# taz.de -- Asylbewerber in Wohnungsnot: Flüchtlinge als Mitbewohner | |
> Die Behörden schaffen es nicht, Geflüchtete angemessen unterzubringen. | |
> Deshalb bieten Privatleute ihre Wohnung an. Ist das sinnvoll? | |
Bild: Kinder schlafen in einem Zelt in der Aufnahmeeinrichtung im bayrischen Zi… | |
Neulich hat der Hausmeister im Flüchtlingsheim Reza Dartawie wieder einmal | |
gesagt, er solle jetzt mal zusehen, dass er hier ausziehe. Es gäbe doch | |
etliche andere, die auch ein Bett bräuchten. | |
Reza Dartawie stammt aus dem Iran. Er ist Kurde, deswegen ist er vor fünf | |
Jahren von dort geflohen. Seitdem lebt er in einem Flüchtlingsheim in | |
Nürnberg. Drei Mal ist sein Antrag auf Asyl in der Zeit abgelehnt worden, | |
im vergangenen Jahr dann wurde er anerkannt. „So richtig kann ich mich | |
darüber nicht freuen, ich bin sehr kaputt, aber es ist besser als in | |
Italien, wo Freunde von mir unter der Brücke schlafen“, sagt Dartawie. | |
Er würde ja selbst gern ausziehen. Ein Freund hatte ihm sogar ein Zimmer in | |
Hamburg angeboten. Aber es gilt die Residenzpflicht. Er muss in Nürnberg | |
bleiben. Das ist eine der Sachen, die ihn so fertig macht. | |
158.000 Asylanträge wurden allein in diesem Jahr in Deutschland gestellt, | |
doppelt so viele wie im Jahr 2012. Der Europäische Gerichtshof hat zwar | |
entschieden, dass der Staat für eine angemessene Unterbringung von | |
Asylbewerbern verantwortlich sei. Die Bundesrepublik scheint aber kaum | |
hinterherzukommen. In der völlig überfüllten Bayernkaserne in Freimann | |
mussten Flüchtlinge im Freien campieren, in NRW kam es zu einem vorläufigen | |
Aufnahmestopp. Wenn Plätze in Unterkünften fehlen, droht Geflüchteten | |
Obdachlosenasyl. | |
Wenn der Staat überfordert ist, sollen dann seine BürgerInnen helfen? | |
## „Ein sichtbares Zeichen“ | |
Genau das hat der Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt von der CDU | |
vorgeschlagen. Auf Facebook rief er dazu auf, Flüchtlinge privat | |
unterzubringen. Das sei „ein sichtbares Zeichen“, dass Flüchtlinge fühlte… | |
„sie sind nicht nur untergebracht, sie sind auch aufgenommen“, | |
[1][article_id=296606:sagte er dem Deutschlandfunk]. Und es gibt in | |
Deutschland Menschen, die wollen helfen. | |
Als die Aktionskünstler vom Zentrum für politische Schönheit eine | |
„Kindertransporthilfe des Bundes“ ankündigten und es für einen Moment so | |
aussah, als fordere die Familienministerin Menschen auf, Flüchtlingskinder | |
bei sich aufzunehmen, meldeten sich hunderte Freiwillige. Dabei war das | |
eine Politsatire. | |
Für die Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 22./23. November hat der | |
Münchner Autor Andreas Unger zwei Menschen getroffen, die tatsächlich | |
Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen haben. Er erzählt, wie ein | |
Somalier und ein Syrer diese besondere Wohngemeinschaft erleben. Es ist | |
eine Geschichte von den hohen Erwartungen, die beide Seiten in so einer | |
Situation entwickeln können. Und von den Enttäuschungen, zu denen diese | |
Erwartungen manchmal führen. | |
Pro Asyl rät gerade deshalb dazu, nicht aus Einsamkeit oder wegen eines | |
