# taz.de -- Friedensnobelpreis verliehen: Für das Recht auf Kindheit | |
> Die Pakistanerin Malala Yousafazi und der Inder Kailash Satyarthi teilen | |
> sich den Friedensnobelpreis. Beide setzen sich für Kinderrechte ein. | |
Bild: Ausgezeichnet: Kailash Satyarthi (l.) und Malala Yousafazi. | |
Das Nobelpreiskomitee ignorierte in diesem Jahr große Namen. Stattdessen | |
rückt es etwa 200 Millionen Kinderarbeiter ins Rampenlicht. Der | |
Friedensnobelpreis geht an zwei Vorkämpfer für die Rechte von Kindern und | |
Jugendlichen. Mit der Wahl der 17-jährigen Malala Yousafzai aus Pakistan | |
und des 60-jährigen Kailash Satyarthi aus Indien wurden zwei Aktivisten aus | |
verfeindeten Ländern gewählt, die als Vorbilder für die dortigen | |
Zivilgesellschaften gelten. | |
Das Nobelkomitee erklärte am Freitag in Oslo, beide vereine ihr Kampf für | |
Bildung und gegen Extremismus. Yousafzai stammt aus dem Swat-Tal nördlich | |
der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Seit einem Anschlag der Taliban | |
auf sie vor fast genau zwei Jahren lebt sie im britischen Birmingham. Der | |
einstige Elektroingenieur Satyarthi arbeitet in der indischen Hauptstadt | |
Delhi. Beide sind auch international stark für Kinderrechte engagiert. | |
Das Nobelkomitee begründete seine Entscheidung damit, dass Yousafzai trotz | |
ihrer Jugend schon seit vielen Jahren für das Recht von Mädchen auf Bildung | |
kämpfe. Sie sei ein Beispiel dafür, dass auch schon Kinder und Jugendliche | |
einen Beitrag leisten können, ihre Lage zu verbessern. | |
Satyarthi wiederum habe großen Mut bewiesen und immer wieder friedliche | |
Proteste angeführt, die sich gegen die Ausbeutung und Versklavung von | |
Kindern richteten. Thorbjørn Jagland, Chef des Nobelkomitees und ehemaliger | |
norwegischer Ministerpräsident, sagte, weltweit gebe es heute etwa 168 | |
Millionen Kinderarbeiter. „Im Jahr 2000 war diese Zahl um 78 Millionen | |
höher.“ | |
Satyarthi, der bereits etliche internationale Auszeichnungen erhalten hat, | |
sagte dem indischen Sender NDTV in einer ersten Reaktion: „Das ist eine | |
Ehre für alle meine Mitbürger in Indien und eine Ehre für all jene Kinder | |
in der Welt, deren Stimme nie wirklich gehört wurde.“ Die gemeinsame | |
Vergabe des Preises nannte er eine gute Idee: „Ich kenne Malala Yousafzai | |
persönlich und werde sie anrufen und sagen: Lass uns zusammenarbeiten.“ | |
## Kritik an Islamisten | |
Yousafzai ist die bisher jüngste Friedensnobelpreisträgerin. Und das, | |
obwohl sie schon seit zwei Jahren international bekannt ist. Sie war gerade | |
mal 15 Jahre alt, als die pakistanische Schülerin im Oktober 2012 tragische | |
Berühmtheit erlangte: Auf dem Heimweg von der Schule schossen | |
radikalislamische Taliban-Kämpfer auf das junge Mädchen. Yousafzai hatte | |
die Islamisten in Blogeinträgen dafür kritisiert, dass sie Mädchenschulen | |
angegriffen und geschlossen hatten. Das machte sie zum Angriffsziel der | |
Taliban. Schwer verletzt wachte Yousafzai zwei Wochen später in einem | |
Krankenhaus im englischen Birmingham wieder auf. Eine Notoperation in | |
Pakistan und weitere Behandlungen in Europa retteten ihr das Leben. | |
Die Taliban wollten sie zum Schweigen bringen, doch das Gegenteil haben sie | |
erreicht: Seither ist Yousafzai eine internationale Berühmtheit. | |
Auszeichnungen und internationale Auftritte schienen in den vergangenen | |
Jahren kein Ende zu nehmen. Sie veröffentlichte ihre Biografie und sprach | |
an ihrem 16. Geburtstag vor der UN-Vollversammlung. UN-Generalsekretär Ban | |
Ki Moon nannte sie gar „unsere Heldin“. | |
Schon im vergangenen Jahr galt sie als eine der Favoritinnen für den | |
Friedensnobelpreis. Stattdessen bekam ihn die Organisation für das Verbot | |
von Chemiewaffen (OPCW). Um Malala Yousafzai wurde es etwas ruhiger. Sie | |
wolle nicht, dass ihre schulische Ausbildung leide, sagte sie. | |
Doch während Yousafzai in der westlichen Welt gefeiert wird, schlägt ihr in | |
ihrer Heimat Pakistan aus weiten Teilen der islamistisch gesinnten | |
Bevölkerung vor allem Hass entgegen. In sozialen Netzwerken wird sie als | |
ruhmsüchtig beschimpft oder als US-Spionin diffamiert. Die Provinzregierung | |
in Peshawar verhinderte gar die Präsentation ihrer Autobiografie. | |
## Keine Marionette des Westens | |
Immer wieder wird Yousafzai vorgeworfen, eine Marionette des Westens zu | |
sein. Malala hat darauf eine klare Antwort: „Ich bin eine Tochter | |
