# taz.de -- Russen diskutieren Ukraine-Politik: „Wir wollen keinen Krieg“ | |
> Die Debatte über Putins Umgang mit der Ukraine hat sich stark gewandelt | |
> und polarisiert die Russen: Freundschaften und Familien zerbrechen. | |
Bild: Der Moskauer Patriarch Kyrill lässt eine Friedenstaube frei. | |
MOSKAU taz | Furcht, Nachdenklichkeit, Hoffnung auf eine diplomatische | |
Lösung und Wut über den Rest der Welt und die Nato, die Russland zum | |
Bösewicht und Kriegstreiber machen möchten, prägen viele Gespräche in | |
Russlands Küchen und Cafés über die Krim und die Ostukraine. Noch vor einem | |
Monat war das anders. Faschisten in der ukrainischen Regierung, so die weit | |
verbreitete Auffassung damals, berechtigten Russland zu einem militärischen | |
Eingreifen in der Ukraine. Man habe im Großen Vaterländischen Krieg ja auch | |
gegen Hitler-Deutschland gekämpft. | |
Heute hingegen überwiegt die Furcht vor einem Krieg. Die Ukrainer seien | |
doch ein Brudervolk, es wäre eine große Tragödie, wenn Russen auf Ukrainer | |
schießen würden, meint die pensionierte Lehrerin Galina. Noch vor einem | |
Monat hatte sie gehofft, Russland würde militärisch gegen Kiew vorgehen, um | |
die Ausbreitung des Faschismus zu verhindern. „Aber wir Russen wollen | |
keinen Krieg. Wir lieben unsere Kinder und Enkelkinder, kaum eine Familie, | |
die keine Verwandten in der Ukraine hat. Uns zu unterstellen, wir wollen | |
einen Krieg, ist Kriegstreiberei. Wir sind nicht die Handelnden.“ | |
Galinas Helden sind nicht die vermummten Männer, die öffentliche Gebäude in | |
der Ostukraine besetzen, sondern die Frauen, die sich unbewaffnet | |
ukrainischen Panzern entgegenstellen. Diesen Frauen, die trotz | |
Schusswaffeneinsatzes der Militärs ihr Leben für den Frieden riskierten, | |
müsste man ein Denkmal setzen, so die pensionierte Lehrerin. Dimitri, ein | |
IT-Fachmann, ist sich sicher, dass die angebliche 80-prozentige | |
Unterstützung der russischen Bevölkerung für den Anschluss der Krim nur ein | |
guter Reklametrick von Putins PR-Abteilung sei. Auch Putin wolle keinen | |
Krieg, meint er. Er wolle lediglich dem Westen zeigen, wer der Herr im | |
Hause sei. | |
„In meinem Umfeld unterstützt niemand diese Annexion“, so Dimitri. Seine | |
Eltern jedoch seien für Putin. Kürzlich hätte seine Mutter ihm zum | |
Geburtstag einen Fernseher geschenkt, damit er nicht mehr auf die | |
einseitige Information aus dem Internet angewiesen sei. Über so viel | |
„Dummheit“ kann der Computerfachmann nur lachen. „Ich habe aufgehört, mit | |
meinen Eltern über Politik zu diskutieren.“ | |
Jaroslaw, Physiker, der gerade an seiner Doktorarbeit schreibt, ist sich | |
sicher, dass die Mehrheit der Bevölkerung keinen Krieg mit der Ukraine | |
will. „Aber uns fragt man ja nicht. Putin und seine Regierung machen ja | |
doch, was sie wollen.“ Im Gegensatz zu Dimitri glaubt er, dass die Mehrheit | |
der Bevölkerung Putin in der Krim-Frage unterstützt. Das Thema werde so | |
emotional diskutiert, dass Freundschaften und Familien daran zerbrächen. | |
## Die stille Hoffnung | |
Kein Zweifel, Russlands Bevölkerung will zwar keinen Krieg gegen die | |
Ukraine. Stattdessen träumen jedoch viele insgeheim von einer unblutigen | |
Intervention in das Nachbarland. Mit der Krim hat das geklappt. | |
Wahrscheinlich werde auch ein Eingreifen in der Ostukraine auf wenig | |
ukrainischen Widerstand stoßen, ist hier eine der gängigen Meinungen. | |
