# taz.de -- Rechtsstreit um Antikriegs-Auszeichnung: Ist der Friedensnobelpreis… | |
> Nach dem Willen des Stifters soll der Friedensnobelpreis eine | |
> Antikriegsauszeichnung sein. Die Praxis sieht anders aus. Das hat nun | |
> juristische Folgen. | |
Bild: Umstrittener Friedensnobelpreisträger: Al Gore. | |
Am Freitag ist es wieder soweit. Punkt 11 Uhr wird Thorbjørn Jagland, der | |
Vorsitzende des norwegischen Nobelkomitees in Oslo bekannt geben, wer den | |
diesjährigen Friedensnobelpreis erhalten wird. 278 Namen, so viele wie nie | |
zuvor, standen auf der Liste der Nominierten, als diese Ende Februar | |
geschlossen wurde. Von Malala Yousafzai, der pakistanischen | |
Menschenrechtsaktivistin, die bereits im letzten Jahr als Favoritin galt | |
bis zu Papst Franziskus und Edward Snowden. Und auch 47 Organisationen sind | |
darunter, beispielsweise die Impfallianz Gavi und die Lesben- und | |
Schwulen-Assoziation Ilga. | |
Aber wie viel hat der Friedensnobelpreis eigentlich noch mit dem Willen | |
seines Stifters Alfred Nobel zu tun? Laut Testament dieses schwedischen | |
Industriellen, der sein Vermögen mit der Produktion von Dynamit gemacht | |
hatte, sollte den Preis erhalten, wer „am meisten oder am besten auf die | |
Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender | |
Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen | |
hingewirkt“ habe. | |
Auf keinen der NobelpreisträgerInnen der letzten Jahre und kaum einen Namen | |
auf der aktuellen Nominierungsliste treffe diese Definition zu, meint | |
Fredrik F. Heffermehl. „Ungesetzliche Verwaltung des Nobelpreises“ ist die | |
Strafanzeige überschrieben, die der Jurist und Historiker deshalb im April | |
bei der Polizei in Oslo gestellt hat. Und in der er eine strafrechtliche | |
Verfolgung der Verantwortlichen, namentlich des Komiteevorsitzenden Jagland | |
beantragte: Das Nobelkomitee unterschlage und veruntreue das | |
Stiftungsvermögen, weil es Preise verleihe, die den Willen des | |
Preisstifters grob missachteten. | |
Heffermehl kämpft seit Jahren gegen die Aufweichung der Preiskriterien und | |
steht mit seiner Kritik nicht allein. Die Strafanzeige wird von mehr als | |
einem Dutzend weiterer UnterzeichnerInnen, so dem Soziologieprofessor | |
Thomas Hylland Eriksen, dem Osloer Strafrechtler Ståle Eskeland und dem | |
ehemaligen Vorsitzenden der schwedischen Grünen, Birger Schlaug, | |
mitgetragen. | |
Der Kern ihrer Argumentation: Alfred Nobel habe einen „Preis für | |
Friedensverfechter“ begründet. Ein Preis, der diese auch ökonomisch in | |
ihrem Kampf für eine globale Abschaffung des Militärs unterstützen wollte. | |
Nobels Vision – und bei dieser war er bekanntlich stark von der | |
österreichischen Pazifistin Bertha von Suttner und deren Antikriegsroman | |
„Die Waffen nieder!“ inspiriert worden – sei eine Welt gewesen, in der die | |
Dynamik des Militarismus gebrochen und die internationalen Beziehungen | |
nicht von Macht und Gewalt, sondern von Recht und Frieden geprägt sein | |
sollten. | |
## Gegen den Willen des Stifters | |
Das Komitee in Oslo habe diese Vorgaben zunehmend missachtet und Nobels | |
Definition durch einen allgemeinen Friedensbegriff ersetzt, den man immer | |
weiter ausgedehnt habe und ausdehne, meinen die KritikerInnen. „Es hat | |
Nobels Vision vollständig aus den Augen verloren“, sagt Heffermehl. Die | |
meisten Ehrungen seit Ende des 2. Weltkriegs verstießen deshalb gegen den | |
Willen des Stifters. So wenn beispielsweise 1953 George Marshall, | |
Generalstabschef des US-Heeres während des gesamten 2. Weltkriegs den Preis | |
erhalten habe: Zwar Begründer des Marshallplans, aber absolut kein Mann mit | |
antimilitaristischen Hintergrund. | |
Auch PreisträgerInnen wie Mutter Teresa, Schirin Ebadi, Al Gore oder | |
Mohammad Yunus – wie preiswürdig diese im Prinzip auch seien – entsprächen | |
nicht den Intentionen von Nobel. Mit Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee | |
und Tawakkul Karman sei der Preis von 2011 zwar an „durchaus herausragende | |
Frauen“ gegangen. Doch bei ihnen sei es nicht einmal mehr dem | |
Komiteevorsitzenden Jagland gelungen, auch nur einen vagen Bezug zum | |
Testament Nobels herzustellen. | |
