| # taz.de -- Außenminister Frank-Walter Steinmeier: „Es geht nur mit Russland… | |
| > Frank-Walter Steinmeier verhandelt. Immer. Auch mit Moskau. Warum? Die | |
| > Ukraine-Krise ist die gefährlichste in Europa seit langem, erklärt der | |
| > Außenminister. | |
| Bild: „Das gesamte Vorgehen Russlands in der Ukraine spricht nicht für eine … | |
| taz: Herr Steinmeier, kürzlich wurde der Bericht über die Folterpraxis der | |
| CIA im Krieg gegen den Terror in den USA veröffentlicht. Hat Sie dieser | |
| Bericht überrascht? | |
| Frank Walter Steinmeier: Es sind Abscheulichkeiten im Bericht dokumentiert, | |
| die einen erschaudern lassen. Und ich glaube nicht, dass Einzelheiten der | |
| Verhörpraktiken hier in Europa bekannt waren. Auch war nicht klar, in | |
| welchem Maße amerikanische Dienste den größeren Teil des schmutzigen | |
| Geschäftes offenbar Dritten überlassen haben. Das alles hat mich genauso | |
| überrascht wie andere. | |
| Muss dieser Bericht Konsequenzen haben? | |
| Die Entscheidung der amerikanischen Regierung, diesen Bericht zu | |
| veröffentlichen, ist schon eine erste Konsequenz. Es ist gut, dass die | |
| Amerikaner den Mut und den Willen haben, sich mit den Fehlern der | |
| Vergangenheit öffentlich auseinanderzusetzen. Eines ist jedenfalls klar: | |
| Folter und menschenunwürdige Behandlung dürfen in unseren Gesellschaften | |
| keinen Platz haben. Deswegen ist es auch so wichtig, dass Präsident Obama | |
| die Folterpraxis beendet und öffentlich versichert hat, dass so etwas nicht | |
| wieder geschehen wird. | |
| Namhafte Menschenrechtler und Anwälte fordern, dass den Verantwortlichen | |
| vor Gericht der Prozess gemacht wird. Ist das nötig? | |
| Ich gehe davon aus, dass die USA verantwortlich mit den Erkenntnissen | |
| umgehen werden. Die USA sind ein Rechtsstaat und die Frage nach der | |
| juristischen Aufarbeitung wird dort ja schon seit Jahren diskutiert. Diese | |
| gesellschaftliche Debatte geht auch jetzt weiter und genau das macht doch | |
| das Wesen einer Demokratie und eines Rechtsstaats aus. | |
| Länder wie China und Nordkorea nutzen die CIA-Methoden als Argument, um | |
| sich Einmischungen des Westens zu verbitten. Wäre es nicht gerade deshalb | |
| nötig, zu zeigen, dass Verbrechen nicht nur benannt, sondern auch bestraft | |
| werden? | |
| Niemand wird leugnen, dass die Aufdeckung dieser Praktiken Auswirkungen auf | |
| das Bild Amerikas nach innen und nach außen hat. Aber es ist doch eine | |
| Stärke freiheitlicher Gesellschaften, dass sie Fehlentwicklungen benennen | |
| und Korrekturen einer politischen Linie vornehmen können. Wichtig ist, dass | |
| jetzt eine politische Aufarbeitung der Geschehnisse stattfindet und | |
| sichergestellt wird, dass Praktiken wie diese ein für alle Mal abgestellt | |
| werden. | |
| Herr Steinmeier, Sie haben viele Gespräche mit Wladimir Putin geführt. | |
| Fühlt er sich vom Westen bedroht? | |
| Die russische Wahrnehmung ist, dass das Land militärisch eingekreist wird. | |
| Und mehr noch, dass der gesamte Westen und vor allem die USA auf einen | |
| Regime-Change in Russland setzen. Das ist nicht die Politik des Westens, | |
| gleichwohl löst diese Vorstellung in Moskau Ängste aus. Nur: Diese | |
| Selbstwahrnehmung kann natürlich nicht dazu führen, dass wir über | |
| Verletzungen geltenden Völkerrechts durch Russland einfach zur Tagesordnung | |
| übergehen. Zum Respekt vor der Souveränität und territorialen Integrität | |
