| # taz.de -- Flüssiggas im Baltikum: Ein Schiff namens „Unabhängigkeit“ | |
| > Mit Flüssiggas wollen sich die baltischen Staaten von Russland abnabeln. | |
| > Im litauischen Hafen Klaipeda traf am Dienstag der erste Tanker ein. | |
| Bild: Liegt im Hafen von Klaipeda: die „Independence“. | |
| STOCKHOLM taz | Der Name verkündet auch eine Botschaft: „Independence“ | |
| steht auf dem blauen Rumpf des Schiffes, das mit 294 Metern so lang wie | |
| drei Fußballfelder ist. Seit Montag liegt es im litauischen Ostseehafen | |
| Klaipeda. Es soll den baltischen Staaten 24 Jahre nach Erlangung ihrer | |
| politischen auch die Energie-Unabhängigkeit bringen. | |
| Nun „können wir ohne russisches Gas überleben“, verkündete Litauens | |
| Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite. Endlich werde die „Macht eines | |
| monopolistischen Lieferanten gebrochen, der uns mit dem Gaspreis erpressen | |
| will“. | |
| Die „Independence“ ist eine „Floating storage and regasification unit“, | |
| also eine Art mobiles Gasterminal, an dem Tanker ihr mit „Liquified Natural | |
| Gas“ (LNG) auf minus 164 Grad gekühltes und damit flüssiges Erdgas anlanden | |
| können. Dann verwandelt die Anlage den Brennstoff wieder in seinen | |
| gasförmigen Zustand – und macht ihn somit bereit zum Transport durch | |
| konventionelle Gasleitungen. | |
| Bislang ist Litauen beim Gas ausschließlich von der russischen Gazprom | |
| abhängig. Wenn die Anlage komplett funktioniert, ist das passé. Und nicht | |
| nur das. Die jährliche Kapazität des schwimmenden Terminals von drei bis | |
| vier Milliarden Kubikmetern Gas deckt theoretisch sogar bis zu 75 Prozent | |
| des Verbrauchs der baltischen Nachbarn Lettland und Estland. Noch ist das | |
| Zukunftsmusik – nicht nur, weil dazu bestehende Gasleitungen ausgebaut | |
| werden müssten. | |
| ## Probebetrieb im Dezember | |
| Die Produktion der „Independence“ wird zunächst langsam in Gang kommen. Am | |
| Dienstag traf der Flüssiggastanker „Golar Seal“ in Klaipeda ein – mit ei… | |
| Ladung von 107.000 Kubikmeter Gas aus der Verflüssigungsanlage „Snøhvit“ | |
| (Schneewittchen), die der staatliche norwegische Ölkonzern Statoil nahe dem | |
| nordnorwegischen Hammerfest betreibt. Mit dieser ersten Ladung soll im | |
| Dezember ein Probebetrieb auf der von Litauen von Norwegen für zehn Jahre | |
| gecharterten „Independence“ stattfinden. | |
| Geht alles nach Plan, soll Statoil ab 2015 jährlich jeweils 540 Millionen | |
| Kubikmeter Gas nach Klaipeda liefern. Statoil kann aufgrund bestehender | |
| Lieferverträge mit anderen Kunden und der begrenzten Kapazität von | |
| „Schneewittchen“, der derzeit einzigen Verflüssigungsanlage des Konzerns, | |
| derzeit nicht mehr LNG liefern. | |
| Zudem ist ein vollständiger Ersatz des russischen durch norwegisches Gas | |
| für Litauen auch eine Preisfrage. Prinzipiell ist Flüssiggas aufgrund der | |
| höheren Produktionskosten etwa ein Fünftel teurer als „normales“ Erdgas. | |
| Derzeit liegen die Preise von Gazprom und Statoil etwa auf gleichem Niveau, | |
| nämlich zwischen 260 und 290 Euro pro 1.000 Kubikmeter. Dazu kommen | |
| allerdings noch die Verarbeitungskosten für das Flüssiggas. Und: Gazprom | |
| könnte das Kostenniveau natürlich noch deutlicher zuungunsten des | |
| Flüssiggases verändern. | |
| ## Kritik am politischem Kalkül | |
| Aber warum eigentlich überhaupt eine neue Investition, die das Land auch in | |
| Zukunft in so hohem Maße von fossiler Energie abhängig macht?, fragen | |
| Kritiker. Dazu gehört neben UmweltschützerInnen auch Raimondas Kuodis, der | |
| Vizepräsident der litauischen Zentralbank. Die „Independence“ sei nichts | |
| als ein „kurzzeitiger politischer Sieg“, der wirtschaftlich wenig Sinn | |
| mache, sagt der Banker. Es sei ein typisches Politikerprojekt, „mit dem man | |
| Frontlinien zieht: Hier sind die Russen, da der Westen.“ Und das ohne | |
| Rücksicht auf die Kosten, meint Kuodis – und erinnert daran, dass allein | |
| die Charter der „Independence“ Litauen in zehn Jahren fast eine halbe | |
| Milliarde Euro kosten werde. | |
| Allein zukunftsträchtig wäre ein Abschied von einer klimazerstörenden | |
| fossilen Energieform wie Gas gewesen, beklagt Kuodis. Doch dieser Weg werde | |
| seit Jahren verschlafen. | |
| 28 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Reinhard Wolff | |
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