# taz.de -- Öko-Bewegung in Weißrussland: „Wir äußern uns nicht politisch… | |
> Umweltorganisationen haben eine schweren Stand in Weißrussland. Wer offen | |
> gegen den Bau des AKWs in Ostrowez protestiert, lebt gefährlich. | |
Bild: Anti-Atomkraft-Demo in Minsk 2013: Inhaftierungen von ein bis zwei Wochen… | |
MINSK taz | Nirgendwo gibt es so viele Tschernobyl-Opfer wie in | |
Weißrussland – doch der offene Widerstand gegen das geplante Atomkraftwerk | |
in Ostrowez ist gering. „Wir leben schließlich in einer stark beschränkten | |
Demokratie“, formuliert es Katsiarina Goutscharowa vom „Grünen Netzwerk“ | |
mit unüberhörbarer Ironie. Ihre Organisation ist ein Zusammenschluss von 18 | |
Umweltorganisationen und etwa 60 Experten, die sich gegenseitig stärken | |
wollen, um politischen Einfluss auf lokaler, regionaler und nationaler | |
Ebene zu gewinnen. | |
Es sind Menschen aller Altersgruppen, die sich hier zusammengeschlossen | |
haben; auch ein paar Juristen gehören dazu, die Aktivisten bei Prozessen | |
unterstützen und Gesetzesvorlagen kommentieren. Die Organisation ist | |
offiziell in Litauen registriert. „Sonst wären wir ganz schnell verboten“, | |
so Goutscharowa, die in der Zentrale in Minsk arbeitet, wo es etwa zehn | |
Hauptberufliche gibt. | |
Auch Irina Suchij von „Ökohaus“ gehört zum Grünen Netzwerk. Gleich nach | |
Bekanntwerden der AKW-Baupläne für Ostrowez trommelte ihre Organisation | |
Ende 2008 Wissenschaftler, NGO-Vertreter und Aktivisten aus Weißrussland | |
und Russland in Kiew zusammen. Dort entstand die weißrussische | |
Antiatomkraftkampagne Bajak. Es ist ein überschaubares Grüppchen, man | |
kommuniziert übers Internet oder Skype, trifft sich an öffentlichen Orten | |
oder in Privatwohnungen. Politisches am Telefon zu besprechen ist nicht | |
ratsam in Weißrussland. | |
Auch Suchijs Partnerorganisationen vom „Grünen Netzwerk“ bekommen immer | |
wieder deutliche Hinweise vom Regime, die Kooperation einzustellen. Die | |
Drohungen sind nebulös, die Folgen nicht klar kalkulierbar: Wer in | |
Weißrussland mit Flugblättern, Aufklebern an Bushaltestellen oder im | |
Internet offen gegen das Atomkraftwerk protestiert, muss mit Repressionen | |
durch den Geheimdienst rechnen, der sich hier immer noch KGB nennt. | |
Festnahmen und Inhaftierungen von ein bis zwei Wochen sowie Geldstrafen | |
haben sehr viele Aktivisten schon erlebt. Und weil im kommenden Jahr Wahlen | |
anstehen, bei denen es über den Sieger keinen Zweifel gibt, rechnen alle | |
mit einer Verschärfung der Situation. | |
Viele für die Umwelt engagierte Menschen in Weißrussland bestreiten deshalb | |
explizit, dass ihr Handeln irgendetwas mit Politik zu tun haben könnte – so | |
wie Doria Chumakowa. Sie engagiert sich beim „Zentrum für Umweltlösungen“ | |
(Ecoidea), das vor etwa fünf Jahren mit Unterstützungsgeldern aus | |
Skandinavien gegründet wurde und sich mit Energieeffizienz, | |
Lebensmittelsicherheit und Giften in Kinderspielzeug beschäftigt. Obwohl | |
die Organisation versucht, auf Gesetze Einfluss zu nehmen, meint die junge, | |
gut Englisch sprechende Frau: „Wir äußern uns nicht politisch. Wir | |
fokussieren uns auf Probleme.“ | |
## Chancen durch Energieeffizienz | |
Der ehemalige Deutschlehrer Dmitri Burentin vom „Zentrum für ökologische | |
Lösungen“ spricht ohne Pause, wenn es um die Chancen durch Energieeffizienz | |
geht. „Wenn wir das Geld für das neue Atomkraftwerk in die Modernisierung | |
unserer Gaskraftwerke stecken würden, wäre das AKW überflüssig“, sagt er | |
