| # taz.de -- Gesundheitspolitik in Afrika: Die koloniale Falle | |
| > Das Ziel der kolonialen Tropenmedizin in Afrika war nie das Wohlergehen | |
| > von Menschen - sondern die Ausrottung von Seuchen. | |
| Bild: Menschen in Monrovia beten mit einem Straßenprediger für die Opfer der … | |
| Als die Franzosen in Afrika ihre Kolonien eroberten, standen Ärzte an | |
| vorderster Front. „An den verpesteten Küsten des Atlantik“, so dozierte der | |
| französische Marinearzt Jean-Baptiste Mahé 1875, träfen Europäer schutzlos | |
| auf „die fürchterliche Sphinx der Malaria, das delirierende Phantom der | |
| Typhus, das fahle und eisige Gespenst der Cholera, die gelbe Maske des | |
| schwarzen Erbrechens“. Denn „aus der Erde und den Wassern steigt | |
| vergifteter Atem“. | |
| Die ersten kolonialen Gesundheitsdienste entstanden als Sondereinheiten des | |
| Militärs, um krankheitsbedingte Kampfunfähigkeit zu minimieren. „Schickt | |
| mir vier Ärzte, und ihr braucht vier Kompanien weniger“, kabelte der | |
| Kolonialarzt Hubert Lyautey 1901 aus den Fiebersümpfen Madagaskars nach | |
| Hause. Ab 1912 organisierte Lyautey als französischer Gouverneur von | |
| Marokko die Unterwerfung des Landes als Gesundheitsfeldzug, gemäß der | |
| Formel: „Keine Tatsache ist gründlicher belegt als die Wirksamkeit der | |
| Rolle des Arztes als Agent der Attraktion und der Befriedung.“ | |
| Hygiene sollte Schmutz verdrängen, Aufklärung den Aberglauben. Mobile | |
| Gesundheitsteams begleiteten die Armeen, jeder Militärposten bekam ein | |
| Gesundheitszentrum, jeder Distrikt einen Chefarzt. „Die Bevölkerung von | |
| Fes“, schrieb später ein Bewunderer, „bejubelte ihren Arzt bei seiner | |
| Rückkehr von der Front wie keinen Sultan zuvor.“ | |
| ## Die schwarze Gefahr | |
| Mit der Ebola-Epidemie in Westafrika scheinen „die verpesteten Küsten des | |
| Atlantik“ in die Gegenwart zu rücken. Der Spiegel lässt auf seinem | |
| Titelbild ein schwarzes Gesicht den Leser herausfordernd angucken, in | |
| Schutzkleidung über dem Globus schwebend wie ein böser Fluch. „Ebola, die | |
| entfesselte Seuche“, lautet die Schlagzeile dazu. | |
| CNN, der US-Nachrichtensender, filmt halbnackte schwerstkranke Liberianer, | |
| die zu schwach sind, um es auf das Gelände einer Ebola-Klinik zu schaffen, | |
| und die das Personal einfach liegen lässt, mit kritischem Kommentar der | |
| schockierten Reporterin. „Ebola überwältigt neues Krankenhaus in Liberia“, | |
| ist der Beitrag betitelt. | |
| Jeweils unterschiedlich wird an den vermuteten Publikumsinstinkt | |
| appelliert: Angst und Selbstschutz für die Deutschen, Mitleid und Empörung | |
| für die Amerikaner. Die Ebola-Epidemie in Westafrika weckt das Weltgewissen | |
| auf – und lässt erkennen, wie sehr zumindest die medialen Zugänge dazu noch | |
| in alten Mustern gefangen sind. | |
| Ebola zerstört in der Wahrnehmung ziemlich komplett das neue Afrikabild | |
| eines immer selbstbewussteren, aufstrebenden Kontinents, das sich in den | |
| letzten Jahren allmählich durchgesetzt hatte. Plötzlich ist Afrika wieder | |
| der Kontinent, dem man entweder helfen oder vor dem man sich hüten muss, so | |
| wie früher. | |
| ## Viren, nicht Menschen | |
