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# taz.de -- Kolumne Macht: Held? Deserteur? Mensch?
> Die Rechte des US-Soldaten Bowe Bergdahl sind offenbar mehr wert als die
> Menschenrechte von Angehörigen anderer Nationen.
Bild: Der Fall Sergeant Bowe Bergdahl.
Natürlich beflügelt die Geschichte von Bowe Bergdahl die Fantasie, man
möchte wissen, ob der ehemalige Gefangene der Taliban ein Deserteur war
oder nicht. In politischer Hinsicht ist diese Frage jedoch so relevant wie
die Lektüre eines Abenteuerromans – oder sollte es zumindest sein. Da geht
es nämlich nicht um die Biografie des befreiten Soldaten, sondern um
Kriegsvölkerrecht. Und um Selbstentlarvung.
Die Gefangenen in Guantánamo werden bekanntlich nicht als Kriegsgefangene
behandelt, sie sind faktisch nahezu rechtlos. Die Anwendung verschiedener
Foltermethoden bei Verhören ist inzwischen bestätigt. Internationale
Appelle, die Lager zu schließen, blieben ebenso wirkungslos wie
höchstrichterliche Urteile in den USA, denen zufolge die Zustände in
Guantánamo nicht einmal den Mindestanforderungen der Genfer Konventionen
entsprechen und außerdem einen Bruch der US-Verfassung darstellen.
US-Präsident Barack Obama ist mit allen Versuchen gescheitert, das
Internierungscamp aufzulösen. Warum gibt es das Lager trotzdem noch? Weil
seine Befürworter behaupten, es sei für die Sicherheit der USA
unerlässlich, und sich - vor allem in den Vereinigten Staaten selbst -
niemand nachsagen lassen will, den Kampf gegen den Terrorismus nicht ernst
genug zu nehmen.
Vor Verachtung und Überheblichkeit sei in diesem Zusammenhang gewarnt: Die
Bereitschaft, das Recht für einen vermeintlichen Zugewinn an Sicherheit zu
brechen, beschränkt sich nicht auf Amerikaner. Auch in Deutschland wird
immer mal wieder diskutiert, ob „ein bisschen Folter“ nicht erlaubt sein
solle, wenn damit ein Menschenleben gerettet werden könne. Oder ob das
Völkerrecht nicht gebrochen werden dürfe, gar müsse, gelte es, einen Krieg
aus humanitären Gründen zu führen.
## Was „normal“ ist, ändert sich schnell
Schön. Oder vielmehr: Nicht schön. Es ist also inzwischen umstritten, ob
rechtsstaatliche Grundsätze für alle Individuen und alle Situationen
gleichermaßen gelten müssen, um als solche bezeichnet werden zu können. Das
ist der Abschied von einer tragenden Säule der Demokratie, aber die
Öffentlichkeit gewöhnt sich ja an vieles. Es muss nur oft genug als
„normal“ dargestellt und als Beweis für „gesunden Menschenverstand“
bezeichnet werden.
Der Fall von Sergeant Bowe Bergdahl hat aber doch eine neue Qualität.
Erstmalig wird ganz offen gesagt und von niemandem in Frage gestellt, dass
nicht nur die Sicherheit einer ganzen Nation die Beugung oder den Bruch
internationalen und nationalen Rechts - leider, leider - unausweichlich
macht, sondern auch das Leben jedes einzelnen US-Soldaten kostbarer ist als
die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen, die Genfer Konventionen,
das gesamte Völkerrecht.
Anders ausgedrückt: Wenn die Gefangenen in Guantánamo denn so ungeheuerlich
gefährlich sind für die Sicherheit der freien Welt, dass alle
rechtstaatlichen Prinzipien ihretwegen außer Kraft gesetzt werden müssen –
warum können einige dann für die Befreiung eines einzelnen Soldaten
ausgetauscht werden?
Das Versprechen, niemand werde zurückgelassen, ist eine Zusage, die jede
Armee der Welt – sogar die eines verbrecherischen Regimes – gerne geben
möchte. Schon deshalb, weil es die Kampfmoral hebt. Es ist ein nicht
einlösbares Versprechen, auch von den US-Streitkräften nicht einlösbar. Wie
alle, die lesen können, spätestens seit dem Vietnamkrieg wissen.
Die Frage, wie weit man für die Rettung von Gefangenen geht, ist immer eine
Kosten-Nutzen-Rechnung. Wenn das Leben von Bowe Bergdahl wertvoll genug
ist, um dafür Männer freizulassen, denen bisher Menschenrechte aus
angeblich übergeordneten Gründen der nationalen Sicherheit versagt werden
mussten, dann bedeutet das auch: Die Rechte von Bowe Bergdahl sind
wertvoller als die Menschenrechte von Angehörigen anderer Nationen. Das ist
Chauvinismus und ekelhaft.
Ganz unabhängig davon, ob Bergdahl ein Deserteur ist oder ein Held.
7 Jun 2014
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
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Menschenrechte
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