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# taz.de -- Berufsintellektuelle und Macht: Wer spricht für wen?
> Burundi wurde in den 90er Jahren von einem Bürgerkrieg zerrüttet. Wer
> erzählt seither wie über das ostafrikanische Land? Das ist eine
> Machtfrage.
Bild: Straßenszene in der burundischen Hauptstadt Bujumbura (Archivbild, 2010).
Es war noch recht früh an einem Dienstagmorgen, als mein Fahrer vor einer
Bungalowanlage im Zentrum Bujumburas hielt. Ich war erst vor zwei Tagen in
Burundi angekommen, in Deutschland war tiefer Winter, und nun blickte ich
auf einen in der Hitze flirrenden Metallzaun, hinter dem das Parlament des
ostafrikanischen Landes untergebracht war. Mit einem Parlamentsabgeordneten
war ich verabredet, um über die „Wahrheits- und
Wiedergutmachungskommission“ zu sprechen, die lange überfällige staatliche
Antwort auf den brutalen Bürgerkrieg, der das Land in den 1990er Jahren
zerrüttet hatte.
Ein Parlamentsangestellter geleitete mich zu einem kahlen, mit schweren
Ledersesseln mobilierten Büro. Auf einem Couchtisch standen Wasserflaschen,
die Fenster waren vergittert. „Mein“ Abgeordneter, nennen wir ihn A., war
ein gut gekleideter, höflicher Mann Mitte dreißig. Er war Mitglied der
CNDD-FDD, der regierenden Partei Burundis, die das Parlament ebenso wie das
Land dominiert und den Großteil des wenigen Geldes kontrolliert, das durch
den siebtärmsten Staat der Welt rinnt.
A. sei sehr froh, mich zu treffen, flüsterte mir der Dolmetscher auf
Englisch ins Ohr. Andere, erklärte A., weigerten sich, mit Vertretern
seiner Partei zu sprechen, sie ließen sich ihr Bild des Landes lieber von
den NGOs zusammensetzen, der zivilgesellschaftlichen Opposition. Ich
nickte. Der Übersetzer flüsterte, A. sprach, ich verstand sein Französisch
zu gut, um es zu überhören, und so fand ich mich in einer doppelt erzählten
Geschichte wieder und meinte, den Dolmetscher immer wieder bei
Unstimmigkeiten zu ertappen, aber vielleicht täuschte ich mich auch.
Man sei endlich mutig genug, die Frage nach Aufarbeitung der
Bürgerkriegsvergangenheit zu behandeln, hat mir damals der Parlamentarier
A. in seinem Büro über die Wahrheitskommission gesagt und eine
Wasserflasche aufgeschraubt. Lange wurde sie hinausgezögert, immer wieder
im Parlament gebremst, verschoben, umgestaltet. Das größte Manko aber war,
und das sagte A. natürlich nicht, sondern trank einen Schluck Wasser: Sie
lag in der Hand der Regierungspartei CNDD-FDD, die recht autoritär,
jedenfalls ohne deutliche Gegenstimmen, das Land regiert.
## Im Bürgerkrieg verstrickt
Die Kommission hat ein berühmtes Vorbild, die Wahrheitskommission
Südafrikas, die von Nelson Mandela nach dem Ende des Apartheidregimes
eingesetzt worden war. Auch in anderen Post-Konflikt-Staaten ist diese Idee
einer Kommission ausprobiert worden, die die großen Vergehen einer
Regierung während einer Diktatur oder eines Bürgerkriegs offenlegen soll.
Und jetzt Burundi.
Amnestien für Kriegsverbrecher, wie es sie in Südafrika der neunziger Jahre
noch gegeben hat, sind nach heutigem Völkerrecht allerdings nicht mehr
möglich. Von Seiten der burundischen Regierung, in der viele Mitglieder in
den Bürgerkrieg verstrickt waren, wird versucht, die Amnestien durch
temporäre Immunitäten zu ersetzen – und durch die Taktik des Hinauszögerns.
Pläne für ein Straftribunal, das im Abkommen von Arusha aus dem Jahr 2000
als zweiter wichtiger Pfeiler neben der Wahrheitskommission vorgesehen war,
liegen bislang auf Eis.
Die meisten Burunder, mit denen ich während meines Aufenthalts sprach,
glaubten nicht recht an das Projekt, auch wenn einige meinten, die
Kommission sei dennoch notwendig. Auch, wenn man weiß, dass Wahrheit und
Gerechtigkeit nicht möglich sind, ist ein Bemühen darum immer noch besser
auszuhalten als Gleichgültigkeit.
Mein Cousin, der seit drei Jahren in Burundi lebte und arbeitete, erklärte
mir, wie er das Land sah und las. Es lag ein Trauerverbot über dem Land.
Die Menschen, die Wirtschaft, die gesellschaftlichen Prozesse durften nicht
gänzlich an die Lethargie und Verzweiflung verloren gegeben werden.
Versöhnung war so schwer wie unabdingbar. Wie lange trauert man angemessen
angesichts eines Mordens, das einem Genozid nahekommt und nur aufgrund
juristischer Feinheiten, nicht aber aufgrund der Opferzahl so nicht genannt
wird, wenn es keinen Erwachsenen mehr gibt, der nicht einem Mord zugesehen,
einen Angehörigen verloren hat, einige, nicht wenige, haben selbst
gemordet?
Man würde das Land ein zweites Mal entvölkern, brächte man alle, die in
dieser oder jener Weise schuldig sind, hinter Gitter. Es ist eine
Situation, in der unsere zivilen Vorstellungen von Rechtsstrafe nicht mehr
greifen. Es ist ein Moment, in dem man nach Wahrheiten sucht angesichts von
Unverdaubarem, Unsagbarem und sie zugleich für unmöglich hält.