Heffermehl: „Es war ein Preis für Frauenrechte und Demokratie.“ Aus dem, | |
was Alfred Nobel in Briefen und anderen Dokumenten zu seinem Friedenspreis | |
geäußert habe, ergebe sich aber, dass der Preis nicht allgemein für | |
„Frieden“ und deshalb auch nicht für Baumpflanzungen, Mikrokredite, | |
Demokratie, Umwelt, Klimawandel, medizinische Versorgung oder | |
Armutsbekämpfung gedacht gewesen sei, sondern gezielt für den | |
antimilitaristischen Kampf. | |
Den Einwand der KritikerInnen, er lege Nobels Testament so puristisch, | |
eindimensional und wortwörtlich aus, dass sich kaum PreisträgerInnen finden | |
lassen würden, lässt Heffermehl nicht gelten. Nehme man nur die letzte | |
Nominierungsliste gebe es genügend KandidatInnen: Von den US-Amerikanern | |
Richard Falk und David Krieger bis zur „Nuclear Age Peace Foundation“, der | |
„Womens’ International League for Peace and Freedom“ oder dem schwedischen | |
Friedensforscher und Gründer des Friedensforschungsinstituts TFF, Jan | |
Öberg. | |
## „Verbrüderung der Völker“ | |
Arrogant und ignorant sei die Kritik an der Vergabepraxis meint der | |
Vorsitzende des Nobelkomitees, der Sozialdemokrat Thorbjørn Jagland. Sein | |
Gremium bemühe sich sehr wohl, dem Willen Nobels zu folgen. Wenn dieser von | |
der „Verbrüderung der Völker“ oder von „Friedenskongressen“ spreche, … | |
eben beispielsweise der Preis für die EU – dieser hatte nicht nur in | |
Norwegen zu besonders scharfer Kritik geführt – vollständig im Sinne des | |
Preisstifters gewesen, weil die EU seit Gründung „ein kontinuierlicher | |
Friedenskongress“ gewesen sei. Auch könne niemand den Preis an Martin | |
Luther King gutheißen und gleichzeitig den an Barack Obama kritisieren, | |
argumentiert Jagland: „Denn Obama hat mit seiner Gesundheitsreform mehr für | |
die schwarze Bevölkerung getan als jemand anders.“ | |
„Er versteht nichts. Er erkennt nicht den Unterschied zwischen einem | |
„Friedenspreis“ und einem „Preis für Friedensverfechter“ sagt Hefferme… | |
Und Thomas Hylland Eriksen vermutet, dass „Nobels Vision einfach zu radikal | |
ist für eines der eifrigsten Schoßhündchen der USA“, wie Norwegen es sei. | |
Der Friedensforscher Johan Galtung sieht das ähnlich: „Es gibt ein | |
Nobelpreisschema. Den Preis bekommen Personen mit Ansichten, die mit der | |
norwegischen Außenpolitik kompatibel sind.“ | |
Man könne schwerlich etwas anderes erwarten, der Preis werde ja von | |
„ausgewählten Nato-Anhängern“ verliehen. Galtung stellt damit auf die | |
Tatsache ab, dass die fünf MitgliederInnen des Nobelkomitees vom | |
norwegischen Parlament nach den jeweiligen dortigen Kräfteverhältnissen | |
ernannt werden. Wolle man wirklich zurück zu Nobels Intentionen, müsse man | |
diesem Komitee die Verantwortung für den Preis entziehen, meint Galtung. | |
Und auch Hylland Eriksen fordert: „Nicht abgedankte norwegische Politiker“ | |
sollten diese Aufgabe haben, sondern beispielsweise ein politisch | |
ungebundenes, kompetentes internationales Gremium. | |
## Ans Testament gebunden | |
Eine solche Veränderung sei auch das eigentliche Ziel seiner juristischen | |
Vorstöße, betont Heffermehl. Er hat mittlerweile ein weiteres Verfahren bei | |
der Stiftungsaufsichtsbehörde in Stockholm (Länsstyrelsen) eingeleitet. | |
Diese hat die Aufgabe, die rechtmäßige Verwaltung von Nobels Stiftung und | |
damit auch die des Friedensnobelpreises zu überwachen, und sie hatte | |
bereits 2012 aufgrund der öffentlichen Nobelpreiskritik einmal ein | |
Verfahren gegen die Stiftung eröffnet. | |
Die Behörde wies damals ausdrücklich den Einwand des norwegischen Komitees, | |
es sei „unabhängig“ in seinen Entscheidungen, zurück. Sie konstatierte, | |
dieses sei an das Testament gebunden und es sei Aufgabe des | |
Stiftungsverwalters die korrekte Einhaltung des Testaments zu überwachen. | |
Da die schwedische Nobelstiftung seinerzeit zugesagt hatte, diese Kontrolle | |
übernehmen zu wollen, sah Länsstyrelsen „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ | |
keinen Anlass tätig zu werden. Heffermehl will nun mit einem neuen Antrag | |
an dieses Verfahren anknüpfen: „Es hat sich ja nichts geändert.“ | |
8 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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