# taz.de -- Kolumne Afrobeat: Gruseln am großen See | |
> Bujumbura in Burundi boomt. Doch der Aufschwung ist künstlich. Jederzeit | |
> kann die Politik das Kartenhaus wieder zusammenkrachen lassen. | |
Bild: Die Nacht und der Sand von Bujumbura gehört den Nilpferden – und der V… | |
Wenn in der Abenddämmerung die Nilpferde aus dem Tanganjika-See steigen, | |
bringen sich die Strandgäste in Sicherheit. Unzählige Bars und Cafés säumen | |
am Rande von Burundis Hauptstadt Bujumbura das nördliche Seeufer, ideal für | |
Erholungssuchende an trägen, heißen Wochenend-Spätnachmittagen. Aber wenn | |
es spät wird, sitzt man nicht am Wasser, sondern in abgeschotteten | |
Bereichen mit Wachleuten und Hecken. Die Nacht und der Sand gehört den | |
Nilpferden – und der Vorsicht, die alle verinnerlicht haben. | |
Es herrscht zwar seit zehn Jahren Frieden in Burundi, nach zehn Jahren | |
Krieg, der an die 300.000 Tote kostete und das kleine fruchtbare Paradies | |
im Herzen Afrikas zu einem der ärmsten Länder der Welt machte. Und wer | |
Bujumbura zu Kriegszeiten kannte, erkennt es heute nicht wieder: | |
kilometerweit ziehen sich neue Villen die Berghänge hinauf, eine verrückter | |
als die andere; auf den alten Buschpfaden der heute regierenden | |
Hutu-Guerilla trifft man sich zum Sonntagsspaziergang. Bujumbura entwickelt | |
sich zur heimlichen Partymeile, mit einer Lässigkeit, die völlig im | |
Kontrast steht zur durchorganisierten, ehrgeizigen ruandischen | |
Nachbarhauptstadt Kigali. | |
Aber der Boom von Bujumbura ist nicht auf Nachhaltigkeit angelegt. Wer | |
seine Villa auf Kredit baut, mit 20 Prozent Jahreszins, setzt darauf, dass | |
über kurz oder lang entweder Inflation oder eine Bankenkrise den Kredit | |
auffrisst. Eine Bank, die solche Kredite vergibt, gibt sich damit genau | |
fünf Jahre, um einen Totalverlust zu vermeiden. Fünf Jahre – das entspricht | |
einer Amtszeit eines burundischen Präsidenten. | |
## Wie ein Kartenhaus | |
Die alte Zeit der Angst und der Unsicherheit kann jederzeit wiederkehren. | |
In Burkina Faso brach jetzt das scheinbar festgefügte Regime von Blaise | |
Compaoré, der eine Generation lang das „Land der Aufrechten“ zu einem | |
Stabilitätsanker in Westafrika gemacht hatte, wie ein Kartenhaus zusammen. | |
Massenproteste vereitelten nicht nur das Ansinnen des Präsidenten, bei den | |
Wahlen 2015 erneut anzutreten – sie trieben ihn aus dem Amt. Revolution | |
hing in der Luft: Übermütige Jugendliche hüpften im Plenarsaal des | |
Parlaments auf den Sesseln umher und plünderten die Luxusresidenz des | |
flüchtigen Präsidentenbruders. | |
Burkinas Hauptstadt Ouagadougou ist ein Brennpunkt der | |
Immobilienspekulation. Das riesige Luxuswohnquartier „Ouaga 2000“ ist seit | |
zwanzig Jahren im Bau beziehungsweise in ständiger Erweiterung, und in den | |
letzten Jahren kamen immer ambitioniertere Bauprojekte dazu. Anders als | |
Afrikas etablierte Geschäftsmetropolen wie Johannesburg, Lagos oder | |
NaiNacrobi sind kleine, entlegene Hauptstädte wie Ouagadougou und Bujumbura | |
keine natürlichen Anziehungspunkte für Investoren. In ihnen zeigt sich die | |
künstliche Dimension des afrikanischen Aufschwungs – und seine Kehrseite: | |
die Abhängigkeit von der Politik. | |
## Die ängstlichen „Big Men“ | |
Seit Burundis Präsident Pierre Nkurunziza seinen Wunsch deutlich gemacht | |