## Offizielle Wahrheiten
Der Versuch, offizielle Wahrheiten zu finden, ist per se fragwürdig, und
wenn das Anliegen der Versöhnung auch notwendig ist, so bleibt eine
Vergebung, die von einer durch Korruption und Nepotismus geprägten
Parteielite oktroyiert wird, dubios, ja unzumutbar und auch gefährlich.
Wenn „die Wahrheit“ diktiert wird über die Köpfe der Menschen hinweg,
anstatt ihre je eigenen Wahrheiten anzuerkennen, ist eine Gegenerzählung
das einzige Mittel, um nicht zu verschwinden.
Eine deutliche vernehmbare Zivilgesellschaft ist dann umso wichtiger und
das Erzählen von Geschichten, die gegen die offizielle, die vorlektorierte
Geschichte gestellt werden, vieler Geschichten, die in ihrer Diversität die
Dominanz der Macht unterwandern können. Die Frage ist nur: Wie erzählen?
Und wer darf erzählen? Sind es allein die Opfer? Die Täter? Die Schlichter?
Die Zuschauer? Wir alle?
Für die Stummen sprechen, das ist eine poetische Ethik, die uns aus der
Literatur des 20. Jahrhunderts im Speziellen bekannt ist: Über die Opfer
des Holocaust, die nicht mehr sprechen konnten, musste von jenen, die
überlebt haben und dies nicht selten mit einem lebenslangen Schuldgefühl
bezahlten, erzählt werden. Die Lebenden leihen den Toten ihre Stimme. Doch
welche Lebenden sind dazu berechtigt? Müssen es Überlebende sein, also
jene, die das Schicksal bis zu einem gewissen Grad, bis zu dem Punkt des
Nichtmehrsprechenkönnens teilten? Es würde unserem instinktiven
Gerechtigkeitsempfinden widersprechen, würden die Täter für die Opfer
sprechen, es käme uns schamlos, ja vermutlich pervers vor.
Doch wie weit gehen wir in der Genealogie der Täterschaft? Wenn wir den
Bürgerkrieg in Burundi betrachten, würden wir jene Menschen als Täter
bezeichnen, die physisch töteten? Oder jene, die einen Mord nicht
verhindert haben, obwohl sie es gekonnt hätten? Oder würden wir in der
Ursachenforschung so weit gehen, dass wir in den kolonialen Strukturen, die
bestimmte Mächteverhältnisse und -ungleichgewichte teils erfunden, teils
institutionalisiert haben, auch noch Täter erkennen?
Hieran schließt sich die Frage nach den Grenzen europäischer Einmischung an
und danach, wie global unser Denken und unser Erzählen geworden ist,
geworden sein kann. Für jemanden zu sprechen und zu erzählen ist eine Form
der Anmaßung, und von Europa aus gesehen womöglich eines fortgesetzten
Herrschaftsversuchs, die Weiterschreibung des fremden Anderen, ein Herz der
Finsternis mit zeitgemäßer Empathie.
Ronald Ssegujjas Kurzgeschichte „Mzungu in Kampala“ über eine junge
Europäerin, die in einem Café in Kampala sitzt und das dortige Treiben
bewertet, scheint mir eine angemessene Antwort darauf zu sein. Bei der
Frage: Wer erzählt für wen?, dreht Ssejujja den Spieß um. Das ist
mindestens gerechtfertigt, wenn nicht gar notwendig, um vergangene
Kräfteverhältnisse zu destruieren. Gleichwohl bleibt man hiermit einer
hergebrachten Zuschreibung verhaftet: Was man selbst ist und in welchen
Machtkonstellationen man sich befindet, und nicht die Frage, was einen
angeht, entscheidet, für wen man spricht. Die Biografie autorisiert
vorgeblich die Erzählhaltung und blendet so den Umstand aus, dass die, die
erzählen, grundsätzlich in Kauf nehmen müssen, für jene zu sprechen, die
sie nicht darum gebeten haben.
„Alle Menschen sind Intellektuelle“, schreibt Antonio Gramsci, „aber nicht
jedem kommt in der Gesellschaft die Rolle eines Intellektuellen zu.“ Nennen
wir sie Berufsintellektuelle, jene Menschen, denen die Gesellschaft
zweierlei zugesteht: Zeit, gesellschaftliche Verhältnisse zu reflektieren,
und einen öffentlichen Ort der Meinungsäußerung – sei es in Interviews, als
Mitglied einer Expertenkommission oder als Professor mit hundert
Studierenden vor sich. Ökonomen, Philosophen, heute vielleicht auch,
vielleicht sogar im besonderen Maße Mitarbeiter von Ratingagenturen,
Profiler und Berater gehören dazu, ebenso Schriftsteller als
institutionalisierte Sprecher, die allerdings oft nicht mehr besonders laut
tönen.
Das ist eine doppelte Zwickmühle: Wir werden überhört und zugleich droht
uns, dass wir als Teil des Establishments missliche Verhältnisse
stabilisieren, anstatt für die Verunsicherung und Hinterfragung zu sorgen,
auf die wir möglicherweise abzielen. Wir glauben Machtkonstellationen zu
unterwandern und bedienen sie nur von Neuem, wir meinen den Finger in die
Wunde zu legen, dabei kleben wir nur ein Pflaster drauf.
Manchmal frage ich mich, ob wir am Ende nicht, ohne es recht zu merken,
„meinem“ Parlamentarier A. recht ähnlich sind, subtiler und indirekter,
aber doch Teil einer Machtelite, die, auch wenn aufrichtige Absichten dabei
sind, die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen dominiert und sich eine
Expertise anmaßt, wo sie uns nicht zusteht.
21 Apr 2015
## AUTOREN
Nora Bossong
## TAGS
Macht
Burundi
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