Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fußball in der Ukraine: Flucht aus Odessa
> Chaos in der Ukraine: Spieler suchen das Weite, Klubs sind
> zahlungsunfähig, Fans singen für den Gegner. Doch das Derby auf der Krim
> findet statt.
Bild: Der Österreicher Markus Berger (r), hier noch im Trikot von Tschernomorj…
Denis Prychynenko ist gerade mal 22 Jahre alt, aber er hat mit seinen
beiden letzten Fußballvereinen schon verdammt viel erlebt. Mit 16 ging er
nach Schottland, zu Hearts of Midlothian. Der Beat der Hearts schlägt im
Westen von Edinburgh, schon seit 1874. Prychynenko, der in Deutschland
aufgewachsen ist, wollte die Welt sehen, diesen Sound der Fremde hören.
Potsdam und Cottbus, wo er Fußballspielen gelernt hat, diese Nester waren
ihm zu klein geworden.
„Ich habe in Schottland viel gelernt, vor allem zu kämpfen“, sagt er. Er
wurde von seinem Klub zum besten U19-Spieler der Saison gewählt. Doch im
Sommer 2013 erlitten die Hearts einen akuten Infarkt. Die Pleite. Der
Financier des Klubs, der russisch-litauische Multimillionär Wladimir
Romanow, hatte sich übernommen. Prychynenko stand ohne Verein da. Aber
nicht lang. Denn die Familie hat gute Verbindungen in die Ukraine.
Vater Sergej spielte einst für Lokomotive und ZSKA Moskau; Anfang der 80er
Jahre wanderte er nach Deutschland aus. Sein Zwillingsbruder Wladimir blieb
in der damaligen Sowjetunion. Dessen Sohn spielt heute auf der Krim für
Tawrija Simferopol. So verschlug es Denis Prychynenko von Schottland auf
die Krim. Er läuft seit einigen Monaten im blau-weißen Trikot des FC
Sewastopol auf, zuerst für das Nachwuchsteam, seit sechs Spielen für die
Profimannschaft. Beide Krim-Klubs spielen in der ersten ukrainischen Liga.
Noch.
Am Donnerstag kam es zum Derby auf der Krim. Zum „Familienduell“, weil die
Cousins Denis und Stanislaw Prychynenko gegeneinander antraten.
Abstiegskandidat Simferopol verlor 0:2 gegen Sewastopol. „Das lief eher
freundschaftlich ab“, sagt Denis Prychynenko, „nicht so wie in Glasgow,
wenn Celtic und die Rangers aufeinandertreffen.“ 30.000 Zuschauer waren im
Stadion. „Alles ganz normal.“
## Nicht von Politik ablenken lassen
Diesen Satz sagt der junge Kicker ziemlich oft. Alles normal. Es ist seine
Art, mit der Komplexität und auch der Brisanz der politischen Lage auf der
Krim umzugehen. Am Morgen des Telefonats mit der taz hat er trainiert, wie
immer. Jetzt sitzt er in einem Café im Zentrum von Sewastopol und sagt:
„Wir müssen da durch, das ist unser Beruf. Wir sind Profis. Und wir haben
einen Vertrag. Den erfülle ich. Ein Profi sollte sich nicht von politischen
Dingen ablenken lassen.“
Die Rückrunde der ukrainischen Liga begann wegen des Umsturzes auf der Krim
zwei Wochen später. Sein Team habe dadurch „den Rhythmus verloren“ sagt
Prychynenko, aber so schlimm sei das nicht gewesen. Hat man halt ein paar
Freundschaftsspiele organisiert. Der Ligabetrieb läuft halbwegs rund, nur
die Anreise zu weit entfernten Spielorten sei jetzt schwieriger. Nach
Donezk mussten sie neulich zehn Stunden im Nachtzug fahren.
In der Ostukraine, wo es jetzt zu Kämpfen zwischen sogenannten
prorussischen Kräften und Kiewer Regierungstruppen kommt, hat Sewastopol
dann 0:3 gegen Metalurg Donezk verloren. Während des Spiels solidarisierten
sich Metalurg-Fans mit den Krim-Kickern. Auch in Lwiw war das zu sehen –
wie Karpaty-Fans zu den Anhängern von Sewastopol gehen und die ukrainische
Hymne singen. Denis Prychynenko fällt es schwer, die Zeichen zu deuten, wer
für Russland sei und wer dagegen. Selbst die Experten vor Ort sind mit der
Lage überfordert.
## Wechsel nach Russland?
Da gibt es zum Beispiel den ukrainischen Oligarchen Wadim Nowinski, ein
Russe, der erst 2012 ehrenhalber die ukrainische Staatsbürgerschaft
verliehen bekam. Nowinski ist ein Geschäftspartner des reichsten Ukrainers
Rinat Achmetov. Beide waren Parteigänger des von den Maidan-Kämpfern
verjagten Präsidenten Wiktor Janukowitsch, doch heute geben sich Achmetow
und Nowinski eher proukrainisch.
Was beide eint, ist nicht nur ihr milliardenschweres Business, sondern auch
ein Faible für den Fußball. Rinat Achmetow gehört der Klub Schachtjor
Donezk, Wadim Nowinski hat sich den FC Sewastopol unter den Nagel gerissen.
Das ist jetzt natürlich ein Problem. Wie geht es mit den Vereinen auf der
Krim weiter? Wechseln sie in die russische Fußballliga?
