# taz.de -- Schlagloch Postpolitik: Kreuz, Schwert und Glocke | |
> Merkel, Gabriel, Gauck. Das ist die Dreifaltigkeit der deutschen | |
> Postpolitik, die Reden, Handeln und Macht voneinander entkoppelt. | |
Bild: Ein Meister der Postpolitik: Theologe und Politiker Joachim Gauck. | |
An einem schlechten Tag könnte man sich darüber erregen, dass einem nur | |
noch zwei Arten von Menschen in einer deutschen Stadt begegnen: Leute, die | |
nichts anderes in ihre Birne lassen als Karriere, Geld, Status und Bizness, | |
und Leute, die nichts anderes in ihre Birne lassen als Fußball, | |
Bild-Zeitung, Fernsehen und Bier. Ein übles Klischee, ja. Trotzdem: Es muss | |
doch etwas geben, das diese beiden deutschen Birnen miteinander verbindet, | |
oder? | |
Vielleicht ja: „die Regierung“. Die Merkel, der Gabriel und der Gauck. Man | |
könnte versuchen, diese als Dreifaltigkeit der deutschen Postpolitik zu | |
beschreiben. Postpolitisches Regieren ist eine Methode, das Reden, das | |
Handeln und die Ausübung von Macht vollkommen voneinander zu entkoppeln und | |
im Schatten des öffentlich-medialen Scheins neu zusammenzusetzen. Die | |
Regierung folgt keinem politischen Programm, und was sie sagt, ist nicht, | |
was sie tut; sie hat kaum noch „politische Gegner“, dafür Konkurrenten und | |
Königsmörder in den eigenen Reihen. | |
Der Sachzwang und die Systemrelevanz auf der einen, das Image und die | |
Symbolik auf der anderen ersetzen Position und Projekt. Welche Politik sie | |
eigentlich betreibt und für wen, entzieht sich weitgehend der | |
Öffentlichkeit, dafür steht sie unter permanenter „menschlich-moralischer“ | |
Beobachtung. Dass der geölte Freiherr für seine Doktorarbeit abgeschrieben | |
hat, war ein Skandal, was in dieser Doktorarbeit eigentlich steht (das | |
Offenbaren einer Denkschule der Postpolitik) hat niemanden interessiert. | |
Regierung und Volk reden miteinander, aber sie tun es nach den Regeln von | |
Bizness und Fernsehunterhaltung. Es werden öffentlich keine Entscheidungen | |
getroffen, sondern im Verborgenen Fakten geschaffen. Nicht, dass früher | |
alles offener gewesen wäre, und nicht, dass diese Dreifaltigkeit schon beim | |
Seehoferismus angekommen wäre. Indes ist unübersehbar, dass Machtausübung | |
inzwischen anders funktioniert als vordem. | |
Angela Merkels Regieren wird an Hosenanzügen, Halsketten oder Handraute | |
verhandelt. Programmatisch erscheinen bei ihr allenfalls hochverräterische | |
Floskeln („alternativlos“, „marktkonforme Demokratie“); während der le… | |
Sozialdemokrat Deutschlands verblüfft den Kopf schüttelt, wenn er Sigmar | |
Gabriel sagen hört, seine Partei wolle „noch wirtschaftsfreundlicher“ | |
werden, weil man mit sozialen Themen allein keinen „Erfolg“ verzeichnet. | |
## Die Spitze des Dreiecks | |
Die eigentliche Spitze des postpolitischen Triumvirats aber ist Joachim | |
Gauck. Das unablässige Reden von Freiheit und Krieg soll zwischen Volk und | |
Elite (die Karrieristen und die Grillkönige) vermitteln, das im Verborgenen | |
schon Beschlossene in Sonntagspredigten bringen. | |
Joachim Gauck ruft im Namen der Freiheit zu den Waffen. Da er aber weder | |
das politische Subjekt dieser angerufenen Freiheit noch das militärische | |
Objekt benennen kann, hat beides eine merkwürdige, eben postpolitische | |
Logik: Entweder muss man es nicht erklären, weil es sich von selbst | |
