuklearen Eskalation zu vermeiden.
Das Ende des Ost-West-Konflikts sollte eigentlich, so die Charta von Paris
1990, in Europa ein „neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der
Einheit“ eröffnen. Stattdessen erlebten Formen unkonventioneller
Kriegführung in Europa eine Renaissance. Die verdeckte militärische
Unterstützung Kroatiens sowie der UÇK im Kosovo während der Balkankriege in
den 90er Jahren durch die USA gehört ebenso dazu wie etwa die verdeckten
Operationen Frankreichs und Großbritanniens mit Spezialkräften im
Libyenkrieg von 2011. Der Auftrag: Versorgung der Aufständischen mit
Aufklärung, Ausrüstung, Ausbildung und Führungsunterstützung.
## Eine Form irregulärer Kriegführung
Unkonventionelle Kriegführung ist eine Form irregulärer Kriegführung, die
indirekte und asymmetrische Ansätze bevorzugt, aber das ganze Spektrum der
Einflussmöglichkeiten nutzt: militärische und zivile, diplomatische und
wirtschaftliche, informationelle und propagandistische. Diese ganze
Bandbreite setzt auch Moskau ein. Die Annexion der Krim wurde durch ein
groß angelegtes Ablenkungsmanöver eingeleitet. Ohne vorherige Ankündigung
wurden große Teile der Armee in Alarmbereitschaft versetzt.
Während westliche Beobachter gebannt ein Manöver mit mehr als 150.000
Soldaten verfolgten, verstärkte Moskau bis Ende März die in Sewastopol
stationierten 10.000 Soldaten um weitere 22.000, darunter Spezialkräfte der
Geheimdienste. Maskierte, aber diszipliniert und bestimmt auftretende
Männer im Kampfanzug ohne Hoheitsabzeichen – die sogenannten grünen
Männchen – waren immer dann präsent, wenn lokale prorussische Kräfte
Gebäude des ukrainischen Staates besetzten. Die propagandistische
Begleitmusik spielte das Lied von der autonomen Volksbewegung, die den
Anschluss an Russland wolle.
In der Ost- und Südukraine gestaltete sich das Vorgehen Russlands ähnlich.
Im Unterschied zur Krim eskalierte der Konflikt hier jedoch zum
Bürgerkrieg, der bislang fast 2.600 Menschenleben gefordert hat. Die
„grünen Männchen“ agierten im Zusammenspiel mit lokalen bewaffneten
Aufständischen hauptsächlich im Raum Donezk und Luhansk, wobei dieses Mal
auch russische Freiwillige und Kämpfer aus dem Kaukasus mitwirkten. In der
russischen Propaganda handelt es sich um Freiwillige, die für die
Selbstbestimmung der Russen und gegen die Faschisten aus Kiew kämpfen.
Tatsächlich erhalten die Separatisten von Russland Führungsunterstützung
und Ausrüstung. Seitdem die Aufständischen unter militärischen Druck der
Ukraine gekommen sind, antwortet Moskau mit grenznahen Manövern,
Waffenlieferungen sowie mit humanitärer Hilfe, um vom eigentlichen
Geschehen abzulenken. Proteste von Angehörigen gefallener russischer
Soldaten werden mit dem Hinweis, es habe sich um Freiwillige gehandelt,
abgewiesen.
## Kein Thema für die Bundesregierung
Für die Bundesregierung ist irreguläre Kriegführung bislang kein Thema, sie
gehört nicht zum Repertoire der Bundeswehr. In den USA und in Russland
denkt man jedoch anders. Hier wie dort wird unkonventionelle Kriegführung
gelehrt, geplant und auch durchgeführt. So konstatieren amerikanische
Militärdoktrinen, dass heikle Operationen im Rahmen unkonventioneller
Kriegführung im 21. Jahrhundert relevanter denn je sind und dass die
US-Streitkräfte sich in naher Zukunft vor allem in irregulären Kriegen
engagieren werden.
