# taz.de -- Russlands Balkanpolitik: Gazprom ist trotzdem da | |
> Die Gaspipeline „South Stream“ hätte Russlands Macht verstärkt. Jetzt | |
> richtet Putin die Aufmerksamkeit auf andere Formen der Einflussnahme. | |
Bild: Danke Putin? Das Plakat steht zu Ehren des russischen Präsidenten an der… | |
SARAJEVO taz | Das Projekt South-Stream-Pipeline gehört zum Kernstück der | |
russischen Balkanpolitik. Es geht um ein Milliardengeschäft, von dem auch | |
die EU-Staaten Bulgarien, Italien, Slowenien, Ungarn und Österreich | |
profitiert hätten. Vor allem aber hätte das Projekt Russlands Einfluss auf | |
Serbien verstärkt. | |
Die EU hält dagegen. Schon seit dem Angriff Russlands in der Ukraine übten | |
Brüssel und Washington Druck auf Bulgarien aus, den Bau der Pipeline, die | |
durch das Schwarze Meer über Bulgarien und Serbien nach Italien und | |
Österreich führen sollte, zu stoppen. Jetzt, mit der Anfang November | |
angetretenen neuen Regierung in Bulgarien, kam die für das Projekt negative | |
Entscheidung. Bulgarien macht nicht mehr mit, obwohl es mit dem Wegfall der | |
Pipeline 400 Millionen Euro jährlich verlieren wird. | |
Damit ist Putins Balkanstrategie in Frage gestellt. Sie zielt vor allem auf | |
ein engeres Verhältnis zu Serbien und zur serbischen Teilrepublik in | |
Bosnien und Herzegowina. Die russische Regierung möchte die über das | |
orthodoxe Christentum vermittelten gemeinsamen Sichtweisen für ihre | |
politische Offensive nutzen und die zwischen Ost und West schwankende | |
serbische Bevölkerung auf ihre Seite ziehen. | |
## Untrennbare Beziehungen zwischen Russland und Serbien | |
Serbische Politiker, die die EU-Integration anstreben, geben sich seit | |
2012, nach der Wahlniederlage der prowestlichen Demokratischen Partei unter | |
Premierminister Boris Tadic, in Moskau die Klinke in die Hand. 2013 | |
unterzeichnete der neue rechtsgerichtete Premierminister Ivica Dacic von | |
der Sozialistischen Partei in Moskau ein Abkommen über eine strategische | |
Partnerschaft Russland–Serbien. | |
Auch militärisch wird zusammengearbeitet. Im südserbischen Nis ist ein | |
russisches Spionage- und Militärzentrum aufgebaut worden. Die | |
wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde erheblich verstärkt. 2014 sind nach | |
den EU-Sanktionen die serbischen Agrarexporte nach Russland bedeutend | |
angestiegen. | |
Gazprom ist zu einem der größten Spieler in der Wirtschaft Serbiens | |
aufgestiegen, das Land ist nun völlig von russischem Öl und Gas abhängig. | |
Im Gegenzug zu großzügigen russischen Krediten verscherbelte der serbische | |
Staat das bisherige Staatsmonopol „Naftna Industrija Srbije“ an Gazprom, | |
weit unter Preis, wie die serbische Opposition beklagt. Der neue Konzern | |
soll auch nur 3 Prozent Steuern bezahlen – in Russland selbst liegt der | |
Satz bei 22 Prozent. | |
## Russland tanzt aus der Reihe | |
Auch die Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina hat sich in russische | |
Abhängigkeiten begeben. Schon 2007 verkaufte der damalige Premierminister | |
Milorad Dodik drei staatliche Ölgesellschaften an die russische Firma | |
„Zaubezhneft“, so die einzige Raffinerie des Landes in Bosanski Brod ebenso | |
wie eine Fabrik für Motorenöl in Modrica. Überall in der serbischen | |
Teilrepublik gibt es jetzt Tankstellen von Gazprom. Dodik, der „kleine | |
Putin“ aus Banja Luka, verscherbelte die Firmen unter dubiosen Umständen, | |
noch heute ist der Verkaufspreis Staatsgeheimnis. | |
Am 12. November drohte Russland im UN-Sicherheitsrat erstmals gegen eine | |
Verlängerung des Mandats der Eufor-Truppen in Bosnien zu stimmen. Witali | |
Tschurkin, der russische Botschafter bei der UN, erklärte, Russland sei | |
gegen internationale Truppen in Bosnien, weil damit die Integration des | |
Landes in die EU und die Nato beschleunigt würde. Schließlich enthielt er | |
sich der Stimme. Großbritannien hatte gedroht, Nato-Truppen als Ersatz | |
einzusetzen. | |
Schon im Mai war Russland in Bezug auf Bosnien aus der Reihe getanzt. Bei | |
einer Tagung des Friedensimplementierungsrates (PIC), in dem über 50 | |
Staaten und internationale Organisationen die Politik gegenüber Bosnien | |
beraten, lehnte Russland eine Formulierung über die territoriale Integrität | |
Bosnien und Herzegowinas ab. Russland will die Existenz des Staates Bosnien | |
und Herzegowina in seinen jetzigen Grenzen nicht mehr garantieren, war die | |
Botschaft. | |
## EU erhöht Druck auf Serbien | |
Für Serbien ist der Baustopp für South Stream schmerzlich. Immerhin hätte | |
die Pipeline Hunderte von Millionen Euro in die Staatskasse in Belgrad | |
gespült. Ministerpräsident Vucic erhielt die Nachricht in Israel und wollte | |
sich nicht äußern. Milorad Dodik in Banja Luka erklärte am Dienstag, er sei | |
„sehr enttäuscht über den Baustopp“. | |
Serbiens Regierung steht nun zwischen Baum und Borke. Mit Blick auf Kosovo | |
war sie zwar keineswegs glücklich über die Annexion der Krim durch | |
Russland, doch angesichts der prorussischen Stimmung in der Bevölkerung hat | |
sie bisher versucht, zwischen beiden Seiten zu lavieren. | |
Aber die EU erhöht jetzt ihren Druck. Bei ihrer Rede auf dem G-20-Gipfel im | |
australischen Brisbane warf Angela Merkel Putin eine Expansionspolitik auf | |
dem Balkan vor. Die EU will jetzt Serbien dazu bringen, die Agrarexporte | |
nach Russland zu stoppen. Rechtlich sei das Beitrittsland Serbien zu | |
Strafmaßnahmen gegen Moskau verpflichtet, sagte vor wenigen Tagen | |
EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn. | |
Die Spannungen zwischen EU und Russland könnten sich in Bosnien und | |
Herzegowina entladen. Mit der Republika Srpska hat sich Putin eine | |
Einflussspäre geschaffen. Jetzt will die EU gegensteuern. In einem | |
gemeinsamen Brief forderten am 6. November die Außenminister Großbritannens | |
und Deutschlands die Führer Bosniens und Herzegowinas auf, sich zu einer | |
Reformagenda zu bekennen, die das Land auf seinem Weg hin zu einer | |
EU-Mitgliedschaft näher bringt, und diese umzusetzen. Im Gegenzug könnte | |
die EU Geld für die am Rande des Staatsbankrotts dümpelnden Teilstaaten | |
mobilisieren. Am 12. Dezember wird die neue EU-Außenkommissarin Federica | |
Mogherini nach Sarajevo kommen. | |
5 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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