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# taz.de -- Kolumne Macht: Wir spinnen alle, irgendwie
> Robin Williams ist tot. Wer muss sich eigentlich noch umbringen, damit
> wir psychische Erkrankungen ernstnehmen?
Bild: Selten berührt einen der Tod eines Menschen, den man nicht kennt. Robin …
Es kommt gar nicht so oft vor, dass man traurig ist über den Tod eines
Prominenten, den man nicht persönlich gekannt hat. Der Tod von Robin
Williams betrübt mich. Ein Mann hat das Leben nicht mehr ertragen, der mir
einige sehr angenehme Stunden geschenkt hat. Wie schade.
Zugegeben: Die Welt hat im Augenblick andere Sorgen als die Tatsache, dass
ein populärer Schauspieler sich erhängt hat. Ja, er litt unter Depressionen
und Angstzuständen. Geht bekanntlich vielen Leuten so. Bedauerlich.
Vermutlich hätte sein familiäres Umfeld besser auf ihn aufpassen müssen.
Ich leide übrigens unter panischer Flugangst. Was mein Leben angesichts
meines Berufes und meiner persönlichen Umstände nicht unbedingt
erleichtert. Bitte: Jetzt keine guten Ratschläge geben! Ich habe alles
versucht. Ein Seminar, Hypnose, Verhaltenstherapie, Tranquilizer, Alkohol.
Einmal habe ich sogar eine kleine Chartermaschine für einige Minuten selbst
gesteuert. Es hat alles nichts genützt. Ich habe Flugangst.
Wenn diese irrationale – ja, vielen Dank, ich weiß, dass sie irrational
ist! – Angst irgendeinen Vorzug hat, dann den, dass ich inzwischen weiß:
Mit meinem absurden Gefühlshaushalt bin ich nicht alleine auf der Welt.
Meine Angst, die ich häufig nicht verbergen kann, ist so groß, dass auch
andere Leute sich offenbaren.
Eine sehr selbstbewusste, hochintelligente Kollegin kann leider, leider
nicht über Brücken fahren. Sie bricht spätestens nach der Hälfte des Weges
schluchzend zusammen. Weshalb sie inzwischen überhaupt nur noch Strecken
mit dem Auto zurücklegt, von denen sie sicher weiß, dass unterwegs kein
Fluss zu überqueren ist. Seit ich mit ihr einige Tage in einem fremden Land
unterwegs war, finde ich meine eigene Behinderung gar nicht mehr so
schlimm. Flugangst lässt sich leichter organisieren als Brückenangst.
## Je tiefer man gräbt, desto mehr findet man
Eine enge Freundin von mir, beruflich sehr erfolgreich, kann kein ihr
unbekanntes Zimmer betreten, das nicht vorher sorgfältig auf die mögliche
Anwesenheit von Spinnen hin untersucht wurde. Der Chefredakteur einer
deutschen Zeitung muss sogar auf der kurzen Busfahrt vom Flugzeug zum
Terminal immer unmittelbar neben dem Notausstieg sitzen. Wegen seiner
Klaustrophobie.
Wir spinnen alle, irgendwie. Und zwar wirklich: Wir alle. Je tiefer man
gräbt, desto mehr findet man. Das ist ja auch nicht weiter schlimm, das
kann man regeln – wenn man die Tatsache als solche akzeptiert. Genau das
geschieht jedoch nicht. Allen Erklärungen zum Trotz.
Der Torhüter Robert Enke bringt sich um. Und die Öffentlichkeit reagiert –
glaubhaft – tief schockiert. Künftig wird man anders, besser, mitfühlender
auf das Krankheitsbild Depression reagieren. Oder eben doch nicht. Fünf
Jahre später nimmt sich der ehemalige Fußballprofi Andreas Biermann das
Leben. Jetzt aber! Jetzt aber was? Jetzt aber nichts.
In wenigen Wochen wird der Tod von Robin Williams vergessen sein, der Tod
von Andreas Biermann ist es schon jetzt. Wer ein psychisches Problem hat,
hat eben Pech gehabt.
Die kollektive Abwehr gegenüber individuellen psychischen Schwächen ist
menschenverachtend. Die Zahl der Opfer kann, insgesamt und global
betrachtet, über die letzten zehn Jahre hinweg vermutlich mit einem
regional begrenzten militärischen Konflikt mithalten. Mit der Zahl der
Ebola-Opfer in einem einzelnen Land allemal. Wer genau muss sich umbringen,
damit wir psychische Erkrankungen ernst nehmen?
Ich bin wirklich traurig über den Tod von Robin Williams. In mehrfacher
Hinsicht.
15 Aug 2014
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Robin Williams
Hollywood
Psychische Erkrankungen
Psychische Belastungen
Ebola
Afrika
Flüchtlinge
Depression
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Krieg
Bowe Bergdahl
Europawahl 2014
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