| dritter Staaten hat sich Russland in der Schlussakte von Helsinki, in der | |
| UN-Charta und im Budapester Memorandum ja selbst verpflichtet. Auch deshalb | |
| muss die Verletzung dieser Prinzipien klar benannt werden. Aber darin | |
| erschöpft sich nicht unsere Verantwortung. Sie besteht auch darin, mit | |
| allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, das Blutvergießen zu beenden, | |
| die Einheit der Ukraine zu erhalten und eine neue Spaltung Europas zu | |
| verhindern. | |
| Putin hat 2007 auf der Sicherheitskonferenz in München kritisiert, dass die | |
| USA zur „monopolaren Weltherrschaft“ strebten und die Nato sich bis an die | |
| russischen Grenzen heran bewegt habe. Hat der Westen russische Sorgen zu | |
| lange nicht ernst genug genommen? | |
| Die Distanz zwischen Russland und dem Westen hat ja in Wahrheit schon lange | |
| vor dem Beginn des Ukrainekonflikts wieder zugenommen. Und sicherlich gibt | |
| es Versäumnisse und ausgelassene Chancen nicht nur auf einer Seite. Aber | |
| was die behauptete militärische Einkreisung angeht, müssen wir im Blick | |
| behalten, dass die letzte größere Nato-Erweiterung in Osteuropa 2004 | |
| stattgefunden hat. Und 2008 wurde zur Enttäuschung vieler in der Ukraine | |
| und in Georgien eine Aufnahme dieser beiden Länder in die Nato gerade nicht | |
| beschlossen. Sicher sind nicht alle Austauschmöglichkeiten mit Russland | |
| hinreichend genutzt worden. Das gilt für den zu spät aufgenommenen Dialog | |
| über die Vereinbarkeit unterschiedlicher Handelsabkommen zwischen EU und | |
| der Ukraine einerseits und der Ukraine und Russlands andererseits. Das | |
| ändert aber nichts daran, dass die Verantwortung für die zugespitzte | |
| Situation, die mit der Annexion der Krim begonnen hat, ganz wesentlich auf | |
| russischer Seite liegt. | |
| Wie schätzen Sie Putins Strategie ein? Gibt es einen Masterplan? | |
| Es gibt unter den vielfältigen Bemühungen, die Außenpolitik Russlands zu | |
| erklären, auch die, dass das gesamte Vorgehen Russlands in der Ukraine | |
| einer lang angelegten Strategie und einem Masterplan folgt. Das ist nicht | |
| meine Wahrnehmung. In den unterschiedlichen Phasen dieses zehnmonatigen | |
| Konflikts gab es mal mehr, mal weniger Unterstützung der | |
| Separationsbewegung in der Ostukraine und auch mal mehr oder weniger | |
| militärische Einmischung. Das spricht nicht für einen großen Masterplan. | |
| Darin liegt, wie ich finde, auch eine Chance, dass wir nach den vielen | |
| Rückschlägen auf einen Pfad zurückzukommen, der den Konflikt zwar nicht | |
| ungeschehen macht, aber ihn doch entschärft. Es ist der gefährlichste | |
| Konflikt, den wir in Europa seit Jahrzehnten hatten. Aber im Vergleich zu | |
| den Großkrisen im Mittleren und Nahen Osten nach meiner Auffassung immer | |
| noch ein lösbarer. | |
| Ist der Ukrainekonflikt ernster, gefährlicher als in den 1990er Jahren die | |
| Jugoslawienkriege? | |
| Die beiden Krisen sind in ihrer Genese wenig vergleichbar. Bis vor Kurzem | |
| drohte, dass wir über den Konflikt in der Ostukraine in eine | |
| Stellvertreterauseinandersetzung hineinrutschen, in der Russland und der | |
| Westen militärisch gegeneinanderstehen. Darin liegt auch die Sprengkraft | |
| dieses Konflikts. Es ist deshalb nicht zu unterschätzen, dass es Ende | |
| August auch mit unserer Hilfe gelungen ist, Russland und die Ukraine auf | |
| der Präsidentenebene in einen direkten Kontakt zueinander zu bringen. Und | |