und schiebt pflichtschuldig nach: „Ich will das aber politisch nicht | |
bewerten.“ | |
Auch andere Fakten, die er aufzählt, sprechen eine klare Sprache: Im | |
Vergleich zu westeuropäischen Ländern benötigen weißrussische Betriebe für | |
die gleiche Wirtschaftsleistung etwa doppelt so viel Energie. Vor allem die | |
hochdefizitären Staatsbetriebe verschwenden viel Strom, die | |
Übertragungsleitungen verlieren riesige Mengen, und weil die Elektrizität | |
für Privathaushalte hoch subventioniert ist, wird auch dort kaum gespart. | |
Jetzt versucht Burentins Organisation, EU-Geld für vier Pilotstädte im | |
Norden des Landes aufzutreiben, um dort beispielhaft | |
Energieeffizienzprojekte durchzuführen. Das Grüne Netzwerk versucht, durch | |
Informationskampagnen einen umweltfreundlicheren Lebensstil zu fördern: | |
Bisher fehlen in den meisten Wohnungen Thermostate, viele Bewohner regeln | |
die Temperatur übers Fenster. | |
Vor allem Minsk ist eine extrem autogerechte Stadt, fast alle Straßen hier | |
sind vier- oder sechsspurig, aber dank des billigen Benzins staut sich der | |
Verkehr trotzdem. Wie stark die Lebensmittel mit Pestiziden oder | |
Radioaktivität belastet sind, ist kaum herauszufinden; im ganzen Land gibt | |
es gerade einmal sechs Biobauernhöfe. Darüber hinaus versucht das „Grüne | |
Netzwerk“, Informationen von offiziellen Stellen zu bekommen und Einfluss | |
auf Gesetze und Regierungs-beschlüsse zu nehmen. | |
Dabei beruft sie sich auf die Aarhus-Konvention, mit der sich Weißrussland | |
international verpflichtet hat, die Öffentlichkeit über | |
Umweltangelegenheiten zu informieren und an Entscheidungen zu beteiligen. | |
„Wir werden allerdings dauernd ignoriert“, klagt Katsiarina Goutscharowa. | |
Deshalb beschwert sich ihre Organisation regelmäßig bei internationale | |
Gremien. Tatsächlich mauern weißrussische Staatsvertreter schon bei simplen | |
Nachfragen zu Umweltbelangen – oder erweisen sich als komplett inkompetent. | |
## Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit | |
So rühmt sich der Ort Schodino, nordöstlich von Minsk, in dem 60.000 | |
Menschen leben, Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit zu sein. Angeblich haben | |
hier alle Betriebe ein Energiesparprogramm, und nach einem | |
Deutschlandbesuch soll der Bürgermeister Mülltrennung eingeführt haben. Die | |
Leiterin der Wirtschafts-abteilung, Tatjana Sawadstaja, betont: „Die Agenda | |
21 ist Werbung für die Stadt, um ausländische Direktinvestitionen zu | |
motivieren.“ | |
Tatsächlich stehen auf den Straßen ein paar zerbeulte Abfalltonnen | |
unterschiedlicher Farbe – doch was mit den sortierten Abfällen passiert, | |
kann oder will sie ebenso wenig sagen wie die vier Kollegen aus anderen | |
Ressorts, die zu einer Zusammenkunft mit einigen Pressevertretern geladen | |
haben. Und welcher Betrieb schon wie viel Energie gespart hat? Und wodurch? | |
Niemand hier weiß es. Und niemand fragt richtig nach. | |
Wo ausländische Gelder beteiligt sind, haben die weißrussischen | |
Umwelt-organisationen wirksamere Hebel. So hat eine dänisch-schwedische | |
Forscher-gruppe herausgefunden, dass 95 Prozent der EU-Hilfen an staatliche | |
Stellen in Weißrussland fließen und nur 5 Prozent an zivilgesellschaftliche | |
Institutionen. Nun verlangt das „Grüne Netzwerk“ Auskunft, welche Effekte | |
die internationale Unterstützung jeweils hatte – und veröffentlicht die | |
Antworten im Internet. | |
21 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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