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# taz.de -- Kolumne Macht: Mehr ist nicht drin?
> Der UN-Sicherheitsrat muss sich auf eine gemeinsame Linie zum IS einigen.
> Falls nicht, gibt es nur noch das Recht des Stärkeren.
Bild: UN-Sicherheitsrat: Eine unklare Haltung wäre das Ende.
Je näher man ein Wort anschaut, desto ferner schaut es zurück, hat Karl
Kraus gesagt. Wenn ich derzeit Zeitung lese, ahne ich, was er meinte. Je
tiefer ich mich in die Materie der Vorgänge im Nahen Osten einarbeite,
desto verwirrter werde ich. Das wäre ja nicht weiter schlimm, hätte ich
nicht den Eindruck, dass es Spitzenpolitikern auf der ganzen Welt ähnlich
geht.
Ein Freund versuchte kürzlich, mich davon zu überzeugen, alle Entwicklungen
seien auf machtpolitische Pläne der USA zurückzuführen. Da kann ich nur
sagen: Schön wär’s. Denn das würde ja bedeuten, dass wenigstens
irgendjemand einen Plan hat. Ich bezweifle das.
Nichts wird schnell gehen, keine einfache Lösung bietet sich an. Das habe
ich verstanden. Ich verstehe auch, dass einander widersprechende Interessen
gemeinsames Handeln erschweren, wenn nicht unmöglich machen, und ich kann
für fast alle Beteiligten ein gewisses Verständnis entwickeln. Sogar für
die türkische Regierung, obwohl das nicht leicht fällt. Aber für das
Verhalten der IS fällt mir keine Rechtfertigung ein, es sei denn im Bereich
der Psychopathologie. Und die liefert keine brauchbare Richtschnur für
rationale Verhandlungen.
Nun ist der IS nicht einmal einzigartig in seiner Grausamkeit. Vielerorts
ereignen sich Menschenrechtsverletzungen, die genauso furchtbar sind wie
das, was sich derzeit in Syrien abspielt. Dass sich kaum jemand dafür
interessiert, macht es schlimmer – nicht besser. Wie ist eigentlich der
Stand der Dinge in der Zentralafrikanischen Republik?
Neu und ungewöhnlich ist also nicht die Brutalität. Wohl aber die pubertäre
Prahlerei, mit der sich der IS seiner Verbrechen rühmt. Terroristen tun das
gerne, nicht aber Gruppen, die ganze Regionen unter ihrer Kontrolle haben
und sich dauerhaft als Machthaber etablieren wollen. Das ist so
beunruhigend, dass es im Interesse aller Regierungen liegen muss, dagegen
vorzugehen. Selbst in dem der autoritärsten Regime. Sogar die brauchen
nämlich berechenbare Partner. Der IS kann das nicht sein.
Es gibt nicht viele Normen, auf die sich die Weltgemeinschaft je geeinigt
hat – und die eingehalten werden. Jeder einzelne Artikel der
UN-Menschenrechtscharta wird täglich verletzt, und dennoch ist sie eines
der großartigsten Dokumente, die der Menschheit je gelungen sind. Weil die
Charta den Rahmen für Standards bildet, die weltweit für wünschenswert
gehalten werden, und weil man sich auf sie berufen kann.
Wer gegen die Menschenrechte verstößt, muss bisher wenigstens versuchen,
das zu verheimlichen oder die Schuld anderen in die Schuhe zu schieben. Der
IS tut nichts dergleichen. Wenn eine solche Gruppe siegen oder zumindest
Verhandlungen erzwingen kann, dann ist das eine neue Qualität von Politik
der Gegenwart. Das hat es seit Beginn des Völkerrechts nicht mehr gegeben.
Und deshalb ist es so wichtig – ja, die vordringlichste Aufgabe überhaupt!
–, dass der UN-Sicherheitsrat sich jetzt auf eine gemeinsame Linie
gegenüber dem IS einigt. Wie groß die Konflikte in anderen Fragen auch sein
mögen: Wenn eine Verständigung in diesem Bereich nicht gelingt, dann gilt
demnächst tatsächlich nur noch das Recht des Stärkeren.
Russland und China haben die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit ihrer
Zustimmung zu Resolutionen, in denen es um den IS geht, signalisiert. Wer
jetzt behauptet, mehr sei nicht drin, versagt angesichts der größten
Herausforderung seiner Amtszeit. Es muss mehr drin sein.
17 Oct 2014
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
„Islamischer Staat“ (IS)
UN
UN-Sicherheitsrat
Schwerpunkt Rassismus
USA
Salafismus
Menschenrechte
„Islamischer Staat“ (IS)
Bundeswehr
Flüchtlinge
Schwerpunkt Landtagswahlen
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