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# taz.de -- Propaganda-TV „Russia Today Deutsch“: Putin mit Hitler verteidi…
> Die Mutter unseres Autors schaut gern den russischen Propagandasender „RT
> Deutsch“. Grund genug, sich mit ihr vor dem Fernseher zu streiten.
Bild: Der Welt die russische Sicht der Dinge einbläuen.
Ich habe in meinem Leben schon viele irrsinnige Hitlervergleiche gehört,
aber der, mit dem meine Mutter Wladimir Putin verteidigt, bleibt
unübertroffen: „Die Regierung in Kiew hat den Krieg im Osten der Ukraine
angezettelt, um von den eigenen wirtschaftlichen Problemen abzulenken – so
wie es Hitler damals auch getan hat.“
Es gab eine Zeit, da interessierte meine Mutter sich nicht sehr für
Politik. Zum Beispiel in den vergangenen zwanzig Jahren. So lange ist es
auch her, dass wir aus der Ukraine nach Deutschland immigrierten. Doch seit
in Donezk und Lugansk um eine neue Staatsform geschossen wird, verläuft
auch eine Front zwischen uns beiden.
Mutter glaubt, dass Amerika hinter dem Krieg steckt. Weil sich die
Vereinigten Staaten vor einem wiedererstarkten Russland fürchten. Diese
Ansichten bezieht sie hauptsächlich vom russischen Staatsfernsehen und
ihren Freunden in den russischsprachigen sozialen Netzwerken. Und ich bin
der verblendete Westmediensohn, der das einfach nicht verstehen will und
Putin stattdessen für einen machtbesessenen Kriegstreiber hält.
## Vom Kreml finanziert
Ich habe Mutter darum gebeten, einige Episoden von „Der fehlende Part“ mit
mir zu schauen. Das ist das tägliche Magazin des „Nachrichtensenders“ „RT
Deutsch“. „RT“ steht für „Russia Today“ und ist ein vom Kreml jährl…
etwa 250 Millionen Euro durchfinanziertes, international sendendes
Medienunternehmen, dessen Aufgabe darin besteht, der Welt die russische
Sicht der Dinge einzubläuen. Dass diese Funktion öfters mit journalistisch
höchst fragwürdigen Methoden gewährleistet wird, haben viele Westkollegen
zuletzt aufgezeigt. Nicht ideologisch, sondern mit zwei bis drei Klicks bei
Google (Recherche).
Wie das Konzept aber dennoch beim Einzelnen greift, kann ich traurigerweise
an meiner Mutter nachverfolgen. Wir schauen die Episode: „Ein Jahr nach dem
Euro-Maidan. Wo steht die Ukraine heute?“ Ganze 22 Sekunden dauert es, bis
ich Pause drücken muss, damit wir uns zanken können. Auslöser ist das
anfangs eingeblendete Zitat vom SPD-Möchtegernrussen Matthias Platzeck.
Platzeck regt darin an, die Annexion der Krim nachträglich völkerrechtlich
zu regeln.
„Absolut richtiger Vorschlag. Die Krim war schon immer russisch“,
assistiert Mutter.
„Tradition gibt Putin nicht das Recht, Gebiete zu annektieren. Die Ukraine
hat 1994 ihr Atomarsenal vernichtet. Im Gegenzug hat Russland vertraglich
zugesichert, die Grenzen der unabhängigen Ukraine zu respektieren.“
„Russland braucht die Krim als Militärbasis. Und jeder weiß, dass Amerika
nach der Maidanrevolution dort Raketen stationieren und Militärbasen
errichten wollte. Putin verteidigt nur die Interessen seines Landes.“
## Zeit gewinnen
Als Beweis präsentiert Mutter einen Link zu angeblichen Geheimpapieren des
FBI. Baupläne, Stützpunkte, etliche Seiten. Ehrlich gesagt, würde ich nicht
mein Cicero-Abo darauf verwetten, dass Amerika nicht wirklich eigene
Militärpläne auf der Krim schmiedete. Ich muss Zeit gewinnen und behaupte,
dass ich mir die Dokumente in Ruhe anschauen muss. Was auch die Wahrheit
ist, aber sich wie Rückzug anfühlt. Also kontere ich: „Mutter, du weißt,
dass das Krim-Referendum manipuliert war. Fast 97 Prozent Zustimmung für
Russland – das glaubst du doch selbst nicht!“
„Manipuliert? Wozu? Die Leute wollten doch zu Russland. Weil in der Ukraine
nichts funktioniert. Noch nie funktioniert hat!“
Ich suche fieberhaft nach dem richtigen Link. Suchbegriff: OSZE Krim-Votum,
Manipulation, nichts. Wahlfälschung, geht doch. Danke, Zeit Online.
„Da bitte, lies das mal, Mutter: ’Das Ergebnis des international nicht
anerkannten Referendums über den Anschluss der ukrainischen Halbinsel Krim
an Russland wurde von Anfang angezweifelt. Jetzt aber bestätigen selbst
Berater des russischen Präsidenten, dass die Wahl nicht sauber verlief. Der
Menschenrechtsrat, der Wladimir Putin zuarbeitet, hat die Lage auf der Krim
untersucht. In seinem Bericht kommt er zu dem Schluss: Die offiziellen
Ergebnisse stimmen nicht.‘ “ Mutter öffnet den Bericht und beginnt eiskalt
zu sezieren. Die im Report monierten Verstöße erweisen sich dummerweise als
nicht besonders gravierend. Tataren hätten nicht mit abgestimmt.