hat, auch nach Ablauf seiner zweiten gewählten Amtszeit im Jahr 2015 an der | |
Macht zu bleiben, kehrt auch in Bujumbura Kriegsangst zurück. Und nicht nur | |
in Bujumbura, auch in Kigali, Kinshasa, Brazzaville, Kampala und einigen | |
anderen Hauptstädten steht die Frage auf der Tagesordnung, ob die | |
Präsidenten sich trauen, ihre Macht jemals jemand anderem zu überlassen. | |
Spätestens seit dem Umsturz in Burkina Faso ist die Sprengkraft dieser | |
Frage bekannt. | |
Denn ein Präsident, der lieber die Verfassung kippt, als von der Macht zu | |
lassen, entlarvt die von ihm geführten staatlichen Institutionen als | |
Hohlkörper. Er bestätigt ungewollt jene Kritiker, die schon immer wussten, | |
dass die demokratischen Institutionen Fassade sind: Ohne den Big Man an der | |
Spitze bricht alles zusammen. | |
Dann aber ist die gesamte Verfassungsordnung eine Farce: die Parlamente und | |
Gerichte, die Wahlkommissionen und Parteien, die Gewaltenteilung und | |
Menschenrechte. Dies durchschauen die Menschen und handeln entsprechend. In | |
Burkina Faso offenbarten die Wirren nach Compaorés Abgang, wer die wahren | |
Machtfaktoren sind: verschiedene Flügel des Militärs, die traditionellen | |
Autoritäten, einige respektierte Politiker und eben die Straße, chaotisch | |
und unstrukturiert. Und anderswo? | |
## Mysteriöse Leichen im Wasser | |
Die Kriegsangst in Burundi hat einen Namen: der Rweru-See, idyllisch | |
zwischen Terrassenfeldern und Fischerdörfern an der Grenze zu Ruanda | |
gelegen. Der Rweru-See sammelt die südlichsten Oberläufer des Nils und | |
leitet sie unter dem Namen Akagera-Fluss weiter nach Norden. Seit einigen | |
Monaten tauchen in diesem See immer wieder Leichen auf. Sie sind gefesselt, | |
sorgfältig in Plastik verschnürt. | |
Burundis Justizbehörden sagen, die Toten kommen aus Ruanda, was allerdings | |
der Strömung der Gewässer widerspricht. Burundis Opposition sagt, die Toten | |
seien Opfer paramilitärischer Hutu-Milizen des Präsidenten, mit denen er | |
seinen Amtsverbleib durchsetzen will. Ruanda sagt, es habe mit all dem | |
nichts zu tun und hat seinen Teil des Seeufers zum Sperrgebiet erklärt. | |
Weder über die Opfer noch über die Täter gibt es irgendeine gesicherte | |
Erkenntnis. | |
Die Seeanwohner trauen sich kaum noch ans Wasser. Während des ruandischen | |
Völkermordes 1994 warfen Hutu-Milizen gern Tutsi-Leichen in den | |
Akagera-Fluss, damit sie den Nil hinunter zurück in die angebliche | |
äthiopische Heimat der Tutsi schwimmen. 20 Jahre später ist es entweder | |
wieder so weit – oder jemand spielt mit der Angst davor. Der politische | |
Himmel bewölkt sich, die Vergänglichkeit der Verhältnisse wird jedem | |
bewusst. | |
Die mondänen Strandbars von Bujumbura, die glitzernden Hochhäuser von | |
Kigali, die wuselnden Malls von Kampala, die edlen Clubs von Kinshasa und | |
Brazzaville – sie sind Schönwetterphänomene, sie verwandeln schnelles Geld | |
in Genuss und Macht, und sie werden sich als erste leeren, wenn schwere | |
Zeiten anbrechen. Werden sie alle die kommenden Jahre unbeschadet | |
überstehen? | |
Der „schwarze Frühling“ von Burkina Faso ist nicht nur ein Hoffnungsträge… | |
Er läutet auch so manche Abenddämmerung ein. | |
11 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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