versteht, oder man muss es nicht erklären, weil es unhinterfragbar ist. | |
Beides ist, gelinde gesagt, vor-aufklärerisch. | |
Vielleicht kann man das Triumvirat auf diese Weise fassen: Ein Bild des | |
Körpers, ein Bild der Seele („Mutti“ wird Angela Merkel gern genannt) und | |
ein Bild des, nun ja, Geistes. Eine Erstheit (das Sein an sich), eine | |
Zweitheit (die aktuelle Reaktion) und eine Drittheit (die Formulierung des | |
Prinzipiellen). | |
Oder noch einmal anders: einfaches, duales und synthetisierendes | |
Bewusstsein. So können sie so viel Unheil anrichten wie sie wollen, | |
gemeinsam sind sie so unwiderlegbar wie Schwert, Kreuz und Globus. | |
Auf vertrackte Weise sind die drei die Regierung, die „wir“ „verdient“ | |
haben. Für die einen der ganze Stolz, die anderen schämen sich. Und es sind | |
die Kritiker, die auf diese Inszenierung hereinfallen. Das Regieren, das | |
häufig in Form eines kontrollierten Nichtregierens erscheint, wirkt so | |
„natürlich“, dass etwas anderes nicht mehr vorstellbar ist. | |
Und weil Opposition und Kritik kaum noch politischen Ausdruck finden, wird | |
leicht übersehen, dass in der Semiotik einer triadischen Relation auch ein | |
dreifacher Diskurswechsel vollzogen wird. Gabriel vollzieht einen | |
(weiteren) Diskurswechsel des Sozialen, Merkel einen der politischen | |
Ökonomie, und Gauck nicht nur einen Diskurswechsel in der Militär- und | |
Außenpolitik, sondern auch einen des (politischen) Protestantismus. | |
## Gauck als Kaiser Konstantin | |
Würden auch hier nicht längst die Bedingungen des Postpolitischen | |
herrschen, liefe das auf eine Spaltung der evangelischen Gemeinden | |
respektive des christlichen Wertediskurses hinaus. | |
Besonders augenscheinlich wird dies durch die Antwort, die Joachim Gauck | |
den ostdeutschen Pfarrern und Pfarrerinnen geben ließ, die sich besorgt | |
über seine militärische Rhetorik äußerten. Sie „herablassend“ zu nennen, | |
wäre ein Euphemismus; ihr Inhalt ist ein Bruch mit der Projektion des | |
Christentums als Friedensreligion: „Der evangelische Christ Gauck kann | |
somit nicht erkennen, dass der vom Evangelium gewiesene Weg ausschließlich | |
der Pazifismus sei.“ | |
Der Gott der Liebe ist offenbar immer auch ein Kriegsgott. Es ist die | |
Wiederkehr der Geste, mit der der römische Kaiser Konstantin das | |
(urkatholische) Christentum zur Staatsreligion machte: Er führte, ohne | |
darin einen Widerspruch zu sehen, seine Kriege fortan im Zeichen des | |
Kreuzes. | |
Nun wäre es übertrieben, Joachim Gauck mit Kaiser Konstantin zu | |
vergleichen. Und doch ist seine Geste durchaus bemerkenswert, da sie keine | |
Zäsur, sondern im Gegenteil eine Verbindung von Theologie und Politik | |
herstellt. Der militante Protestantismus der „Evangelikalen“, die ihren | |
politischen Einfluss heftig ausdehnen, und der aufgeklärte Humanismus, den | |
wir uns als Leitdiskurs erhofften, schienen zwei verschiedenen Welten | |
anzugehören, das Konzept Friedens- und Kriegsgott miteinander unvereinbar. | |
Habe ich erwähnt, dass die Ersetzung politischer Diskurse durch | |
(pseudo-)religiöse Mythen ein wesentlicher Bestandteil der Postpolitik ist? | |
Unter der Glocke wird das Kreuz umgedreht und wieder zum Schwert. | |
20 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Georg Seeßlen | |
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