| # taz.de -- Bahnstreik am Wochenende: Macht und Ohnmacht der Lokführer | |
| > Kleine Gewerkschaften – kleine Streikkasse. Deshalb ihre Aggressivität. | |
| > Anderswo in Europa geht es noch heftiger zur Sache. | |
| Bild: Dienstschluss auf Kommando: Von einer solchen Durchschlagskraft träumt m… | |
| Das gibt einen Aufschrei: Zehntausende Fußballfans kommen an diesem | |
| Wochenende nicht in Bundesligastadien. Weil die Gewerkschaft Deutscher | |
| Lokomotivführer (GDL) mal wieder ihre Macht demonstriert. Ohne Rücksicht | |
| auf Verluste. | |
| Die GDL scheint bereit zu sein, aufs Ganze zu gehen. Doch das kann | |
| täuschen. Als kleine Spartengewerkschaft sind ihre Mittel aufgrund knapper | |
| ökonomischer Ressourcen limitiert. Mangels Mitgliedermasse sind die | |
| Streikkassen nicht gerade üppig gefüllt. Deshalb muss sich die GDL auf | |
| verhältnismäßig wenige Streiktage beschränken. Die sollen dafür | |
| größtmögliche Wirkung entfalten. | |
| So nervenaufreibend und ärgerlich das aktuelle Streikwochenende der GDL | |
| auch ist: Im europäischen Vergleich erscheinen die Auswirkungen | |
| überschaubar. Der Pilotenstreik bei Air France im September in Frankreich | |
| dauerte zwei Wochen, der Bahnstreik im Juni dieses Jahres immerhin länger | |
| als eine Woche. | |
| Organisiert hatten ihn die beiden linken Gewerkschaften CGT und SUD, die | |
| damit gegen eine von der Regierung geplante Bahnreform demonstrierten – was | |
| in Deutschland rechtswidrig wäre. Zwar gewährt das Grundgesetz die | |
| Koalitionsfreiheit, zu der Juristen auch die organisierte Niederlegung der | |
| Arbeit zählen. Aber politisch motivierte Arbeitsniederlegungen sind nach | |
| der gängigen Rechtsprechung nicht zulässig. | |
| Darunter fällt auch das Mittel des Generalstreiks, wie er andernorts zum | |
| klassischen Repertoire gehört. Aus Protest gegen das Sparprogramm der neuen | |
| Regierung wollen in Belgien am 15. Dezember die drei großen Gewerkschaften | |
| mit einem übergreifenden landesweiten Ausstand das öffentliche Leben zum | |
| Erliegen bringen – in Deutschland undenkbar. | |
| In der BRD ist der Spielraum der Gewerkschaften stark reglementiert. So | |
| muss ein Streik ein tarifvertraglich zu regelndes Ziel verfolgen. Zu den | |
| einzuhaltenden Regularien gehört überdies, dass ein Streik nur die Ultima | |
| Ratio sein darf und „verhältnismäßig“ sein muss. Das jedoch ist eine | |
| Auslegungsfrage, die von den Gerichten nicht einheitlich beantwortet wird. | |
| ## Deutschland streikt europaweit im hinteren Bereich | |
| Dass die deutschen Arbeitnehmer sich durch eine besondere Streikfreude | |
| auszeichnen, lässt sich kaum behaupten. Im europaweiten Vergleich liegt die | |
| BRD in Bezug auf die Zahl der Streiktage im hinteren Bereich, locker | |
| abgehängt von Frankreich, Spanien, Belgien, aber auch den skandinavischen | |
| Ländern Dänemark, Finnland und Norwegen. | |
| Im Jahr 2013 gab es nach Angaben des Wirtschafts- und | |
| Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) knapp | |
| 220 Arbeitskämpfe, zumeist organisiert von den DGB-Gewerkschaften. Die | |
| Streikaktivitäten von Berufsgewerkschaften wie der GDL oder der | |
| Pilotengewerkschaft Cockpit fielen hingegen kaum ins Gewicht. Aber sie | |
| haben gehörige Auswirkungen, weil es nicht vieler Mitglieder bedarf, um | |
| Züge nicht rollen und Flugzeuge nicht fliegen zu lassen. Sie müssen nur an | |
| der richtigen Stelle sitzen. | |
| Von einer solchen Durchschlagskraft träumt auch so manche DGB-Gewerkschaft. | |
| Beispiel Amazon: Seit Längerem versucht die Dienstleistungsgewerkschaft | |
| Ver.di, in dem US-amerikanischen Versandhandelsunternehmen einen | |
| Tarifvertrag und bessere Bezahlung durchzusetzen. Trotz mehrfacher Streiks, | |
| auch während des wichtigen Weihnachtsgeschäfts, beißt die Gewerkschaft auf | |
| Granit. Da nicht alle Beschäftigten mitstreiken – vor allem die vielen | |
| Aushilfen und zeitlich befristeten Beschäftigten unterminieren die | |
| Streikmacht –, kann die Firma die Ausstände bislang aussitzen. | |
| Auch im Einzelhandel ist es mit der Streikmacht der Gewerkschaften nicht | |
| weit her. Rufen sie zum Ausstand, kriegen das kaum Kunden mit – weil es | |
| immer genügend Ausweichmöglichkeiten zum Einkaufen gibt. Um überhaupt | |
| Aufsehen zu erregen, griffen Aktivisten sogar schon zum Mittel des | |
| Flashmobs. | |
| Im öffentlichen Dienst ist das Bild differenzierter. Da kann in manchen | |
| Verwaltungen wochenlang gestreikt werden, und kein Bürger bekommt etwas | |
| davon mit. Erst im Zusammenspiel mit anderen kommunalen Beschäftigten – | |
| etwa bei der Müllabfuhr oder dem Nahverkehr – entfalten die Streikenden | |
| genügend Druckpotenzial. Wie lange aber darf der Müll liegen bleiben, wie | |
| lange können Schwimmbäder geschlossen oder wie lange dürfen Kinder in Kitas | |
| oder Horten nicht betreut werden, um höhere Löhne durchzusetzen? | |
| Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Letztlich sind Streiks | |
| immer eine Gratwanderung für die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst: | |
| Einerseits müssen sie ökonomischen Druck aufbauen, andererseits dürfen sie | |
| den Bogen nicht überspannen und die Menschen verärgern, von deren Steuern | |
| sie bezahlt werden. Am besten klappt das, wenn sie die Interessen der | |
| Bevölkerung – etwa an einem besseren Betreuungsschlüssel in den | |
| Kindergärten – berücksichtigen. | |
| 17 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Pascal Beucker | |
| Richard Rother | |
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