Möglicherweise werden sich bei einer russischen Intervention ukrainische | |
Einheiten sogar auf die russische Seite schlagen, so die stille Hoffnung | |
vieler. | |
Das Boulevardblatt Moskowskij Komsomolez brachte die Sache auf den Punkt. | |
„Angenommen, Russland interveniert mit zwei Bataillonen in der Ukraine. Wie | |
viele Bataillone werden Kiew erreichen?“, fragte das Blatt am Donnerstag. | |
Und lieferte auch gleich noch die Antwort hinterher: „Fünf Bataillone“. | |
Anscheinend glaubt man in der Redaktion, dass die ukrainischen Soldaten nur | |
auf eine Gelegenheit warten, endlich auf die russische Seite überlaufen zu | |
können. | |
21 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
## TAGS | |
Ukraine | |
Krim | |
Russland | |
Ostukraine | |
Wladimir Putin | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Russland | |
Russland | |
Ostukraine | |
Slowjansk | |
Ukraine | |
Ostukraine | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Russland | |
Ostukraine | |
Ostukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte sowjetische Restauration: Trostlose Aussichten für Russland | |
Es ist falsch, in die historische Mottenkiste zu greifen und Putin zu | |
Stalin zu erklären. Die Machtverhältnisse erzählen etwas ganz anderes. | |
Exportgenehmigungen in Deutschland: Keine Rüstungsgüter nach Russland | |
Die Bundesregierung stoppt alle Rüstungsexporte nach Russland. Auch bereits | |
erteilte Genehmigungen werden überprüft. Betroffen sind 69 Aufträge. | |
Konflikt in der Ukraine: „Zündelnde Rhetorik“ | |
Russland und die USA bezichtigen sich gegenseitig der Lüge und Fälschung. | |
Und Kiew meldet, Sicherheitskräfte hätten eine Kleinstadt von prorussischen | |
Kräften befreit. | |
Konflikt in der Ostukraine: Kerry droht Russland | |
Nach einer Oster-Pause geht die Regierung in Kiew wieder gegen prorussische | |
Aktivisten in der Ostukraine vor. US-Außenminister Kerry nimmt Russland in | |
die Pflicht. | |
Biden in der Ukraine: Warnen und helfen | |
US-Vizepräsident Biden ist in Kiew um zu vermitteln. Die USA haben indes | |
Fotos präsentiert, die beweisen sollen, dass die Milizen in der Ostukraine | |
aus Russland stammen. | |
Konflikt in der Ostukraine: Genfer Friedensplan in Gefahr | |
Die Separatisten in den besetzten ukrainischen Städten geben nicht nach. | |
Das gefährdet den Genfer Friedensplan. Nun will US-Vizepräsident Biden | |
persönlich helfen. | |
Kommentar Eskalation in der Ukraine: Wir wissen gar nichts | |
Nach dem Gewaltausbruch im Osten der Ukraine tobt eine Propagandaschlacht. | |
Eine Beruhigung ist nicht zu erwarten. | |
Fußball in der Ukraine: Flucht aus Odessa | |
Chaos in der Ukraine: Spieler suchen das Weite, Klubs sind zahlungsunfähig, | |
Fans singen für den Gegner. Doch das Derby auf der Krim findet statt. | |
Kirchen und der Konflikt in der Ukraine: Eine zerklüftete Landschaft | |
Für Moskau liegt die Wiege der russischen Orthodoxie in Kiew. Doch immer | |
mehr Ukrainer versuchen, sich diesem Anspruch zu entziehen. | |
Konfliktherd Ostukraine: Gespenstische Belagerung | |
Die Bewohner von Donezk sind ratlos: Niemand erklärt ihnen, was die | |
Bewaffneten dort wollen und warum niemand gegen sie vorgeht. | |
Kommentar Genfer Ukraine-Erklärung: Lob der Diplomatie | |
Die Genfer Erklärung zur Lösung der Krise in der Ukraine ist ein Erfolg. | |
Denn Maximalforderungen sind nicht durchsetzbar, sondern gefährlich. |