# taz.de -- Arabische Reaktionen auf IS-Terror: Jeder kocht sein eigenes Süppc… | |
> Gegen IS bedarf es einer geeinten Front. Doch die Saudis müssen Scherben | |
> kehren, Ägypten ist mit sich beschäftigt, der Golfkooperationsrat | |
> zerstritten. | |
Bild: Nicht einer Meinung: die Innenminister Katars, Saudi-Arabiens und Bahrein… | |
KAIRO taz | „Die Bedrohung durch den Terrorismus wird Europa und Amerika | |
erreichen, wenn wir nicht zusammenstehen, um ihm entgegenzustehen", | |
erklärte der saudische König Abdullah ibn Abdulaziz jüngst bei einem | |
Empfang ausländischer Botschafter in Dschiddah. Kurzum: Saudi-Arabien fleht | |
den Rest der Welt an, irgendetwas gegen die Dschihadisten des Islamischen | |
Staates (IS) zu unternehmen. Auch der Mufti des Landes, sozusagen der | |
oberste geistliche Wahhabit, erklärte die IS-Miliz unlängst zum „Feind des | |
Islam Nummer eins“. | |
Aber Saudi-Arabien hat sichtlich Mühe, seine neue Ferne zur islamistischen | |
Militanz glaubhaft zu vermarkten. Dessen Botschafter in London, Prinz | |
Mohammed bin Nawaf fühlte sich gar genötigt, auf einen Artikel zu | |
antworten, der in der Londoner Financial Times erschien und in dem | |
Saudi-Arabien vorgeworfen wurde, „Tankerladungen eines quasitotalitären | |
religiösen Dogmas und Pipelines voller freiwilliger Dschihad-Kämpfer" | |
exportiert zu haben. „Saudi-Arabien hat niemals die Mörder gefördert, die | |
sich jetzt unter dem Banner eines islamischen Staates versammelt haben", | |
antwortete der Prinz. | |
Es ist das alte Spiel: Das saudische Königshaus legitimiert seit seinem | |
Bestehen seine Macht mit wahhabitischen Scheichs und ihren erzkonservativen | |
Islaminterpretationen, die für zahlreiche militant-islamistische Gruppen | |
weltweit die ideologische Grundlage darstellen. Wenn nicht freiwillige | |
Kämpfer, so liefert Saudi-Arabien zumindest weite Teile der radikalen | |
Islam-Ideologie. Die Symbiose zwischen der weltlichen Macht des saudischen | |
Königshauses und den wahhabitischen Scheichs, die mit ihrem ideologischen | |
Überbau die religiöse Legitimität der Macht des Hauses Saud verleiht, | |
verläuft nicht spannungslos und macht die Realität komplex. Das saudische | |
Verhältnis zu den Dschihadisten des IS ist ein Ausdruck davon. | |
Jahrelang wurden militante islamistische Gruppen von saudischen | |
Privatkassen gefördert, und drückte man ein Auge zu, wenn junge Saudis zum | |
Dschihad ins Ausland fuhren. Der saudische Geheimdienst kochte in Syrien | |
sein eigenes Süppchen. Man wollte Assad loswerden und hoffte mit der | |
Finanzierung und Bewaffnung militanter islamistischer Gruppierungen in | |
Syrien ein Gegengewicht zu Assad zu schaffen, das man dann steuern und | |
kontrollieren kann. Dass der saudische Geheimdienstchef und Architekt | |
dieser Syrienpolitik, Prinz Bandar, im Frühjahr dieses Jahres zurücktrat, | |
wurde als Hinweis erachtet, dass diese Politik gescheitert ist. | |
Saudi-Arabien hatte in Syrien einen Geist aus der Flasche geholt, den es | |
weder kontrollieren noch in die Flache zurückdirigieren konnte und der in | |
der Ausrufung des Kalifats des IS Gestalt annahm. | |
## Saudi-Arabien muss sich Fragen gefallen lassen | |
Nun versucht Saudi-Arabien die Scherben aufzukehren. Reisen in den | |
syrischen Dschihad wurden für saudische Staatsbürger unter strenge Strafen | |
