| # taz.de -- Kolumne Macht: Es gibt noch Zeitungen | |
| > Während der WM gab es keine Nachrichten in den Nachrichtensendungen. Das | |
| > Kerngeschäft wurde über Bord geworfen – zugunsten von Bällen. | |
| Bild: Ja, der Ball ist rund – aber ist das schon eine Nachricht? | |
| Geheimen Plänen zufolge soll das „Aktuelle Sportstudio“ künftig zwei | |
| Drittel seiner Sendezeit politischen Meldungen einräumen. Begründung: Ein | |
| großer Teil der Bevölkerung interessiere sich für Politik. Sportfans, denen | |
| das nicht gefällt, können sich dennoch freuen. Die Aufführungen der | |
| Bayreuther Festspiele werden nämlich demnächst für Interviews mit Spielern | |
| der Fußball-Bundesliga unterbrochen, die ihre schönsten Ferienerlebnisse | |
| erzählen. | |
| Das ist alles Quatsch? Ja, natürlich ist das alles Quatsch. Niemand, der | |
| bei Verstand ist, würde so konsequent an seiner Zielgruppe vorbeiplanen. | |
| Niemand, außer fast allen Nachrichtenredaktionen elektronischer Medien. Die | |
| ihr ungeliebtes Kerngeschäft während der Fußball-WM bedenkenlos über Bord | |
| warfen. | |
| Rühmliche Ausnahme: die „Tagesschau“. Offenbar ist deren Redaktion ein | |
| lernfähiges System. Davon war nicht auszugehen. Als Michael Schumacher 2002 | |
| zum dritten Mal die Weltmeisterschaft in einem Autorennen gewonnen hatte, | |
| waren in Hamburg sämtliche Sicherungen durchgebrannt. Mehr als sechs | |
| Minuten wurden diesem Thema gewidmet, bevor das Publikum in einer knappen | |
| Zusammenfassung erfuhr, was sonst noch so in der Welt geschah. Für die | |
| Zukunft ließ das Böses vermuten. | |
| Manchmal bewahrheiten sich dunkle Ahnungen nicht. Während der WM stand die | |
| „Tagesschau“ als Leuchtturm in einem Meer der Politikverdrossenheit. Bei | |
| n-tv und N24 war lediglich Verlass auf die Sendetermine der Börsenkurse, | |
| davon abgesehen gab es nichts Wichtiges außer Fußball. | |
| Verabreicht wurden also Brot und Spiele. Nichts Neues unter der Sonne. Na | |
| und? Wer außer Spaßbremsen und Spielverderbern kann etwas dagegen haben, | |
| wenn die Welt – oder wenigstens Deutschland – mal Atem schöpft und sich | |
| einige wenige Wochen nicht um das Elend andernorts kümmert? Wer sich über | |
| so etwas ärgert, stellt vermutlich auch im Urlaub täglich Kerzen ins | |
| Fenster. Im Gedenken an die Opfer weltweiter Gewalt. Und geht nie irgendwo | |
| in ein Restaurant, weil das dafür ausgegebene Geld ja auch für Hungernde | |
| gespendet werden könnte. | |
| ## Ausnahme „Tagesschau“ | |
| Nein, keineswegs. Private Entscheidungen über Urlaubsgestaltung und | |
| Geldausgaben sind genau das: privat. Mit der Informationspflicht eines | |
| privilegierten Berufsstandes, der über ziemlich viel Macht verfügt und | |
| sogar durch ein Grundrecht geschützt ist, hat das nichts zu tun. | |
| Journalismus besteht darin, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. | |
| Deshalb wird nicht darüber berichtet, wenn in China der berühmte Sack Reis | |
| umfällt, aber durchaus, wenn Steuern gesenkt werden oder ein Land einem | |
| anderen den Krieg erklärt. | |
| Die Branche hat in den letzten Wochen mehrheitlich – jedenfalls in ihrem | |
| Hörfunk-und Fernsehbereich – Politik für verzichtbar erklärt. Zumindest | |
| vorübergehend. Die Frage, wann Fußballer aufgestanden sind, war wichtiger | |
| als die Entwicklung in der Ukraine oder im Gazastreifen. | |
| Elektronische Medien halten mehrheitlich offenbar sogar Krieg und | |
| Massenflucht für Unterhaltungsthemen. Wie wollen sie eigentlich in | |
| sportarmen Zeiten wieder ernst genommen werden? Was für eine | |
| Bankrotterklärung des politischen Journalismus – und wie schön, dass es | |
| noch Zeitungen gibt. In denen man auswählen kann, was man zur Kenntnis | |
| nehmen will und was nicht. | |
| 18 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
| ## TAGS | |
| WM 2014 | |
| Journalismus | |
| Irak | |
| Robin Williams | |
| Nigeria | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| Fanmeile | |
| WM 2014 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Macht: Es geht nicht um Befindlichkeiten | |
| Bei einem Völkermord hat die Staatengemeinschaft nicht nur das Recht, | |
| sondern sogar die Pflicht zur Intervention. Sagt das Völkerrecht. | |
| Kolumne Macht: Wir spinnen alle, irgendwie | |
| Robin Williams ist tot. Wer muss sich eigentlich noch umbringen, damit wir | |
| psychische Erkrankungen ernstnehmen? | |
| Frieden statt Krieg: Das Leben in finsteren Zeiten | |
| Die supranationalen Organisationen wie die UN oder die OSZE haben an | |
| Bedeutung verloren. Muss das so bleiben? Und vor allem: Soll das so | |
| bleiben? | |
| Pressekonferenz mit Angela Merkel: Hätte er doch besser nur berichtet | |
| Der Leiter des ZDF-Studios in Brüssel schmeißt sich an die Kanzlerin ran | |
| und singt ihr ein Ständchen. So unangenehm das ist, Merkel kann es freuen. | |
| Weltmeister-Party in Berlin: Respektlos im Siegesrausch | |
| Die Feier der deutschen Nationalmannschaft verkommt zum | |
| Marketing-Fan-Meilen-Truck-Korso. Da kann man auch gleich | |
| „Gaucho-Verlierer“ verhöhnen. | |
| WM-Berichterstattung: Die USA sind Weltmeister | |
| Die „New York Times“ präsentierte während der WM in Brasilien den besten | |
| Online-Auftritt. Besonders mit grafischen Spielereien konnte sie | |
| überzeugen. |