| Ausgangspunkt der kolonialen Tropenmedizin in Afrika war nicht das | |
| Wohlergehen von Menschen, sondern die Ausrottung von Seuchen. Man macht | |
| nicht Patienten gesund, man bekämpft Krankheitserreger. | |
| Gesundheitsaufklärung, Basisgesundheit, Prophylaxe, sanitäre Anlagen – all | |
| das gab es für Afrikaner nicht, außer im Hinblick darauf, die | |
| Kolonisierenden vor Ansteckung zu schützen. | |
| Dass die einheimische Bevölkerung selbst weiter an vermeidbaren Krankheiten | |
| starb, und zwar wegen Zwangsarbeit, Zwangsumsiedlung und Zerstörung noch | |
| viel mehr als vorher, war egal, solange noch keine Arbeitskräfte gebraucht | |
| wurden. Auch danach aber blieb Gesundheitspolitik Machtpolitik, ein Mittel | |
| zur Erfassung und Disziplinierung der „nützlichen“ Teile der Bevölkerung. | |
| Mit Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse hatte koloniale Medizin | |
| nichts zu tun. | |
| Ebola-Medizin, wenn sie funktioniert, ist keine koloniale Medizin, denn sie | |
| kümmert sich um die Kranken und nimmt sie und ihre Angehörigen als Menschen | |
| wahr, deren Leben oberste Priorität hat. Aber Ebola-Bekämpfung, so wie | |
| jetzt, bleibt Seuchenbekämpfung alter Schule, mit zwangsweise | |
| durchgesetzter Quarantäne, straffer Disziplin, einem nur militärisch zu | |
| bewältigenden Logistikbedarf. Und mit Experten in außerirdisch anmutender | |
| Schutzkleidung, was dazu führt, dass die lokale Bevölkerung zum ersten Mal | |
| seit Beginn der Kolonialzeit wieder einer so fremdartig auftretenden | |
| Erobererschar gegenübersteht, die alles besser weiß. | |
| ## Gesundheit für alle | |
| Wenn die internationale Hilfsmaschinerie mit ihren abertausenden Soldaten, | |
| Experten, Medizinern und Logistikern endlich vor Ort angekommen ist, wird | |
| sich dann noch jemand daran erinnern, dass Liberia, Sierra Leone und Guinea | |
| nicht nur Unterstützung zur Seuchenbekämpfung brauchen, sondern | |
| funktionierende Gesundheitssysteme für alle? | |
| Das hatten diese Länder noch nie. Liberia und Sierra Leone entstanden als | |
| schwarze Siedlerstaaten freigelassener Sklaven aus den USA und | |
| Großbritannien, die kolonialistische Quasi-Apartheid-Staaten aufbauten. Die | |
| Revolten dagegen führten zu den blutigen Bürgerkriegen der 1990er Jahre, in | |
| denen allein Liberia ein Zehntel seiner Bevölkerung verlor. Guinea | |
| vegetierte in dieser Zeit unter einer der brutalsten Militärdiktaturen | |
| Afrikas dahin. Was an Gesundheitssystemen bestand, verschwand – die | |
| Einrichtungen durch Zerstörung, das Fachwissen durch Emigration. | |
| Es blieb lokale Selbsthilfe, die angesichts Ebola machtlos ist. Kaum aus | |
| Krieg und Diktatur hervorgetreten, stürzen Liberia, Sierra Leone und Guinea | |
| jetzt wieder in existenzielle Krisen, während ihre Gesellschaften extrem | |
| polarisiert bleiben und soziale Mobilität mangels Bildung und Arbeit kaum | |
| möglich ist. Den Gewissheiten der Reichen, was Gesundheit und den Umgang | |
| mit tödlichen Krankheiten angeht, stehen die Gerüchte der Armen gegenüber, | |
| der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. | |
| Schon die kolonialen Eroberer fanden eine Bevölkerung vor, deren Verhalten | |