gestellt. Ende August verhafteten die Behörden acht Männer, denen | |
vorgeworfen wurde, junge Männer für den Dschihad in Syrien rekrutiert zu | |
haben. Die IS-Milizen führen inzwischen aber längst ein Eigenleben und | |
haben ihre saudischen Geburtshelfer nicht mehr nötig. Eine | |
Außenfinanzierung wird für sie zunehmend irrelevanter, weil die | |
IS-Dschihadisten nicht nur eine halbe Milliarde Dollar in irakischen Banken | |
erbeutet haben und inzwischen sogar über eigene Ölfelder verfügen. Sondern | |
auch, weil die im Irak und in Syrien von der regulären Armee erbeuteten | |
Waffen sie von Waffenlieferungen aus dem Ausland unabhängig machen. | |
Der direkte saudische Einfluss auf die IS-Milizen ist also verschwunden. | |
Glaubt man der saudischen Kehrtwende und der Behauptung, dass Riad | |
ernsthaft die Dschihadisten des IS bekämpfen will, muss sich das Land aber | |
noch weitere Fragen gefallen lassen. Saudi-Arabien war letztes Jahr nach | |
den USA, Russland und China das Land mit den vierthöchsten Militärausgaben | |
weltweit. Zehn Prozent des Staatshaushalts wurden für moderne Waffensysteme | |
ausgegeben, meist mit der Begründung, Saudi-Arabien müsse sich vor der | |
iranischen Bedrohung schützen. Nun kommt die Bedrohung statt aus dem Iran | |
aus dem eigenen sunnitischen Lager, und die ersten arabischen Kolumnisten | |
fragen, wozu Saudi-Arabien all diese militärische Hardware besitzt, wenn | |
sie in einer solchen Lage nicht gegen den IS zum Einsatz kommt und | |
stattdessen der Westen um militärische Intervention angebettelt wird. | |
Auch die arabische Diplomatie kommt in Sachen IS nur ganz langsam in | |
Bewegung. In der Arabischen Liga wird derzeit hinter den Kulissen eine | |
Initiative diskutiert. Hier ist man überzeugt, dass die Lösung des | |
syrischen Konflikts der Schlüssel ist, den Dschihadisten vom IS das Wasser | |
abzugraben. Der Sturz Assads sei daher die Voraussetzung, heißt es in | |
arabischen diplomatischen Kreisen. Allerdings kollidiert diese Ansicht mit | |
einer iranischen Initiative, die eine Übergangsperiode mit Assad | |
vorschlägt. Vermeintlich war letzte Woche der iranische Vizeaußenminister | |
Hossein Amir Abdollahian zu Besuch in Saudi-Arabien, um die Differenzen in | |
der Syrien-Politik abzubauen. Es ist unklar, inwieweit das gelungen ist. | |
Sicher ist: Eine saudisch-iranische Annäherung ist der Schlüssel zu einer | |
politischen Lösung des Syrien-Konflikts, der in vielerlei Hinsicht auch ein | |
Stellvertreterkrieg der beiden Regionalstaaten um Einflusssphären ist. | |
## Krise im Golfrat | |
Interessant ist auch eine andere Entwicklung auf dem arabischen | |
diplomatischen Parkett. Die Staaten des Golfkooperationsrates GCC haben | |
begonnen, erstmals ernsthaft nach einer Lösung zu suchen für die bisher | |
größte Krise seit der Gründung des Rats 1981: die offenen Differenzen | |
zwischen Katar und den anderen fünf Mitgliedern des Rates. Vor allem | |
Saudi-Arabien und die Emirate fahren eine scharfen Kurs gegen die | |
Muslimbruderschaft und unterstützen Ägypten bei dem Versuch, diese zu | |
kriminalisieren und aus dem politischen System auszuschließen. | |
Katar auf der anderen Seite gehört zu den größten Unterstützern der | |
Muslimbruderschaft. Saudi-Arabien, Bahrain und die Emirate hatten im März | |
sogar ihre Botschafter aus Katar abberufen. Nach einem Treffen der | |
