| # taz.de -- Kolumne Macht: Ebola? Ach. Loriot lebt | |
| > Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Und die zuständigen Stellen sind | |
| > völlig überfordert. Das fängt schon bei der medizinischen Erstversorgung | |
| > an. | |
| Bild: Behelfsmäßige oder doch hilflose Versorgung? | |
| Anruf bei einem Chirurgen in Rente, irgendwo in Deutschland. Ein Arzt wird | |
| gesucht, der Flüchtlinge medizinisch versorgt. „Wie kommen Sie jetzt auf | |
| mich?“ – „Sie haben doch einen Schützenbruder, der hat Sie empfohlen.“… | |
| „Nein, ich habe keinen Schützenbruder.“ – „Ach.“ – „Ich bin in k… | |
| Schützenverein.“ – „Ach.“ Loriot lebt. | |
| Pause. „Ja, aber könnten Sie denn morgen, von neun bis 21 Uhr?“ – „Was… | |
| ich denn machen?“ – „Weiß ich auch nicht genau.“ | |
| Was bekannt ist: Flüchtlinge werden an einer Sammelstelle erwartet. Was | |
| nicht bekannt ist: Wo die Flüchtlinge herkommen, wie lange sie schon in | |
| Deutschland sind, ob sie hier überhaupt schon mal einen Arzt gesehen haben. | |
| „Kommen auch Leute aus Westafrika?“ – „Das weiß ich jetzt nicht. Warum… | |
| Weil Ebola ein Thema sein könnte, vielleicht? Auf diese Frage gibt es keine | |
| Antwort. Der Chirurg begibt sich am nächsten Morgen zur Sammelstelle. Und | |
| begegnet vollständiger Ratlosigkeit. | |
| „Was wollen Sie hier? Flüchtlinge betreuen? Davon wissen wir nichts.“ Der | |
| Arztausweis wird vorgelegt. „Moment, ich muss mal eben den Führungsstab | |
| anrufen.“ Abgang, neuer Auftritt. „Nein, die wissen auch von nichts.“ Aber | |
| er könne ja mal weiterfahren. Bis zum nächsten Schlagbaum. | |
| Auch dort: Ratlosigkeit. „Da müssen wir mal telefonieren.“ Pause, Abgang, | |
| Auftritt. „Der in der Führung wusste auch nichts damit anzufangen. Aber ich | |
| bringe Sie jetzt da erst mal hin.“ Das sei nicht nötig, meint der Chirurg. | |
| Wegbeschreibung genüge. Sicher? Sicher. | |
| ## Damit Sicherheitskräfte nervös werden | |
| Er fährt, wie abgesprochen, auf einen „bezeichneten“ Parkplatz. Wie | |
| ebenfalls abgesprochen: „sehr langsam, sehr vorsichtig“. Damit die | |
| Sicherheitskräfte keinen Anlass haben, nervös zu werden. | |
| Dann begibt er sich zur medizinischen Aufnahmestation für Flüchtlinge. Bis | |
| vor kurzem war das ein Lagerraum gewesen. Der Chirurg untersucht dort nun | |
| Kleinkinder und schwangere Frauen. Und andere Leute. In dem ehemaligen | |
| Lagerraum gibt es nicht einmal ein Becken, um sich die Hände zu waschen. | |
| Westafrika? Ebola? Ach, egal. Man freut sich ja schon, wenn man keinen | |
| Magen-Darm-Infekt weiter verbreitet. Sagt der Chirurg. | |
| Dann: neue Verwirrung. Dieses Mal geht es um ihn. Soll er länger bleiben? | |
| „Nein, nein, wir haben jetzt jemand. Danke für Ihr Engagement. Schreiben | |
| Sie uns eine Rechnung.“ | |
| Wenig später klingelt das Telefon: „Wir sind völlig überfordert. Wir | |
| kriegen irgendwelche Anweisungen aus der Landeshauptstadt, und ob wir das | |
| umsetzen können, ist denen völlig egal. Ich wage ja kaum, Sie zu fragen: | |
| Wir haben Mittwoch und Donnerstag niemanden. Können Sie einspringen?“ | |