Pakistans, und ich bin stolz, Pakistanerin zu sein.“ Nach der Bekanntgabe | |
des Nobelpreiskomitees beeilte sich Pakistans Ministerpräsident Nawaz | |
Sharif, Yousafzai als den „Stolz aller Pakistani“ zu rühmen. | |
An ihre Rückkehr nach Pakistan ist aber nicht zu denken. Gegenüber ihren | |
Angreifern hegt Yousafzai trotzdem keine Rachegedanken. Sie wolle Bildung | |
für alle Kinder, auch für „die Söhne und Töchter der Taliban und aller | |
Terroristen und Extremisten“, erklärte sie in ihrer Rede vor den UN. „Lasst | |
uns unsere Stifte und Bücher in die Hand nehmen. Sie sind unsere | |
mächtigsten Waffen.“ Bildung sei das einzige Mittel gegen Armut und | |
Extremismus. Angesprochen darauf, was sie einmal werden wolle, sagte sie | |
ganz unbescheiden: Premierministerin von Pakistan. | |
„Kinderarbeit ist ein gesellschaftliches Problem. Unser soziales Gewissen | |
ist in dieser Hinsicht ziemlich blind“, sagt Kailash Satyarthi, als er vor | |
einigen Jahren in seinem mit Gästen aus Dörfern und Metropolen überfüllten | |
Büro die taz zum Interview empfing. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren | |
arbeitet Satyarthi daran, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, „daß | |
Kinderarbeit für die ganze Gesellschaft schädlich ist“. Satyarthi ist | |
jedoch kein Marktschreier. Er tritt bescheiden, aber selbstbewusst auf und | |
trägt seine Argumente mit sanfter Stimme vor. | |
In Indien ist Kinderarbeit seit 1986 verboten, doch das Gesetz wird nur | |
halbherzig umgesetzt. Anfang der 1990er Jahre gründet Satyarthi daher die | |
Initiative „Bachpan Bachao Andolan“ (Bewegung zur Rettung der Kindheit). | |
Mit teilweise konspirativen Methoden spüren seine Mitarbeiter im | |
sogenannten Teppichgürtel, dem Osten des Unionsstaates Uttar Pradesh, | |
Kinderarbeiter auf, die in dunklen Lehmhütten von morgens bis abends am | |
Webstuhl schuften. | |
## 80.000 Kinderarbeiter befreit | |
Auch mithilfe der Polizei werden im Laufe der Jahre 80.000 Kinderarbeiter | |
befreit und zu ihrer Sicherheit zeitweise in Heimen untergebracht, wo sie | |
eine Schulbildung erhalten. 1994 initiierte Satyarthi das Teppichlabel | |
Rugmark (heute: GoodWeave), dass Teppiche zertifiziert, die ohne | |
Kinderarbeit geknüpft wurden. | |
Seine Erfolge ermutigen den Kinderrechtler Satyarthi, seine Botschaft über | |
die Grenzen Indiens hinauszutragen. Er gründet die „South Asian Coalition | |
On Child Servitude“, ein Netzwerk von mehr als 100 Initiativen in Nepal, | |
Indien, Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka. Im Jahr 1998 initiiert | |
Satyarthi den Globalen Marsch gegen Kinderarbeit. Auch in Deutschland | |
nehmen 1,7 Millionen Kinder an der Aktion teil. Im Jahr darauf (1999) | |
verabschiedet die ILO die Konvention Nr. 182 gegen die schlimmsten Formen | |
von Kinderarbeit. | |
Die Arbeit von Satyarthi wurde in Deutschland mit dem Aachener | |
Friedenspreis 1994 sowie dem Menschenrechtspreis der | |
Friedrich-Ebert-Stiftung 1999 gewürdigt. In Indien ist es in den letzten | |
Jahren etwas still um ihn geworden, nachdem die Regierung 2009 eine seiner | |
wichtigsten Forderungen einlöste: Ein „Gesetz über das Recht zum freien | |
Zugang zu Schulbildung“ führte die allgemeine Schulpflicht ein. | |
Damit ist die Kinderarbeit in Indien jedoch nicht beseitigt. Satyarthi | |
fordert von der Regierung eine Verschärfung und konsequente Durchsetzung | |
des Verbots der Kinderarbeit. Delhi solle unverzüglich die ILO-Konventionen | |
über das Verbot der schlimmsten Formen von Kinderarbeit und über das | |
Mindestalter für Beschäftigte von 14 beziehungsweise 15 Jahren | |
ratifizieren. „Ich glaube fast, dass eine Konspiration zum Erhalt ihrer | |
Privilegien die Elite davon abhält, der Mehrheit der Kinder den Weg zu | |
einer sinnvollen Schulbildung zu ebnen“, stellte Satyarthi schon damals am | |
Ende des Gesprächs fest. | |
Indiens Präsident Pranab Mukherjee wertete den Preis jetzt als „Anerkennung | |
für die Beiträge der lebendigen indischen Zivilgesellschaft, die komplexe | |
soziale Probleme wie Kinderarbeit angeht.“ | |
Der Friedensnobelpreis wird alljährlich am 10. Dezember in Oslo verliehen | |
und ist mit umgerechnet 874.000 Euro dotiert, die sich beide Preisträger | |
teilen. | |
10 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
M. Radunski | |
R. Hörig | |
S. Hansen | |
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