| so unzufrieden ich mit der bisherigen Umsetzung der Minsker Vereinbarung | |
| bin, so wenig bin ich bereit, sie ad acta zu legen. Es ist das einzige | |
| Dokument, in dem alle Konfliktparteien Verpflichtungen auf sich genommen | |
| und akzeptiert haben. Worauf es jetzt ankommt, ist, sie daran zu erinnern | |
| und auf die Umsetzung zu dringen. | |
| Ist Russlands Präsident Wladimir Putin ein rational agierendes Gegenüber in | |
| diesem Prozess? | |
| Wenn es nur die eine Ratio gebe, wäre Außenpolitik einfach. Aber es ist ja | |
| in verhärteten Konflikten geradezu typisch, dass sich die Konfliktparteien | |
| in geschlossenen Wahrnehmungssystemen befinden, in die nicht ganz leicht | |
| einzudringen ist. | |
| Im Sinne von berechenbar und verlässlich. | |
| Berechenbarkeit und Verlässlichkeit setzen Vertrauen voraus. Dieses | |
| Vertrauen hat in den letzten Monaten nicht nur gelitten, es ist | |
| weitestgehend kaputtgegangen. Aber Außenpolitik darf bei einer solchen | |
| Feststellung ja nicht stehen bleiben. Unsere Verpflichtung besteht auch in | |
| solchen Zeiten darin, Konflikte nicht völlig außer Kontrolle geraten zu | |
| lassen. | |
| Seit acht Monaten sterben Menschen in der Ukraine. | |
| Aber seit Ende September ist das Kampfgeschehen deutlich zurückgegangen. | |
| Nicht viel, mag man einwenden, und ich verstehe, dass viele Betrachter | |
| ungeduldig sind. Aber eine Erfahrung der Außenpolitik ist eben, dass | |
| politische Lösungen nicht im Mündungsfeuer von Gewehren entstehen, sondern | |
| erst dann, wenn Verhandlungssituationen in einer beruhigten Lage | |
| stattfinden. Darum bemühen wir uns jetzt – ganz konkret und im Detail mit | |
| der Festlegung der sogenannten Entflechtungslinie. Das soll die Linie in | |
| der Ostukraine sein, von der sich gemäß den in Minsk vereinbarten Regeln | |
| Kämpfer und schwere Waffen in einem Abstand von jeweils 15 Kilometern | |
| zurückziehen müssen. So entsteht eine echte Pufferzone, die demilitarisiert | |
| ist. Dort können wir mit der Basisversorgung der Bevölkerung, mit der | |
| Reparatur von Wasserleitungen und Stromleitungen beginnen. Das mag auf den | |
| ersten Blick nicht viel sein. Aber in einer solch angespannten Lage, wie | |
| wir sie gegenwärtig in der Ostukraine haben, wäre eine derartige Einigung | |
| bereits ein großer Schritt nach vorn. Wo endet dieser Konflikt, wenn wir | |
| nicht am Ball bleiben und versuchen, Haltelinien zu fixieren? | |
| Angela Merkel hat beim G-20-Gipfel gesagt: Es geht nicht nur um die | |
| Ukraine, sondern auch um Moldau und möglicherweise Serbien. Haben wir es | |
| mit einem Konflikt um Einfluss in Ostmitteleuropa zwischen der EU und | |
| Russland zu tun? | |
| Jedenfalls deutet viel darauf hin, dass Russland die Nato, immer mehr auch | |
| die EU, als geopolitischen Konkurrenten wahrnimmt. | |
| Also ein Machtspiel? | |
| Das ist nicht unsere Sicht der Dinge. Die EU versucht nicht aktiv ihr | |
| Einflussgebiet zu arrondieren. Aber die EU ist für viele Länder attraktiv. | |
| Nach meinem Eindruck ist sie es außerhalb der Grenzen der EU manchmal noch | |
| stärker als innerhalb der EU. | |
| Aber spielt das Ringen um Einflusszonen nicht die entscheidende Rolle? | |
| Es nutzt nichts, sich hinter gegenseitigen geopolitischen Verdächtigungen | |
| zu verschanzen. Die EU und Russland müssen ehrlich über | |
| Interessenunterschiede oder gar Unvereinbarkeiten reden. Es gibt einen | |
| größeren Zusammenhang – über die Ukraine hinaus. Wir können uns Russland | |