| ## Wofür? Woher? „Wissen wir nicht.“ | |
| Wofür genau? „Wissen wir nicht.“ Wie viele Flüchtlinge? „Wissen wir nic… | |
| Woher? „Wissen wir nicht.“ Westafrika? „Da haben wir keine Informationen.… | |
| Am nächsten Tag ist der Chirurg wieder an der Sammelstelle. Frage an einen | |
| der freiwilligen Helfer vom Roten Kreuz: „ Woher kommen die Leute? Aus | |
| Syrien, aus dem Irak, aus Westafrika?“ – „Das wissen wir nicht. Warum ist | |
| das wichtig?“ – „Wegen Ebola.“ | |
| Plötzlich scheint ein Ruck durch den Mann zu gehen. Der versucht, Genaueres | |
| per Funk zu erfragen. Vergeblich. Der Chirurg: „Gäbe es denn, wenn nötig, | |
| die Möglichkeit, Leute in Quarantäne zu isolieren?“ Achselzucken. Dann: | |
| Nein, eher nicht. | |
| Der Chirurg untersucht alle Neuankömmlinge weiter auf alle üblichen | |
| Krankheiten hin. Ebola ist keine übliche Krankheit. Dem Chirurgen liegt an | |
| der Aussage: Wenn über seine Erfahrungen ein Artikel erscheint, dann muss | |
| darin stehen, wie groß sein Respekt vor allen ehrenamtlichen Helfern ist. | |
| Die bis zum eigenen Erschöpfungszustand nichts anderes getan haben, als zu | |
| versuchen, den Flüchtlingen konkret zu helfen. Wie übrigens auch die | |
| hauptamtlich Verantwortlichen. | |
| Der Arzt hat weder Diskriminierung noch körperliche Misshandlung von | |
| Flüchtlingen beobachtet. Wohl aber die völlige Überforderung zuständiger | |
| Stellen. Jetzt erreichte ihn erneut ein Anruf: Ob er in den nächsten drei | |
| Tagen zur Verfügung stehen könne? Es gebe nämlich sonst niemanden. | |
| 3 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
| ## TAGS | |
| Flüchtlinge | |
| Flüchtlingslager | |
| Ebola | |
| Salafismus | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| Ebola | |
| Ägypten | |
| Irak | |
| Robin Williams | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Macht: Name und Adresse, bitte! | |
| Eine Lehrerin braucht Rat, weil sich einige ihrer Schüler plötzlich für den | |
| Salafismus begeistern. Stattdessen kommt die Polizei. | |
| Kolumne Macht: Mehr ist nicht drin? | |
| Der UN-Sicherheitsrat muss sich auf eine gemeinsame Linie zum IS einigen. | |
| Falls nicht, gibt es nur noch das Recht des Stärkeren. | |
| Erste Ebola-Übertragung in Europa: Weitere Infektionen möglich | |
| In Spanien hat sich eine Pflegehelferin mit Ebola infiziert. Die | |
| Gesundheitsbehörden schließen weitere Fälle nicht aus – die | |
| Wahrscheinlichkeit sei aber gering. | |
| Kolumne Macht: Mit der Bitte um „Shares“ und „Likes“ | |
| Die ägyptische Studentin Sanaa Seif sitzt im Gefängnis, weil sie | |
| demonstriert hat. Sie ist im Hungerstreik und braucht Unterstützung. | |
| Kolumne Macht: Es geht nicht um Befindlichkeiten | |
| Bei einem Völkermord hat die Staatengemeinschaft nicht nur das Recht, | |
| sondern sogar die Pflicht zur Intervention. Sagt das Völkerrecht. | |
| Kolumne Macht: Wir spinnen alle, irgendwie | |
| Robin Williams ist tot. Wer muss sich eigentlich noch umbringen, damit wir | |
| psychische Erkrankungen ernstnehmen? |