„Das stimmt nicht“, sagt Mutter. „Ich habe mit Tataren von der Krim
gechattet, viele waren wählen.“
## Gefühlt führt Mutter 2:0
Was soll ich da entgegnen? Ich habe nicht mit Krimtataren gechattet. Und
ich würde auch nicht meine Mitgliedschaft im linken FAZ-Kritikerzirkel
darauf verwetten, dass die Tataren das Referendum tatsächlich geschlossen
boykottiert haben. Gefühlt führt Mutter 2:0.
Wir schauen „Der fehlende Part weiter“, gute sechzig Sekunden zumindest.
Denn beim Satz: „Die Krim stimmte für Sezession. Der Osten revoltierte“,
drücke ich Stopp. „Der Osten revoltierte also. Einfach so. Kein Wort zur
russischen Rolle dabei.“
„Ja, natürlich revoltierte die Ostukraine. Die haben nichts mit dem
Faschistenregime in Kiew zu tun.“
Ich versuche es sanft: „Mama, die Separatisten erhalten Geld, Waffen und
Kämpfer von Russland. Putin installiert einen kalten Konflikt, um jederzeit
Russlands Interessen durchzusetzen. Verstehst du denn nicht, dass er
dadurch den ukrainischen Staat vom Neuaufbau abhält?“
„Was denn für ein neuer Staat? Wer hat den 5 Milliarden in die
Maidanrevolte gebuttert? Die USA! Die ganzen Demonstranten wurden bezahlt.
Und diese Marionetten, diese Zivilistenmörder in Kiew, stecken jetzt jeden
Cent in den Krieg!“
## „Zeig mir Beweise! Bilder! Belege!“
„Weil Putin Poroshenko keine andere Wahl lässt. Das ist doch das Kalkül.
Putin weiß, dass er militärisch am längeren Hebel sitzt.“
„Putin hat damit nichts zu tun! Zeig mir Beweise dafür, dass Putin
russische Waffen in die Ukraine schickt. Bilder! Belege!“
Scheiße, ich würde meine Einladung zu den nächsten zehn
Henri-Nannen-Preis-Verleihungen darauf verwetten, dass Putin Waffen und
Geld in die Ukraine schickt. Sämtliche Waffen von der ukrainischen Armee
erobert, weiße Hilfskonvois – dass ich nicht lache. Aber ich finde nur
Artikel, die vorsichtig von Meldungen über Waffenlieferungen sprechen.
Fotos finde ich auf die Schnelle jedenfalls keine. Während ich suche, setzt
Mutters Mundgewehr wieder ein: „In Wahrheit liefern doch die USA Waffen in
die Ostukraine!“
„Mutter, die Staaten haben ganz andere außenpolitische Probleme.
’Islamischer Staat‘, Irak, Syrien, Iran. Welches Interesse haben die USA
denn momentan, die Ukraine zu destabilisieren?“
„Um Russland wirtschaftlich zu schwächen. Russlands Wirtschaftswachstum
jagt ihnen Panik ein.“
„So ein Unsinn! Russlands Wirtschaft ist völlig im Arsch. Der Rubel
verfällt im Wert, ausländische Investoren ziehen Kapital ab, russische
Banken bekommen keine Kredite, die Nahrungsmittelpreise explodieren.“
„Das liegt an den Sanktionen.“
## Mutter zeigt Schwäche
„Nein, die russische Wirtschaft wäre auch ohne Sanktionen gefickt, weil die
Wirtschaftsleistung zu 70 Prozent auf Ölexporten beruht. Keine Reformen.
Keine Innovationen. Nur Öl. Das ist das Wirtschaftsmodell von
Dritte-Welt-Ländern. Davor haben die Amis bestimmt keine Angst!“
„Ach ja, und wessen Satelliten fliegen gerade im Weltall?“
Endlich, Mutter zeigt Schwäche. Satelliten als Indikator für
Wirtschaftswachstum. Damit kommst du nicht durch, Mutter. Dann kommt ihr
Hitlervergleich. Und ich fühle mich schlagartig sehr erschöpft. Mit dem
Menschen, der einem das Leben geschenkt hat, über Krieg zu streiten, macht
todmüde.
Wir kleinkriegen im Schneckentempo durch die Sendung. Mutter sagt hier und
da „genau“, ich habe die Hände auf dem Kopf und schaue apathisch in der
Küche herum. Am Ende brauchen wir fast vier Stunden, um zwanzig Minuten „RT
Deutsch“ zu schauen. Dann essen wir erschöpft Flusskrebssalat.
Eigentlich hätte es das „RT“-Experiment gar nicht gebraucht. Der Krieg ist
inzwischen so sehr in den Köpfen, dass jeder nur noch hört, was sie oder er
will. Osteuropäische Familien, die seit zwanzig Jahren keine osteuropäische
Familie sind, bilden da keine Ausnahme.
16 Dec 2014
## AUTOREN
Dmitrij Kapitelman
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