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# taz.de -- Schlagloch Liberalismus: Liberal sein? Gern! Nur wie?
> Der politische Liberalismus ist gestorben. Woran eigentlich? Und warum
> ist sein Untergang auch für die Linke gefährlich? Ein Debattenbeitrag.
Bild: Geschrumpft: die Freiheitsstatue.
Es sind die drei Hauptpfeiler einer bürgerlichen Demokratie, wie man so
sagt: der „Konservatismus“, die Sozialdemokratie und der Liberalismus. Die
drei ergänzen sich, so ist das gedacht, einigermaßen prächtig, insofern sie
imstande sind, sich wechselseitig die Spitzen abzubrechen, einander zu
moderieren und zu kontrollieren.
Richtig geklappt hat das noch nie, aber so epochenweit wie heute war man
wohl auch noch nie davon entfernt. Jetzt sind die Konservativen ja nicht
mehr konservativ, sondern zerfallen in rhetorische Reaktion (einschließlich
des endlosen „Zündelns nach rechts“) und ökonomische Hysterie (Scheiß auf
alles, was anderen erhaltenswert erscheint, wenn es dem Wettbewerb, dem
Wachstum und dem „Fortschritt“ dient), und die Sozialdemokratie – reden w…
von etwas Erfreulicherem. Zu welchem unglückseligerweise der Liberalismus
ganz und gar nicht zu zählen ist.
Zunächst einmal ging eine, wenngleich prekäre, Einheit von politischem und
wirtschaftlichem Liberalismus flöten. Den wirtschaftlichen Liberalismus
kaperten einfache alle Konkurrenten, manchenorts gar Parteien, die noch ein
„sozialistisch“ im Namen führten; dazu wurde überhaupt kein eigenes
Programm mehr gebraucht, so dass Wirtschaftsliberalismus als Programm in
einer europäischen Demokratie heute in etwa so wirkt wie der Eifer eines
mäßig begabten Schülers, der sich dringend beim Lehrer, nämlich der
Ökonomie und ihren Vertretern, beliebt machen will.
Den politischen Liberalismus indessen hat eine neue, neoliberalistische
Idee von Freiheit verdrängt, die man in den USA etwa libertarian nennt. Die
„negative Freiheit“ des „Du kannst es schaffen, und heul nicht rum, wenn …
zu den 95 Prozent gehörst, die es nicht tun“. Die vollendete Mischung aus
bigottem Konformismus, Hass auf alles Sozialstaatliche und ökonomischer
Brutalität.
## Nazi-Organisationen und Spaßparteien
Und welche Transformationen nahmen jene Parteien vor, die einst den
politischen Liberalismus zu vertreten hatten! Einige wandelten sich gleich
in Halb- oder Dreiviertel-Nazi-Organisationen, wurden von
„Nationalliberalen“ zu „Feschisten“ (wie in Österreich), andere wollten
zwischenzeitlich „Spaßparteien“ werden, und nun will die F.D.P. sogar ihre
Farben wechseln, tolle Sache.
Die Linken haben vielleicht ihre politische Heimat verloren, das steht so
in den mittleren Erzählungen der europäischen Nachkriegsgeschichte. Aber
verglichen mit den politischen Liberalen ging dieser Heimatverlust geradezu
sanft vor sich. Der politische Liberalismus, der, angesichts seiner Väter
und Mütter, von Locke und Montesquieu bis hin zu Hamm-Brücher sich so
nennen dürfte, hat in Deutschland nicht einmal mehr eine publizistische
Stimme, geschweige denn eine Organisation.
Es scheint also so leicht zu sein, sich höchstpersönlich für einen
liberalen Menschen zu halten, wie es schwer ist, oder sagen wir gleich:
unmöglich, die Ideale und Ziele des politischen Liberalismus
gesellschaftlich, diskursiv und politisch durchzusetzen.
## Postdemokratischer Sumpf
Zur gleichen Zeit aber, da der politische Liberalismus, der hier ohnehin
nie eine wirklich dominante Rolle hatte spielen können, weil er entweder
vom autoritären Konservatismus oder aber vom wirtschaftsliberalen
Opportunismus erdrückt wurde, in den Sümpfen der Postdemokratie versinkt,
scheint die einzige Hoffnung des Einzelnen, der sich weder nach rechts noch
nach links aus „seiner“ Demokratie verdrängen lassen möchte, eben diese zu
sein: ein Liberaler sein.
Einer, der die Freiheit des Subjekts hochhält, der auf die Beschränkung von
Macht drängt, der Toleranz nicht gewähren muss, weil sie für ihn
selbstverständlich ist, der Rechtssicherheit und Transparenz immer noch
wichtiger nimmt als Wettbewerbsvorteile, der es zugleich mit einem
staatlichen Gewaltmonopol und mit seiner umfassenden demokratischen
Kontrolle ernst meint, der Information, Bildung und Wissenschaft als hehre
Ziele sieht, einer der auch im ganz alltäglichen Leben auf die Tugenden und
Werte dieses Liberalismus vertraut.
Der Haken an der Geschichte ist nur: In einer postdemokratischen,
finanzkapitalistischen Gesellschaft hört der Liberalismus schon bei der
Privatsphäre des Subjekts auf. Da zerbricht etwas. In einen
entpolitisierten Liberalismus. Und in eine entliberalisierte Politik.
## Linke und Liberale
Der größte Trick in diesem Prozess, sich vom politischen Liberalismus und
von einer kritischen Linken gleichzeitig zu befreien, liegt darin, die
beiden gegeneinander auszuspielen. So haben wir es oft genug mit
„überzeugten“ politischen Liberalen zu tun, die ihren Liberalismus durch
die Abgrenzung gegen die Linken erklären, anstatt ihn an den politischen,
ökonomischen und kulturellen Praxen ihrer Regierungen, ihrer Medien, ihrer
politischen Diskurse zu messen.
Natürlich gibt es auch eine dezidierte Abgrenzung der Linken gegen den
politischen Liberalismus, der ja nur sehr schwer zu denken ist ohne den
Wirtschaftsliberalismus, auf den sich Neoliberalismus und
Finanzkapitalismus zu Recht oder zu Unrecht berufen. Die Idee eines
reformerischen, kritischen und nach beiden Seiten hin „undogmatischen“
Linksliberalismus, die uns das eine oder andere Jahrzehnt kleine Hoffnungen
auf eine Vermenschlichung der Welt und eine Entspannung der Debatten
gemacht hat, scheint mausetot. Woran ist sie gestorben?
Nein, nicht gleich antworten. Da finge es ja vielleicht an, mit einer
möglichen Renaissance des politischen Liberalismus. Dass man sich ein
bisschen Zeit nimmt, zum Nachdenken über sich selbst und über die Welt, und
wie sie sich durch Macht und Gegenmacht, Diskurs und Gegendiskurs
organisiert.
2015 wäre vielleicht ein gutes Jahr, zu erkennen, dass Liberale und Linke
gemeinsame Interessen haben, dass ihnen eine gemeinsame Empörung zuwachsen
müsste über das, was aus den Projekten Demokratie, Bürgerrecht, Freiheit
und Gerechtigkeit geworden ist, dass Liberale und Linke von den gleichen
Kräften zum Aussterben gebracht werden sollen und von den gleichen Medien
zum Verschwinden. Streiten können wir uns später immer noch.
31 Dec 2014
## AUTOREN
Georg Seesslen
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