Russland hat zwar auch Erfahrung in verdeckter Kriegführung, ist aber
technologisch und doktrinär weniger darauf vorbereitet. Nach den negativen
Erfahrungen des partiell mit unkonventionellen Mitteln geführten Krieges
mit Georgien leitete Moskau eine umfassende Militärreform ein, deren Ziel
darin bestand, kleinere Einheiten zu schaffen, die flexibler und vernetzter
operieren können. Die Analyse der westlichen Aktivitäten in Libyen und
Syrien sowie während der „farbigen“ Revolutionen in Georgien und in der
Ukraine führte zu der Feststellung, dass die Grenzen zwischen Krieg und
Frieden undeutlicher geworden sind und sich die Regeln des Krieges geändert
haben.
Die Erkenntnisse des russischen Generalstabschefs Gerasimow lauten: größere
Bedeutung nichtmilitärischer Mittel und asymmetrischer Aktionen, Verwendung
von Präzisionswaffen, Nutzung von Spezialkräften und internen
Oppositionskräften sowie die zentrale Bedeutung von
Informationsoperationen. In der Ukraine wendet Russland die modernisierte
Form der Kriegführung erstmals an.
Für die USA wie auch für Russland gilt, dass unkonventionelle Kriegführung
einem politisch-strategischen Ziel dient. Moskau will die Ukraine so weit
wie möglich in seinem Einflussbereich halten, um die Annäherung an die Nato
zu verhindern, und das Projekt der Eurasischen Wirtschaftsunion umsetzen,
die ohne Kiew weniger Gewicht hätte. Auch wenn die Mitgliedschaft Kiews in
der Union momentan illusorisch ist, will Russland seinen Einfluss über den
Osten des Landes wahren in der Hoffnung, dass sich die Lage in der ganzen
Ukraine langfristig ändert.
## Wie soll der Westen antworten?
Das strategische Ziel des Westens ist Selbstbestimmung für die Ukraine und
ihre Einbindung in den Westen. Dmitri Trenin vom Carnegie Moscow Center
sieht das Ziel der USA darin, Moskau politisch und wirtschaftlich so lange
unter Druck zu setzen, bis es die Ukraine aufgibt und im Idealfall Putin
darüber zu Fall kommt. Trifft diese Annahme zu, riskiert Washington, dass
Moskau präventiv eskalieren könnte. Wie soll der Westen antworten?
Da sich die politisch-strategischen Ziele gegenseitig ausschließen, laufen
beide Seiten Gefahr, in eine gefährliche Logik des Nullsummendenkens
abzudriften, die Europa wieder zu teilen droht. Gefördert wird die
Entwicklung durch alte und neue Formen unkonventioneller Kriegführung. Die
Unterstützung der Reform der ukrainischen Sicherheitsorgane durch Nato und
EU sowie die Lieferung militärischer Ausrüstung durch die USA dürften aus
russischer Sicht ebenso dazugehören wie aus westlicher Sicht die russische
Unterstützung der Separatisten. Die Festnahme von zehn russischen Soldaten
der 98. Luftlandedivision am vergangenen Mittwoch in der Ukraine sowie
Gerüchte über eine bevorstehende von Moskau unterstützte Gegenoffensive der
Separatisten zeigen die Brisanz der Lage.
Es ist höchste Zeit, sowohl die politisch-strategischen Ziele als auch die
Mittel infrage zu stellen. Am besten gemeinsam und auf der Grundlage der
Prinzipien kooperativer Sicherheit. Diese dürften zwar angesichts des
bereits eingetretenen Schadens nicht zu dem in der Charta von Paris
angestrebten Europa der Demokratie, des Friedens und der Einheit führen,
aber zumindest den jetzigen unkonventionellen Krieg beilegen und künftige
(un)konventionelle Kriege in Europa verhindern.
30 Aug 2014
## AUTOREN
Hans-Georg Ehrhart
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