Helfersyndroms überhöhte Erwartungen an ein Zusammenleben mit Flüchtlingen | |
zu stellen. Flüchtlinge sind teils schwer belastet, manche sogar | |
traumatisiert. Allein dadurch kann das Zusammenleben erschwert werden. Gut | |
klappe es, wenn die gegenseitigen Erwartungen von vorn herein gekärt wären, | |
rät man bei Pro Asyl. | |
## Machen die auch keinen Ärger? | |
Weil das alles sehr kompliziert sein kann, reagieren viele Beratungsstellen | |
nicht gerade begeistert auf Vorschläge wie den des CDU-Manns Patzelt. | |
Während der Balkankriege Anfang der 90er-Jahre hat sich gezeigt, zu welchen | |
Missverständnissen es kommen kann. Etwa 8.000 Leute nahmen damals | |
Flüchtlinge bei sich zu Hause auf. Manche dachten, das dauere ein paar | |
Monate, dann sei die Hilfsaktion vorbei. Tatsächlich aber mussten die | |
Geflüchteten viel länger bleiben. | |
Weil so viele Flüchtlinge eine Unterkunft brauchen, versuchen verschiedene | |
Organisationen Wohnungen und Zimmer zu vermitteln, [2][eine kurze Liste | |
findet sich hier auf bewegung.taz.de.] So hat das [3][//:Evangelische | |
Jugend- und Fürsorgewerk kürzlich zusammen mit dem Berliner Senat einen | |
Aufruf gestartet:] „Vermieten Sie Wohnraum – helfen Sie Flüchtlingen“. D… | |
Werk erklärt Flüchtlingen, wie sie an Wohnungsangebote kommen. Die sollen | |
ihrerseits mit Angeboten, die sie gefunden haben, zur Beratungsstelle | |
kommen. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales überprüft dann das | |
Angebot und muss zustimmen, das die Kosten übernommen werden. Vermieter | |
könnten von der Behörde auch Miete erhalten. | |
Mit Internetauftritten wie „Landkarte der Solidarität – Christen helfen | |
Flüchtlingen“ wirbt die Caritas um Unterstützung. Sie stellt Kontakt zu | |
Vermietern her und steht selbst als Ansprechpartner für Leute zur | |
Verfügung, die Wohnraum an Flüchtlinge vermieten wollen. Daneben hat sie in | |
Bayern ein von der Regierung beauftragtes Wohnraumprojekt, das sich mov‘in | |
nennt. Dabei sollen Flüchtlinge unterstützt werden, Wohnungen zu finden- | |
eine Art „Hilfe zur Selbsthilfe“. Flüchtlinge würden auf Wunsch zur | |
Besichtigung begleitet, um Vorbehalte zu zerstreuen. Schließlich stoßen sie | |
oft auf Ressentiments. Machen die auch keinen Ärger? Zahlen sie ihr Zimmer? | |
Einer Umfrage zufolge stimmten etwa in Österreich 78 Prozent dagegen, | |
Flüchtlinge bei sich aufzunehmen und nur sechs Prozent dafür. | |
Andreas Ungers Geschichte dagegen erzählt in der taz.am wochenende auch | |
davon, wie ein Syrer und eine Bayerin sich in ihrer neuen Wohngemeinschaft | |
ergänzen. Obwohl die Gastgeberin anfangs auch ihre Zweifel hatte, ob sie | |
den Schritt wagen sollte. | |
Macht es Sinn, dass Privatleute Flüchtlinge aufnehmen? Diskutieren Sie mit! | |
Die Titelgeschichte „Der Flüchtling, mein Mitbewohner“ lesen Sie in der | |
taz.am wochenende vom 22./23 November 2014 | |
21 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.deutschlandfunk.de/frankfurt-oder-fluechtlinge-in-der-wohnung-wi… | |
[2] http://bewegung.taz.de/ | |
[3] http://onlinetaz.hal.taz.de/http | |
## AUTOREN | |
Sonja Esmailzadeh | |
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