Außenminister des GCC am Wochenende heißt es nun vorsichtig, man habe die | |
Grundlagen gelegt, um die Differenzen auszuräumen. Sogar eine baldige | |
Rückkehr der Botschafter nach Katar wird für möglich gehalten. Inhaltliches | |
wurde nicht bekannt. Dass man versucht, die Reihen am Golf zu schließen, | |
ist ein weiteres Zeichen dafür, wie bedroht man sich in der Nachbarschaft | |
Syriens und des Irak durch die IS-Dschihadisten fühlt. Die Kalkulation ist | |
einfach: Wenn die USA eine effektive regionale Allianz gegen die IS-Milizen | |
formen wollen, müssen sie Saudi-Arabien, Katar, die Türkei und den Iran mit | |
an Bord nehmen. | |
Bleibt noch die Rolle Ägyptens offen, der größten und im Moment einzig | |
ernstzunehmenden arabischen Militärmacht. Der ehemalige ägyptische | |
Militärchef Adel Fattah al-Sisi hatte bei seinem Amtsantritt als Präsident | |
erklärt, dass die „arabische Sicherheit" für Ägypten eine rote Linie sei | |
und dass „die Sicherheit des Golfs nicht von der ägyptischen Sicherheit | |
trennbar ist". Im Gegenzug haben Saudi-Arabien, die Emirate und Kuwait | |
seitdem Milliarden Dollar nach Ägypten gepumpt. | |
Der Deal, dass die Golfstaaten das politische Überleben al-Sisis und das | |
wirtschaftliche Überleben Ägyptens mit Petrodollars und Öllieferungen | |
sichern, hat aber auch für Ägypten einen Preis. Im Gegenzug erwarten die | |
autokratischen Golfstaaten nicht nur, dass al-Sisi in Ägypten alle | |
Experimente eines arabischen Wandels zurückrollt. Wenn man al-Sisis Worte | |
bei seinem Amtsantritt richtig deutet, soll die ägyptische Armee zukünftig | |
für die Sicherheit der Golfstaaten sorgen. Was ursprünglich als Geschäft | |
für die Absicherung gegen jegliche iranische Hegemonie-Bestrebungen am Golf | |
gedacht war, könnte nun zu einem zukünftigen Einsatz der ägyptischen Armee | |
gegen den IS am Golf neu interpretiert werden. | |
## Sicherheit am Limit | |
Das größte Problem bei diesem Deal: Ägypten ist zurzeit als | |
Sicherheitsgarant am Golf militärisch rückzahlunfähig. Denn das ägyptische | |
Militär befindet sich mit Angelegenheiten der inneren Sicherheit bereits am | |
Limit. Und jüngst sind es besonders die Entwicklungen im westlichen | |
Nachbarland Libyen - das sich immer mehr zu einem nordafrikanischen Somalia | |
entwickelt -, die von Ägypten als ein nationales Sicherheitsproblem | |
allerhöchster Priorität gesehen werden. Da ist den ägyptischen Militärs das | |
Hemd der eigenen nationalen Sicherheit näher als die Hose seiner | |
Zahlmeister am Golf. | |
Auf einer Pressekonferenz am Sonntag, nachdem die deutsche Bundesregierung | |
beschlossen hatte, Waffen an die Kurden zu liefern, um den IS zu bekämpfen, | |
zählte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier einen | |
Maßnahmenkatalog auf, an dem jetzt gearbeitet werden müsse. Eine | |
handlungsfähige irakische Regierung müsse geschaffen werden. Den IS-Milizen | |
müsse der Anstrich einer religiöser Legitimierung entzogen und der Zufluss | |
an Kämpfern und Geld gestoppt werden. Außerdem brauche man, „eine klare | |
Verständigung der Staaten in der Region, gemeinsam gegen den IS | |
vorzugehen". Letzteres war der einzige Punkt, den Steinmeier noch mit einem | |
„und das ist schwierig genug" qualifizierte. | |
3 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
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