| nicht aus der Realität Europas hinauswünschen. Russland ist in guten wie in | |
| schlechten Zeiten ein großer Nachbar, der so oder so Einfluss nimmt auf | |
| Europa. Wir müssen wieder verstehen, dass Sicherheit in Europa nicht ohne | |
| oder gar gegen Russland möglich ist. Die schwierigere Aufgabe besteht | |
| darin, Russland davon zu überzeugen, dass es auch in Russland keine | |
| Sicherheit ohne oder gegen Europa geben kann. Das ist die langfristige | |
| Perspektive. Daran müssen wir, unter ganz anderen Bedingungen als in den | |
| 70er und 80er Jahren, arbeiten. Ich kann uns nur raten, die weniger | |
| gewordenen Möglichkeiten zum Gespräch zu nutzen. | |
| Und reden nutzt? | |
| Wir haben derzeit eine seltsame Wahrnehmung von Außenpolitik. Wenn wir mit | |
| Russland reden, wird das hierzulande von manchen als ein unverdientes | |
| Geschenk an die Regierung in Moskau missverstanden. So als dürften wir mit | |
| der russischen Regierung nicht sprechen, weil Putin das als Gewinn nutzen | |
| könnte. Das ist ehrlich gesagt eine Wahrnehmung von Außenpolitik, die mir | |
| fremd ist. Für mich ist Außenpolitik vor allem Konfliktentschärfung und | |
| Konfliktlösung. | |
| Ist dieser Blick auf Außenpolitik neu? | |
| Außenpolitik scheint heute mehr als vor 10 oder 20 Jahren sehr viel stärker | |
| ein Instrument der innenpolitischen Auseinandersetzung geworden zu sein. | |
| Man spricht stärker in die eigenen Öffentlichkeiten hinein, anstatt sich | |
| auf den Konflikt und die Konfliktparteien zu konzentrieren und Lösungen zu | |
| suchen. | |
| Was halten Sie von dem Aufruf „Wider den Krieg“, den Gerhard Schröder und | |
| Otto Schily unterstützen? | |
| Was meinen Sie genau? | |
| Halten Sie ihn für zu verständnisvoll gegenüber der russischen Politik? | |
| Wenn der Aufruf das Ziel hat, dass militärische Lösungen in der | |
| Ukrainekrise nicht zur Verfügung stehen, dann ist das richtig. | |
| Dass es keine militärische Lösung geben kann, ist Konsens der deutschen | |
| Politik. | |
| Ja, und das ist die Erkenntnis, auf die ich seit Beginn des Konflikts mein | |
| Engagement gründe! Aber das ist noch keine Politik. Deshalb versuche ich, | |
| ohne Wettstreit mit den außenpolitischen Lautsprechern im mühsamen | |
| Dauergespräch mit Kiew und Moskau eine Entschärfung zu erreichen. Auch ich | |
| wäre gerne weiter, als wir sind. Aber es ist ein mühsames Geschäft mit | |
| Fortschritten im Millimeterbereich. | |
| Herr Steinmeier, die AfD unterstützt die Demonstrationen in Dresden gegen | |
| die mutmaßliche Islamisierung Deutschlands. Bedeutet das etwas für das Bild | |
| Deutschlands im Ausland? | |
| Ob wir es wollen oder nicht – ja. Wir sollten uns nicht darüber beschweren, | |
| dass auch sieben Jahrzehnte nach dem 8. Mai 1945 die Welt mit besonderer | |
| Aufmerksamkeit auf den rechten Rand des deutschen politischen Spektrums | |
| schaut. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus dürfen bei uns | |
| keinen Platz haben. Nicht in den Parlamenten und nicht auf der Straße. | |
| Haben die Regierungsparteien die AfD unterschätzt? | |
| Wir haben die AfD zu lange als europaskeptische Partei wahrgenommen. Bei | |
| den Landtagswahlkämpfen zum Beispiel in Brandenburg im Herbst ist die AfD | |
| aber nicht mehr mit Europakritik aufgetreten – sondern mit | |
| ausländerfeindlichen Plakaten. | |
| 12 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ines Pohl | |
| Stefan Reinecke | |
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