Die neuen Machthaber auf der Krim haben den Milliardär Nowinski „wegen
Tätigkeiten zum Nachteil der Krim“ mit einem Einreiseverbot belegt. Dennoch
will er den Klub bis zum Saisonende weiter finanziell unterstützen. Am
liebsten würde er den FC Sewastopol herüberholen aufs ukrainische Festland
– oder eben andere Fußballmannschaften unterstützen wie Kriwbass Kriwoi Rog
oder den Klub Nikolajew. Denis Prychynenko sagt dazu lakonisch: „Was wird,
das wird.“ Ob er im Sommer noch auf der Krim spielen wird, ist offen. Sein
Vertrag läuft aus. Er hat zwar ein neues Angebot von Sewastopol vorliegen,
aber er möchte am liebsten nach Deutschland in die Bundesliga wechseln.
„Das wäre mein Traum“, sagt er.
## Flucht aus der Ostukraine
Viele Spieler möchten derzeit weg. Die ukrainische Liga hat ihren Reiz
verloren. Den größten Aderlass hatte wohl Tschernomorjez Odessa zu
verkraften. „Aufgrund der politischen Lage und fehlender Informationen von
Verband und Liga zum Verlauf der Saison waren wir gezwungen, den Wünschen
der Spieler zu entsprechen“, hat der Verein Anfang März auf seiner
Internetseite geschrieben. Fünf Spieler hatten Odessa verlassen: der
Brasilianer Anderson Santana, der Ivorer Franck Dja Djedje, der Spanier
Sito Riera, der Argentinier Pablo Fontanello und der Österreicher Markus
Berger.
„Allein das Risiko, einer möglichen Gefahr ausgesetzt zu sein, hat mir
schon genügt“, hat Markus Berger kurz nach seiner Flucht in einem Interview
mit der Wiener Presse verraten. Es habe in dieser Zeit Demonstrationen
gegeben. „8.000, 9.000 Menschen hatten sich auf der Straße versammelt,
teils mit Baseballschlägern bewaffnet. Einfach erschütternd.“ Berger hat
schnell die Sachen gepackt und ist mit seiner Familie 2.000 Kilometer im
Auto nach Salzburg gefahren. „Da ist auch ein wenig die Angst mitgefahren.“
Bergers Spielerberater Thomas Böhm von der Agentur Grass is Green sagt,
dass Tschernomorjez Odessa seinen Schützling ordnungsgemäß „ausbezahlt“
habe. Mittlerweile ist der Defensivspezialist in Norwegen untergekommen,
bei IK Start Kristiansand. „Da war noch das Transferfenster offen“, sagt
Thomas Böhm, „außerdem hat der Markus Berger eine sehr hohe Qualität.“
Sicherheitsbedenken muss Berger an der norwegischen Südküste nicht haben.
Drunter und drüber geht es auch bei Metalist Charkow, einem Klub in der
Ostukraine. Der ukrainische Vizemeister steht am Rande der Insolvenz.
Vergangene Saison hatte Sergej Kurtschenko, 28, milliardenschwerer
Geschäftsführer von GasUkraina, den Verein von einem anderen
milliardenschweren Oligarchen, Alexander Jaroslawski, gekauft.
Gerüchtehalber soll im Verein auch Geld gewaschen worden sein. Nach dem
Machtwechsel und der Absetzung von Janukowitsch ist Kurtschenko wohl nach
Weißrussland geflohen; er wurde auch in einer Bar in Moskau gesehen. Sein
Vermögen wurde von der Europäischen Union eingefroren.
Metalist, derzeit Tabellenvierter in der obersten ukrainischen Spielklasse,
ist so gut wie zahlungsunfähig. Trainer Myron Markewytsch hat die Koffer
gepackt. Und auch der ehemalige HSV-Sportvorstand, Frank Arnesen, hat den
Verein Hals über Kopf verlassen. Profis wie der Argentinier Alejandro Gomez
oder der Brasilianer Cleiton Xavier werden wohl bald folgen.
Sewastopols Brasilianer Farley Vieira Rosa will auf der Krim bleiben.
Vorerst. „Er ist so ein Typ wie ich: kämpferisch und vertragstreu“, sagt
Denis Prychynenko. „Normal, oder?!“
21 Apr 2014
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Ukraine
Fußball
Odessa
Krim
Sewastopol
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Fußball
Ukraine
Ostukraine
Ukraine
Ukraine
Staatsbankrott
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fußball in der Ostukraine: Unter Beschuss
Trotz heftiger Kämpfe in der Ostukraine läuft der Ligabetrieb. Viele
Vereine mussten umsiedeln – auch Meister Schachtjor Donezk.
Russen diskutieren Ukraine-Politik: „Wir wollen keinen Krieg“
Die Debatte über Putins Umgang mit der Ukraine hat sich stark gewandelt und
polarisiert die Russen: Freundschaften und Familien zerbrechen.
Konflikt in der Ostukraine: Genfer Friedensplan in Gefahr
Die Separatisten in den besetzten ukrainischen Städten geben nicht nach.
Das gefährdet den Genfer Friedensplan. Nun will US-Vizepräsident Biden
persönlich helfen.
Keine Osterruhe in der Ostukraine: Schießerei und Ausgangssperre
In Slawjansk im Osten starben bei Zusammenstößen mehrere Menschen. Der
Anführer der prorussischen Kräfte verbietet den Bürgern, nachts auf die
Straße zu gehen.
Konflikt im Osten der Ukraine: Kiew verspricht Waffenruhe zu Ostern
Die Regierung der Ukraine will in den nächsten Tagen auf ein Vorgehen gegen
die Separatisten verzichten. Die OSZE soll in den Osten reisen. Dort gibt
man sich unbeirrt.
Debatte Ukraine: Was machen die Oligarchen?
Das Land ist bankrott und zutiefst korrupt. So wird jede finanzielle Hilfe
von außen schwierig. Viel zu privatisieren gibt es in der Ukraine aber
nicht mehr.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.