| für sie ein Problem darstellte, die anders dachte und die gefügig gemacht | |
| werden musste, unter anderem mit Ärzten. Auf eine solche Konstellation | |
| heute nicht mit kolonialen Maßnahmen zu antworten – das ist die große | |
| Herausforderung der Ebola-Nothilfe. | |
| 29 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
| ## TAGS | |
| Ebola | |
| Afrika | |
| Seuche | |
| Kolonialismus | |
| Medizin | |
| Ebola | |
| Ouagadougou | |
| Wahlen | |
| Gesundheit | |
| Ebola | |
| Madagaskar | |
| Spanien | |
| Ebola | |
| Ebola | |
| Guinea | |
| Nigeria | |
| Ebola | |
| Ebola | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Afrobeat: Gruseln am großen See | |
| Bujumbura in Burundi boomt. Doch der Aufschwung ist künstlich. Jederzeit | |
| kann die Politik das Kartenhaus wieder zusammenkrachen lassen. | |
| Kolumne Afrobeat: Das nigerianische Paradox | |
| In Nigeria ist der Wahltermin um sechs Wochen verschoben worden. Sechs | |
| Wochen mehr, in denen das Land wieder einmal seine schlechten Seiten zeigt. | |
| Impfstoff gegen Malaria: Das Problem der Bezahlbarkeit | |
| 2015 soll der erste Impfstoff gegen Malaria auf den Markt kommen – dank | |
| einer Finanzspritze. Denn die vollständige Immunisierung ist teuer. | |
| Ebola und Cholera in Guinea: Umgang mit Krankheiten lernen | |
| Das westafrikanische Guinea kämpft gegen zwei Seuchen. Eine groß angelegte | |
| Impfkampagne soll den Ausbruch von Cholera eindämmen. | |
| WHO befürchtet Seuche: 119 Pest-Infizierte in Madagaskar | |
| Bisher starben 40 Menschen. Die hohe Bevölkerungsdichte und das schwache | |
| Gesundheitssystem des Landes erhöhen das Ausbreitungsrisiko, sagt die WHO. | |
| Ebola-Tagebuch – Folge 22: Ebola erreicht Europa | |
| In Spanien hat sich erstmals eine Person an einer anderen angesteckt. Die | |
| Kürzungen im Gesundheitswesen spielten dabei eine Rolle. | |
| Debatte Ebola: Virus Angst | |
| Die Epidemie in Liberia ist schwer zu bekämpfen, weil sie die Traumata des | |
| Bürgerkrieges wiederbelebt. Und weil zu wenig Hilfe von außen kommt. | |
| Ebola-Tagebuch – Folge 18: Wer koordiniert die Koordinatoren? | |
| Ein Afrikaveteran des Auswärtigen Amtes kehrt zurück – als xter | |
| internationaler Ebola-Beauftragter. Mehrere Bundesländer verfügen | |
| Abschiebestopps. | |
| Ebola-Tagebuch – Folge 17: Als die Aufklärer nach Womey kamen | |
| In Guineas „Waldregion“, wo die Ebola-Epidemie begann, verursacht sie | |
| Spannungen. Dabei gibt es auch Todesopfer unter Ärzten und Helfern. | |
| Ebola-Tagebuch – Folge 14: Ebola weg, alles gut? | |
| In Nigeria wird der Sieg über Ebola verkündet, selbst die Schulen sollen | |
| wieder öffnen. Aber nicht alle trauen der guten Nachricht. | |
| Virologe über Ebola-Infektion: „Die Gefäße werden leck“ | |
| Die Infektion sei ein Wettlauf zwischen dem Virus und dem Immunsystem, sagt | |
| der Virologe Bernhard Fleischer. Sechs von zehn Patienten sterben. | |
| Ebola-Epidemie in Westafrika: Millionenhilfen vom IWF | |
| Über 3.000 Menschen sind an der Krankheit gestorben, weitere 6.500 sind | |
| infiziert. Die Leiterin der ärztlichen Dienste in Liberia hat sich selbst | |
| unter Quarantäne gestellt. |