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# taz.de -- Irakische Stadt Amerli befreit: „Allah sei mit euch!“
> Die Bewohner Amerlis wollten sich eher umbringen, als sich dem IS zu
> ergeben. Nach 80 Tagen Belagerung wurde die irakische Stadt befreit. Der
> Jubel ist grenzenlos.
Bild: Nach 80 Tagen Belagerung durch die IS erhalten die Einwohner von Amerli N…
AMERLI dpa | „Willkommen, willkommen! Allah sei mit euch, dass ihr uns das
Leben gerettet habt!“ – Hunderte Menschen drängen sich entlang der
staubigen Landstraße durch die irakische Kleinstadt Amerli, um Soldaten der
irakischen Armee, schiitische Milizen und kurdische Peschmerga-Kämpfer
willkommen zu heißen.
Der Hilfskonvoi, beladen mit Lebensmitteln und Wasser, rollt langsam in die
Stadt hinein. Soldaten werfen Wasserflaschen zu den Kindern, die neben den
Fahrzeugen der Befreier herrennen. „Wir glaubten, dass wir diesen Tag nie
erleben würden. Wir fürchteten um unser Leben“, sagt Ainur Mohammed.
Zusammen mit ihren fünf Kindern schaut die Frau auf die Freudenszenen, sie
hat Tränen in den Augen.
„Es waren schlimme Monate. Mein Mann und ich dachten schon daran, unseren
Kindern das Leben zu nehmen, falls die Dschihadisten in Amerli eindringen
sollten. Wir wollten verhindern, dass sie sie köpfen oder erschießen, wie
sie es in Mossul getan haben“, sagt die Frau, ebenso verängstigt wie
erleichtert.
Die Schüsse in die Luft werden zur Begleitmusik des Triumphzuges. Es gibt
nicht einen einzigen Bewohner der Stadt, der den Sieg nicht auf der Straße
feiert. Einige Einwohner geben den Soldaten Wasser, fotografieren, umarmen
und küssen sie. Die Uniformierten danken für die Zeichen der Zuneigung.
„Wir haben alle Dörfer rund um Amerli von Terroristen gesäubert und
geschafft, dass sie sich zurückzogen. Diese Schlacht ist der erste große
Sieg für uns, aber es wird nicht der letzte sein“, versichert der
Peschmerga-Hauptmann Nooraddin Sabir.
## Erbitterter Widerstand der Einwohner
Der Alptraum hatte begonnen, als vor rund 80 Tagen Einheiten des
Islamischen Staates (IS) den rund 150 Kilometer nördlich von Bagdad
gelegenen und in seiner Mehrheit von Turkmenen bewohnten Ort umzingelten.
Nach der Einnahme Mossuls, der zweitgrößten Stadt Iraks, herrschte unter
den Einwohnern die nackte Angst. Wenige Tage vor der Befreiung schlossen
sie einen Pakt, dass sie gemeinsam Selbstmord begehen würden, sollten die
radikalen Islamisten auch nur einen einzigen Fuß in die Stadt setzen. Sie
hätten es vorgezogen, sich das Leben zu nehmen als bei einer
Massenhinrichtung zu sterben oder zu Sklaven zu werden.
Womit die Dschihadisten nicht gerechnet hatten, war der erbitterte
Widerstand der Einwohner. Die Bewohner von Amerli, in ihrer Mehrheit Farmer
und Kleinbauern, entschlossen sich im Juni, ihre Äcker liegen zu lassen und
zu den Waffen zu greifen. Jeder Mann wurde zu einem Soldaten, und jeder
Soldat wurde zur letzten Verteidigungslinie zwischen den Dschihadisten und
der Zivilbevölkerung.
„Mein Vater gab mir eine Waffe und nahm mich mit an die Front, um meine
Familie zu verteidigen“, sagt Ali Wasam. Mit seinen nur 14 Jahren weiß
dieser Junge, was es heißt, die Heerscharen des Islamischen Staates zu
bekämpfen und zu leben, um davon zu erzählen. „Die Panzer feuerten
unaufhörlich auf unsere Stellungen. Es gab viele Scharfschützen, aber ich
hatte niemals Angst, denn ich wusste, dass sie meine Mutter und meine
Geschwister töten würden, wenn ich mich ergebe. Und das gab mir die Kraft
weiterzukämpfen“, erzählt der Junge, während ihn sein Vater stolz anschaut.
## 20 Zivilisten gestorben
Zu Beginn der Kämpfe um Amerli kamen noch Hilfskonvois der irakischen Armee
durch, bis dann die Landstraße in die Hände der Islamisten fiel und die
Einwohner auf ihre eigenen kargen Reserven an Nahrungsmitteln und
Trinkwasser angewiesen waren. „Nach und nach ging das Essen zur Neige und
auch das Wasser. Die Konvois kamen nicht mehr, einmal warf irgendein
Hubschrauber Lebensmittel ab“, erinnert sich die 70-jährige Um Ahmad. Einer
ihrer Enkel starb an Entkräftung. „Wir mussten abgestandenes Wasser
trinken. Wasser aus den Pfützen. Viele haben das nicht vertragen und
starben“, erinnert sie sich.
Die Belagerung Amerlis kostete rund 20 Zivilisten das Leben. „Wir waren
mehr als 50 Tage ohne frisches Wasser, ohne Strom, ohne Mehl für das Brot“,
erinnert sich Um Yosef, die sich einem mit Wasser beladenen Lastwagen
nähert. Zwei Soldaten geben ihr zwölf Flaschen, die Frau weint vor Glück.
Die Leute drängen sich vor den Fahrzeugen. Wasser, Essen – es kommt zu
einem Gerangel, Stößen, die Soldaten müssen für Ruhe sorgen. Die Spannung
ist zu fühlen, die Mägen knurren.
Am Sonntag hatten es irakische Truppen, schiitische Milizen und kurdische
Peschmerga mit US-Luftunterstützung geschafft, den islamistischen
Belagerungsring zu sprengen. Die Offensive setzte sich bis Montag fort,
zwei Tage Kampf, um den ersten großen Sieg über den Islamischen Staat zu
erzielen, der seit Juni ein Drittel des Iraks in seiner Hand hält.
„Ich bin sehr stolz auf meine Soldaten. Sie haben wie wahre Helden
widerstanden. Die Geschichtsbücher werden von dieser Schlacht verkünden,
als der ersten gegen die Terroristen“, sagt Oberst Mustapha Hussein,
Kommandeur der Truppen in Amerli während der Belagerung.
4 Sep 2014
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